# taz.de -- „Londongrad“ in Zeiten des Nervengifts: Bitte keine Politik! | |
> In der britischen Hauptstadt leben viele Russen. Doch wenn man sie zur | |
> aktuellen Spionage-Affäre fragt, werden die meisten schweigsam. | |
Bild: Man gibt sich verschlossen: Fenster der russischen Botschaft in London | |
London taz | | „Putin, der Paria“, schreit als Schlagzeile von der | |
Titelseite der allmorgendlichen Londoner Gratiszeitung Metro. Russland hat | |
es geschafft, sogar den Brexit aus den Nachrichten zu verdrängen. Im Fokus | |
steht nun auch Londons russische Exilgemeinde: 16.348 in Russland geborene | |
Personen, aber 150.000, wenn man russische Zugehörigkeit großzügiger | |
interpretiert. „Londongrad“ sagen dazu manche bösen Zungen. | |
Katarina Klimow, die in Wirklichkeit anders heißt, lebt seit 15 Jahren in | |
London. „Ich fühle mich inzwischen nicht mehr ganz als Russin“, erklärt d… | |
Mittdreißigerin aus dem Uralgebirge in einem eleganten Café um die Ecke von | |
Harrods. „London ist zu meiner Heimat geworden.“ Aber nun denke sie über | |
ihre Zukunft nach. | |
Schon durch die Visabeschränkungen [1][nach dem Litwinenko-Mord] hätten | |
viele Freunde auf einmal nicht mehr kommen können, erinnert sie sich. Zu | |
ihren Erfahrungen heute gehörten böse Bemerkungen beim Einkaufen. Eine | |
Nachbarin habe sie laut aus dem Fenster gegenüber beschimpft: „Sie schrie, | |
wir Russen sollten uns gefälligst benehmen oder zurück in unser Land | |
gehen.“ | |
Getroffen fühle sie sich dadurch nicht, schließlich komme sie aus einem | |
ehemaligen Empire, Großbritannien ebenbürtig, meint die junge Frau. Und | |
doch gibt sie an, dass keiner ihrer russischen Freunde und Bekannte hier | |
mit der Richtung der Regierung in Moskau einverstanden sei. Gerade das | |
entrüste ja Putin. Und deswegen wolle sie auch ihren richtigen Namen nicht | |
gedruckt sehen. London sei für Russen eher ein möglicher Asylort, findet | |
sie. Trotzdem, wie die Medien hier über Russland berichteten, sei | |
aufgeblasen, genauso wie das aus den russischen Medien komme. Glauben könne | |
man keiner Seite. | |
„Viele meiner Freunde wechselten ihre Meinungen mehrmals“, berichtet sie. | |
„Öffentlich geben wir zur Politik keine Meinung ab. Schon gar nicht in den | |
sozialen Medien.“ | |
## „Alles wie immer“ | |
Da hat sie recht. Beim russischen Supermarkt Kalinka will man sich zur | |
Politik nicht äußern. Im russischen Laden Dacha will die Inhaberin | |
unbedingt über Delikatessen reden: „Alles wie immer“, flötet sie. | |
In der kerzenbeleuchteten Zima-Bar, neben dem berühmten Jazzclub Ronnie | |
Scott, gibt es russische Getränke und Popmusik, aber „Sie sind erst der | |
Zweite, der mit mir über Politik sprechen will, der Erste war auch ein | |
Journalist“, sagt eine Angestellte. Katarina Klimow weiß über Zima: „Der | |
Laden gehört einem regierungsnahen Oligarchen. Die sagen bestimmt nichts | |
Schlechtes über Russland.“ Die russische Welt sei eingeteilt in | |
regierungstreu und nicht regierungstreu, man merke es immer an der Art, wie | |
sie sich ausdrückten. | |
Evgenia Terentiewa lässt sich nichts anmerken hinter ihren Gardinen in der | |
russischen Musikschule Musika Nova an der Ecke einer Sozialsiedlung im | |
Norden. Als die Vierzigerin als Austauschstudentin vor 25 Jahren hier | |
ankam, fragte ihre englische Gastfamilie, ob es stimme, dass in Russland | |
überall weiße Bären rumlaufen und dass da überall Schwarzenegger-Typen | |
seien. | |
Inzwischen hat sie einen britischen Pass. „In der Musikwelt zeigt niemand | |
auf mich und sagt was, weil ich Russin bin. Musik hat keine Grenzen.“ Und | |
doch gingen diese Tage der Spannung an ihr nicht spurlos vorbei. „Ich | |
musste zur russischen Botschaft“, berichtet sie. Da hätten plötzlich | |
riesige Kamerascharen und ein Großaufgebot von Sicherheit gestanden. „Das | |
gab mir ein mulmiges Gefühl.“ | |
## „Nicht schwarz, nicht weiß, sondern dazwischen“ | |
Der Besitzer des Real-Russia-Reisebüros im Nordlondoner Stadtteil Islington | |
fühlt sich verunsichert. Sein Reisebüro ist preisgekrönt, im Büro hängen | |
Landschaftsbilder. „Als Russland die Krim annektierte und das Flugzeug MH17 | |
abgeschossen wurde, hatten wir ein echt hartes Jahr“, berichtet der | |
53-jährige Chris Watkins. Missverständnisse und Ignoranz herrschten | |
beidseitig, findet er. | |
„Die Welt ist nicht schwarz oder weiß, sondern dazwischen“, philosophiert | |
er. Januar und Februar seien sogar extrem gute Monate gewesen mit 20 | |
Prozent mehr Andrang, sagt Watkins. Da blickte er mit Zuversicht auf die | |
Fußball-WM in Russland. Das war vor dem 4. März. | |
18 Mar 2018 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
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