# taz.de -- Urteil gegen russischen Menschenrechtler: Entwertung der Geschichte | |
> Dreieinhalb statt 15 Jahre für Juri Dmitrijew. Klingt milde – doch das | |
> Urteil belegt die Infamie des Systems. | |
Bild: Opfer eines infamen Systems – Dmitrijew erfährt Unterstützung aus der… | |
Ein Gericht in Karelien hat den Historiker und [1][Menschenrechtler Juri | |
Dmitrijew] zu dreieinhalb Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Die | |
Staatsanwaltschaft hatte bei der Eröffnung eines neuen Verfahrens in | |
selbiger Strafsache 15 Jahre Lagerhaft unter erschwerten Bedingungen | |
gefordert. | |
Dreieinhalb Jahre, auf die überdies noch Dmitrijews Zeit in der U-Haft | |
angerechnet werden, erscheinen da als Erleichterung. | |
Dennoch: Dmitrijew wurde verurteilt und gilt als vorbestraft. Im Vergleich | |
zum ersten Prozess, der ihn 2018 freisprach, lautete die Anklage nicht | |
einfach Kinderpornografie. Die Ermittler bestraften ihn mit einer noch | |
härteren Anschuldigung: „Gewaltsame Handlungen sexuellen Charakters gegen | |
eine Person unter vierzehn Jahren“, lautete es diesmal. Auch dies, ohne den | |
geringsten Beweis vorzulegen. Der erste Freispruch hatte die Ermittler | |
bloßgestellt - [2][und deshalb sannen sie auf Rache]. | |
Es ist die Infamie des Systems, in dem der Staat alles und das Individuum | |
ein Nichts ist. | |
Dem hatte Dmitrijew durch die Aufdeckungen der Massengräber in Karelien aus | |
der Zeit des Großen Terrors in den 1930ern entgegengearbeitet. Tausenden | |
Opfern gab er Namen und Würde zurück. Dafür musste er bestraft werden. Denn | |
die Würde des Menschen kommt im Denken dieses Systems einer Entweihung | |
staatlicher Autorität gleich. Dagegen wehrt sich [3][das System], dem es an | |
Achtung fehlt. Huldigung kann sich morgen schon ins Gegenteil verkehren. | |
Daher die vielen Versuche des Kreml, die Figur Stalins doch noch | |
reinzuwaschen. Daher jene Mühen der letzten Monate, der Geschichte des | |
Zweiten Weltkriegs doch noch eine eigene Interpretation überstülpen zu | |
können. | |
Letztlich würde Wladimir Putin gern die Siegermächte und China – diesmal | |
unter seiner Ägide – zu einer Wiederauflage der Konferenz von Potsdam | |
einladen. Mit demselben Ziel wie damals. Die Aufteilung der Welt. Da ginge | |
es dann um mehr als Geschichte. | |
Bis dahin steht die Entwertung der Erinnerung auf dem Programm. Ja, die | |
Schaffung einer hybriden Geschichte durch eine Entwertung der Fakten und | |
auch durch eine Entwertung von Geschichte. | |
23 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Opposition-in-Russland/!5703470 | |
[2] /Opposition-in-Russland/!5659521 | |
[3] /Menschenrechte-in-Russland/!5640701 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
## TAGS | |
Wladimir Putin | |
Kreml-Kritiker | |
Kreml | |
Geschichte | |
Menschenrechte | |
Russland | |
Russland | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Menschenrechtler in Russland: Tod im Gefängnis | |
Der Historiker Sergej Koltyrin ist einem Krebsleiden erlegen. Er hatte sich | |
der Aufarbeitung von Verbrechen in der Stalin-Zeit gewidmet. | |
Opposition in Russland: Justiz-Farce geht weiter | |
Der Menschenrechtler Juri Dmitrijew steht ab Montag wieder vor Gericht. Der | |
Historiker wird der Herstellung von Kinderpornografie beschuldigt. | |
Menschenrechte in Russland: Kreml verschärft den Druck | |
Nichtregierungsorganisationen haben verstärkt mit Strafzahlungen, | |
Festnahmen und Übergriffen auf ihre Büros zu kämpfen. |