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# taz.de -- Russlands Einfluss in Großbritannien: „Sie wollten es nicht wiss…
> Der britische Geheimdienstausschuss kritisiert die eigene Regierung
> scharf: Sie habe es vermieden, zu klären, ob Russland bei den Referenden
> mitmischte.
Bild: Von Russland ermutigt? Unabhängikeitsbefürworter demonstrieren im schot…
Berlin taz | Das britische Sicherheitsestablishment hat der Regierung von
Premierminister Boris Johnson einen gewaltigen Schuss vor den Bug gesetzt.
Ein mit Spannung erwarteter Bericht des Geheimdienstausschusses des
britischen Parlaments über russische Einmischung in Großbritanniens
Politik, der am Dienstag veröffentlicht wurde, macht der Regierung den
schwerstmöglichen Vorwurf: „Niemand schaute nach, ob es russische
Einmischung gab“, so der für den Bericht verantwortliche ehemalige
Ausschussvorsitzende Dominic Grieve in einem TV-Interview.
Die Untersuchung war 2017 unter Premierministerin Theresa May in Auftrag
gegeben worden. Grund waren Mutmaßungen, wonach russische Unterstützung den
[1][Sieg der Brexiteers] bei der EU-Volksabstimmung 2016 ermöglicht habe.
Zuvor hatte es Berichte über russische Unterstützung der schottischen
Unabhängigkeitsbewegung beim [2][Referendum] von 2014 gegeben. Die
Untersuchung erfolgte ab 2018 unter dem Eindruck des Giftanschlags auf den
russischen Exagenten [3][Sergei Skripal] in Salisbury, der die britische
Öffentlichkeit aufrüttelte.
Ob Russland die Referenden zu Schottland und zum Brexit tatsächlich zu
beeinflussen versucht hat, sagt der Bericht nicht direkt – zumindest nicht
die veröffentlichte 55-seitige Kurzfassung. Sie verweist jedoch auf die
[4][US-Debatte um russische Einflussnahme auf Donald Trump] und die
US-Präsidentenwahl von 2016, in deren Folge auch die Regierung in London
„die russische Bedrohung der demokratischen Prozesse und des politischen
Diskurses im Vereinigten Königreich erkannt“ habe.
Dann merkt er in Bezug auf das EU-Referendum an: „Hätten die relevanten
Teile der Geheimdienste eine ähnliche Bedrohungsanalyse vor dem Referendum
durchgeführt, ist undenkbar, dass sie nicht zum gleichen Schluss bezüglich
russischer Intentionen gelangt wären.“
## Russland als „feindlicher Staat“
In der kodierten britischen Geheimdienstsprache ist das eine überdeutliche
Anschuldigung. Der Bericht definiert Russland als „feindlichen Staat“ und
bemängelt, dass Großbritannien sich zuletzt übermäßig auf Terrorabwehr
fokussiert habe. Man müsse heute insbesondere im Cyberspace die Aktivitäten
von „feindlichen Staaten“ analog zu denen von Terrororganisationen
behandeln, fordert der Ausschuss.
Er verlangt, dem Kompetenzwirrwarr in digitalen Fragen – für die in der
britischen Regierung das Kulturministerium zuständig ist – ein Ende zu
setzen und diesen Bereich der Antiterrorabteilung des Innenministeriums und
dem Inlandsgeheimdienst MI5 zu unterstellen. Die britischen Spionagegesetze
müssten entsprechend reformiert werden und das Land brauche neue Gesetze
gegen Geldwäsche und deren „Gehilfen“ in den britischen Finanz- und
Immobilienmärkten. So weitreichende Forderungen erhebt die Londoner
Geheimdienstwelt selten öffentlich.
