| # taz.de -- Dialog zwischen Kosovo und Serbien: Ungewisser Neustart | |
| > Unter US-Vermittlung kreisten die Gespräche der Balkan-Länder vor allem | |
| > um Gebietsaustausch nach Ethnien. Jetzt sorgt die EU für einen | |
| > Kurswechsel. | |
| Bild: Ein Videogipfel nach dem anderen: Auch Angela Merkel vermittelt zwischen … | |
| Sarajevo taz | Bei den von Angela Merkel und ihrem französischen | |
| Amtskollegen Emmanuel Macron angestoßenen Kosovo-Verhandlungen wird ein | |
| zügiges Tempo vorgelegt. Schon am Freitag hatte Macron den serbischen | |
| Präsidenten Aleksandar Vučić und den [1][kosovarischen Ministerpräsidenten | |
| Avdullah Hoti] empfangen, Merkel war von Berlin aus zugeschaltet. | |
| Noch am Sonntag, 12. Juli, sollen in einer Videokonferenz sogar schon | |
| Verhandlungen beginnen, die am 16. Juli mit einem ersten Treffen in Brüssel | |
| fortgesetzt werden sollen. Gastgeber werden dann der EU-Außenbeauftragte | |
| Josep Borrell und der Sonderbeauftragte Miroslaw Lajčák sein, hieß es in | |
| der Erklärung des Präsidenten und der Kanzlerin. | |
| Die Europäer nehmen damit die Initiative im Dialog zwischen Kosovo und | |
| Serbien wieder an sich und haben die USA zunächst aus dem | |
| Verhandlungs-Prozess ausgeschaltet. Macron und Merkel wollen offenbar | |
| zeigen, dass Friedensgespräche zwischen Serbien und Kosovo ohne Europa | |
| nicht stattfinden können. | |
| Das hatte der US-Sonderbeauftragte für Serbien und Kosovo, Richard Grenell, | |
| aber vorgehabt. Grenell hatte am 27. Juni die Präsidenten Kosovos und | |
| Serbiens, Hashim Thaçi und Aleksandar Vučić, nach Washington eingeladen und | |
| ausdrücklich eine Teilnahme von EU-Vertretern bei diesen Gesprächen | |
| ausgeschlossen. | |
| ## Austausch von Gebieten auf Eis | |
| Was dann geschah, könnte Stoff für einen diplomatischen Krimi werden. Kurz | |
| vor dem Abflug Hashim Thaçis nach Washington erreichte ihn am 24. Juni in | |
| Wien die Nachricht, dass das [2][Sondergericht zur Untersuchung von | |
| Kriegsverbrechen in Kosovo Anklage gegen ihn] erhoben hatte. Thaçi kehrte | |
| umgehend nach Prishtina zurück. Das Treffen in Washington war geplatzt, den | |
| ambitionierten Grenell, der bei einer zweiten Amtszeit Trumps gerne | |
| Außenminister werden will, musste er stehen lassen. | |
| Sofort entstanden Gerüchte um die Entscheidung des seit 2015 bestehenden | |
| Sondergerichts, das vorher noch keine Anklage erhoben hatte. Warum kam die | |
| Anklage gegen Thaçi ausgerechnet jetzt? Manch einer geht davon aus, dass im | |
| Zusammenspiel mit Berlin, Paris, Brüssel und Gegnern Grenells in Washington | |
| das Gericht den Zeitpunkt taktisch gewählt hatte. | |
| Damit ist auch der Plan der USA, zwischen Serbien und Kosovo einen | |
| [3][Austausch von Territorien] zu vermitteln, erst einmal auf Eis gelegt. | |
| Im Vorfeld hatten Thaçi und Vučić bei erheblichen Widerständen in beiden | |
| Gesellschaften schon detailliert darüber verhandelt. So sollte das vor | |
| allem von Serben bewohnte Nordkosovo an Serbien, das in Südserbien liegende | |
| und vor allem von Albanern bewohnte Presevotal an Kosovo fallen. | |
| Merkel, die Serbien schon 2011 die Bedingung gestellt hatte, erst Frieden | |
| mit Kosovo zu schließen, bevor es in die EU eintreten könne, stellte sich | |
| vehement gegen die Idee eines Gebietsaustausches. Das wäre die Büchse der | |
| Pandora, hieß es in Berlin. | |
| Dann würde eine Kettenreaktion auf dem Balkan erfolgen: Etwa in | |
| Nordmazedonien, wo die albanische Bevölkerung Grenzveränderungen anstreben | |
| könnte, im Vielvölkerstaat Montenegro, und nicht zuletzt in Bosnien und | |
| Herzegowina, wo serbischen Nationalisten eine Vereinigung der sogenannten | |
| Republika Srpska mit Serbien anstreben. Sogar Trump und Putin sollen laut | |
| Quellen aus Prishtina darüber gesprochen haben, so die [4][Annexion der | |
| Krim] zu legitimieren. | |
| ## Gegenwind aus der Gesellschaft | |
| Im Gegenzug würde Serbien Kosovo diplomatisch anerkennen und dem Land keine | |
| Hürden für die Integration in internationale Organisationen wie den | |
| Vereinten Nationen mehr bauen. Vučić dagegen spekuliert, dass er durch | |
| einen Landtausch und mit russischer Unterstützung die massiven Widerstände | |
| in Serbien in Bezug auf eine Anerkennung Kosvos überwinden und dann das | |
| Land in die EU integrieren könnte. | |
| Doch einen Landtausch wird es unter Merkel nicht geben. Beide Seiten stehen | |
| innenpolitisch unter Druck. Der nach der von Grenell initiierten Absetzung | |
| des Ministerpräsidenten Albin Kurti bestimmte Nachfolger, Avdullah Hoti, | |
| hat nur eine schwache Stellung. Selbst die Mehrheit seiner Partei LDK ist | |
| [5][wie die Mehrheit der Gesellschaft] gegen Konzessionen an Serbien. | |
| Und [6][Vučić steht unter dem Druck massiver Demonstrationen], die sich | |
| nicht nur gegen seine „Diktatur“ richten, sondern gegen jegliche | |
| Zugeständnisse in der Kosovo-Frage. Die serbischen Nationalisten und die | |
| Orthodoxe Kirche sehen Kosovo nach wie vor als Teil des Staatsgebiets | |
| Serbiens an. In dieser Gemengelage eine Lösung zu finden, dürfte für die EU | |
| nicht einfach werden. | |
| 12 Jul 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Erich Rathfelder | |
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