Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Keine Vergebung für die Sündeninsel
> Am letzten Sonntag im Juli wäre eigentlich der Termin für die Wallfahrt
> hoch zum Berg des Heiligen Patrick gewesen. Aber Corona hat Irland im
> Griff.
Der Berg rief. Aber niemand hörte ihn. Am letzten Sonntag im Juli klettern
normalerweise Zehntausende auf den Croagh Patrick, Irlands heiligen Berg im
Westen der Insel, um sich in der Kapelle auf dem Gipfel die Absolution zu
holen. In diesem Jahr ist die Sündenvergebung jedoch ausgefallen, die
katholische Kirche hatte die nationale Wallfahrt vor acht Tagen wegen
Corona abgesagt.
Erzbischof Michael Neary bot stattdessen eine Messe in Westport am Fuß des
Berges an, die live auf der Webseite der Diözese übertragen wurde. Aber das
ist viel zu einfach und zählt nicht für die Sündenvergebung. Man muss sich
schon ein bisschen anstrengen.
Zwar ist der Berg nur 753 Meter hoch, aber der Aufstieg ist beschwerlich.
Die letzten 500 Meter führen durch ein Geröllfeld zum Gipfel, und jedes
Jahr muss die Bergwacht Menschen retten, oft sogar mit einem Hubschrauber,
aber manchmal kommt jede Hilfe zu spät. Wer beim Aufstieg auf den Croagh
Patrick stirbt, kommt allerdings geradewegs in den Himmel.
Schafft man es nach oben, wird man von einem Pfarrer erwartet, der in der
Kapelle die Absolution am Fließband austeilt. St. Patrick, an dessen
Todestag die Iren sich weltweit volllaufen lassen, soll im Jahr 441 an
diesem Ort, an dem die Kapelle steht, vierzig Tage gefastet, Pläne für die
Christianisierung der Insel geschmiedet und nebenbei die Schlangen aus
Irland vertrieben haben.
Wie ärgerlich, dass ich meine Sünden nun ein Jahr mit mir herumschleppen
muss. Ich bin zwar Atheist, aber man weiß ja nie, und die jährliche
Bewegung an der frischen Luft ist außerdem gesund. Doch entweder wird der
Berg von Jahr zu Jahr höher, was unwahrscheinlich erscheint, oder meine
Fitness lässt nach.
Beim ersten Aufstieg vor dreißig Jahren eilte ich in Windeseile auf den
Gipfel. Viele Jahre später überholte mich eine alte Frau und reichte mir
ihren Wanderstock mit den Worten: „Nimm ihn, mein Sohn, du brauchst ihn
nötiger als ich.“ Seitdem ist der Stock mein Begleiter, wenn das Ziel mehr
als 500 Meter entfernt ist.
Seit einigen Jahren setzen dem Berg Extremsportler zu. Bei der
Hochleistungshatz richten sie enorme Schäden an und ruinieren Wege und
Vegetation. Erzbischof Neary wies darauf hin, dass das Erklimmen des Croagh
Patrick keineswegs ein sportlicher Wettkampf sei, sondern lediglich der
Sündenvergebung und der Verkürzung des Aufenthalts im Fegefeuer diene.
Wenigstens kommt der Berg nun ein wenig zur Ruhe. Trotz der Absage
kletterten vorvergangenen Sonntag jedoch 500 Menschen hinauf. Die hatten es
wohl besonders nötig. Was aber soll aus den anderen Sündern werden? Auch
die nationale Novene im Wallfahrtsort Knock, die in diesem Monat
stattfinden sollte, fällt aus. Jedes Jahr nehmen an diesem Betmarathon, der
neun Tage dauert, 150.000 Menschen teil. Irland wird zum Sündenpfuhl, die
ganze Insel wird am Ende in der Hölle landen – aber wenigstens nicht in der
Coronahölle.
3 Aug 2020
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
## TAGS
Irland
Schwerpunkt Coronavirus
St. Patrick's Day
Irland
Kolumne Die Wahrheit
Pferde
Irland
Irland
Irland
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Die Coronabananenrepublik
In Zeiten der Pandemie benehmen sich die selbst ernannten irischen
„Staatsdiener“ dreister denn je und stolpern über ihre eigene Dreistigkeit.
Die Wahrheit: Unter militärischer Aufsicht
Die kleine Kneipe auf unserer Insel ist nur für Soldaten. Boris Johnson
macht da lieber anderswo Urlaub, nämlich mit Förmchen am Strand.
Die Wahrheit: Der Springreiter als Rosstäuscher
Pferde auf Mallorca: meist keine so gute Idee. Vor allem, wenn es sich um
Ponys handelt, von denen eines gar nicht das ist, was es sein sollte.
Die Wahrheit: Grönland auf der grünen Liste
Auf der grünen Insel, also in Irland, drängt alles zum Strand: Da Reisen
ins Ausland aber gefährlich sind, bleibt nur die eigene Küste.
Die Wahrheit: Die Dynastie der Diebe
In der irischen Politik werden Parlamentsposten gern in der eigenen Familie
vererbt. Und weiter kann das Plündern gehen …
Die Wahrheit: Das Dorf, das nicht existiert
Wie soll es heißen: Enniscrone oder Inishcrone? Oder sogar „Inis Eiscir
Abhainn“? Und es geht dabei nicht um ein Spülmittel.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.