Die britische Regierung – nicht nur die gegenwärtige, auch ihre Vorgänger �…
hätten sich um all dies nicht gekümmert, so der Bericht. Hinweise auf
russische Einflussversuche auf die beiden Referenden habe die Regierung
weder „gesehen“ noch überhaupt „gesucht“. In der Pressekonferenz dazu …
der Abgeordnete Stewart Hosie noch deutlicher. In Bezug auf das
Schottland-Referendum von 2014 sagte er: „Niemand in der Regierung wusste,
ob Russland sich einmischte oder versuchte, das Referendum zu beeinflussen,
denn sie wollten es nicht wissen. Sie vermied es aktiv, nach Belegen zu
suchen.“
Pikant: Hosie gehört zur Schottischen Nationalpartei (SNP), der Seite der
Unabhängigkeitsbefürworter, die von Russland unterstützt worden sein soll
und verlor.
„Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die Geheimdienste des Vereinigten
Königreichs eine Einschätzung der möglichen russischen Einflussnahme auf
das EU-Referendum vornehmen sollten und dass eine Zusammenfassung davon
veröffentlicht werden sollte“, so der Bericht schließlich. Selbst wenn sich
daraus nur „minimale Einmischung“ ergebe, „wäre dies eine hilfreiche
Beruhigung für die Öffentlichkeit, dass die demokratischen Prozesse relativ
sicher geblieben sind“.
Auch dies ist eine für britische Verhältnisse unüblich deutliche Mahnung
aus dem Sicherheitsapparat an die Politik.
## Neun Monate Verzögerung
[5][Im Vorfeld der Wahlen vom Dezember 2019], die den Konservativen von
Boris Johnson eine hohe absolute Mehrheit brachten, war berichtet worden,
der Bericht werde Details über russische Parteispenden an die britischen
Konservativen enthalten. Zumindest die veröffentlichten Fassung enthält
weder solche Details noch irgendwelche andere. Doch bei der Pressekonferenz
zu seiner Präsentation wurde die schon damals diskutierte Frage
thematisiert, wieso der Bericht erst jetzt veröffentlicht wird, nachdem er
schon im Oktober 2019 fertig auf dem Tisch von Premierminister Boris
Johnson lag.
Labour-Ausschussmitglied Kevin Jones listete die Begründungen auf, mit
denen das Büro des Premierministers damals die Veröffentlichung blockierte:
man habe zu wenig Zeit zur Stellungnahme, der Ausschuss habe
Verfahrensregeln gebrochen – „nicht wahr“, fügte Jones zu jedem Vorwurf …
Einen Tag nach seinem Wahlsieg gab Boris Johnson den Bericht frei. Da
musste das neugewählte Parlament erst mal seinen Geheimdienstausschuss neu
konstituieren. Das zog sich hin. Der bisherige Ausschussvorsitzende Dominic
Grieve, einer der profiliertesten konservativen Gegner Johnsons, war bei
den Wahlen als Parteiloser angetreten und aus dem Parlament geflogen.
Johnson versuchte danach, einen loyalen Ausschussvorsitzenden
durchzudrücken. Die Parlamentarier stellten sich quer und wählten am 15.
Juli den Marinereservisten Julian Lewis aus den Reihen der Konservativen,
eine Säule des Sicherheitsestablishments wie Grieve vor ihm, zum
Vorsitzenden.
Erst danach konnte der neue Ausschuss den Bericht veröffentlichen. Lewis
wurde aus der konservativen Fraktion ausgeschlossen. Und die Stimme der
Geheimdienste im Parlament spricht jetzt der Regierung so deutlich, wie man
es als Geheimdienst tun kann, das Misstrauen aus.
21 Jul 2020
## LINKS
[1] /Nach-dem-Brexit-Referendum/!5316334/
[2] /!5032897/
[3] /Debatte-zum-Anschlag-von-Salisbury/!5489568/
[4] /US-Sonderermittler-Mueller/!5456938/
[5] /Wahlkampf-in-Grossbritannien/!5647679/
## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
Großbritannien
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Sergej Skripal
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