Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Hohe Haftstrafen in Algerien: Regimeinterne Abrechnung
> Ein Gericht hat Vertraute von Algeriens Ex-Präsident Bouteflika
> verurteilt, darunter ehemalige Premiers. Das Militär bleibt weitgehend
> unbehelligt.
Bild: Die Bouteflika-Clique landete vor Gericht, doch die Staatselite hat sich …
Tunis taz | Algeriens Staatsklasse ist um einen Kopf kürzer. Besser gesagt:
um einen Clan. Ein Gericht in Algier verurteilte mehrere zentrale
Führungsfiguren der [1][2019 entmachteten Regimefraktion von
Ex-Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika] am Mittwoch wegen Korruption zu
hohen Haft- und Geldstrafen sowie zu millionenschweren
Entschädigungszahlungen.
Überraschend sind die Urteile nicht. Trotzdem wurden sie mit Spannung
erwartet, schließlich saßen bei dem Prozess acht ehemalige Minister, zwei
Ex-Regierungschefs, zwei frühere Gouverneure und der langjährige Direktor
des Unternehmer*innen-Verbandes FCE, Ali Haddad, und seine fünf Brüder auf
der Anklagebank.
Bouteflikas Clan innerhalb der als hochgradig korrupt geltenden
Staatsklasse dürfte damit endgültig kaltgestellt sein. Denn die Urteile
haben es in sich: 18 Jahre Haft für Haddad, je 12 Jahre für die
Ex-Premierminister Ahmed Ouyahia und Abdelmalek Sellal und zwanzig für den
flüchtigen Ex-Energieminister Abdessalem Bouchouareb.
Das Gericht konfiszierte zudem die Vermögenswerte der Haddad-Familie und
ordnete Entschädigungszahlungen an den Staat in Höhe von 9,3 Millionen Euro
an. Angeklagt waren die Beschuldigten unter anderem wegen der Verschwendung
öffentlicher Gelder, Amtsmissbrauchs sowie Interessenkonflikten und
Korruption bei der Vergabe öffentlicher Aufträge.
Zuvor schon war die Justiz gegen andere Personen aus dem Umfeld Bouteflikas
vorgegangen. So verurteilte ein Militärgericht Bouteflikas Bruder Said und
zwei frühere Geheimdienstchefs im vergangenen September zu 15 Jahren
Gefängnis.
## Urteile politisch motiviert
Zwar galt vor allem Haddad im Land als einer der gierigsten Vertreter von
Bouteflikas Fraktion im Machtapparat. Haddads Anwalt Khaled Bourayou
bezeichnete das Urteil aber nicht ganz zu Unrecht als politisch motiviert.
„Die Angeklagten waren Mitglieder des alten Regimes. Sie zahlen nun den
Preis der Besiegten“, so Bourayou gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.
In der Tat sind die Urteile keineswegs das Ergebnis einer konsequenten
Anti-Korruptionskampagne der neuen Staatsführung – auch wenn der im
Dezember [2][in einem höchst umstrittenen Urnengang „gewählte“ Präsident
Abdelmajid Tebboune] genau das gebetsmühlenartig behauptet. Vielmehr sind
die richterlichen Entscheidungen Ausdruck der neuen machtpolitischen
Gegebenheiten und eher eine Mischung aus Beruhigungspille für die
Öffentlichkeit und regimeinterner Abrechnung.
Losgetreten wurde die Verhaftungs- und Anklagewelle gegen Bouteflikas
Vertraute durch die schon im Februar 2019 ausgebrochenen
Massendemonstrationen, die den seit 1999 regierenden Präsidenten sechs
Wochen später zum Rücktritt zwangen. Mit Bouteflika konkurrierende
Fraktionen im Machtapparat nutzten dabei die Gunst der Stunde und
instrumentalisierten die Proteste, um sich Bouteflikas Clan innerhalb der
Staatsklasse zu entledigen.
## Neue Elite kämpft an zwei Fronten
Die Proteste gingen jedoch bis zur Coronakrise im März 2020 ununterbrochen
weiter und richteten sich seit Bouteflikas Abtritt gegen das Regime als
Ganzes. Die neu organisierte Elite, in der der Sicherheitsapparat seinen
Einfluss massiv ausweiten konnte, versucht derweil, die Büchse der Pandora
wieder zu schließen.
Einerseits will sie der Protestbewegung mit [3][immer stärkerer Repression]
endlich den Garaus machen; andererseits spannt sie die Polizei und Justiz
dafür ein, systematisch Verbündete des geschassten Staatschefs vor Gericht
zu zerren und damit die Neuaufstellung des Machtapparates zu konsolidieren.
Die Urteile vom Mittwoch symbolisieren deshalb auch nur die Spitze des
Eisberges. Die Korruption im Land reicht tiefer und ist nicht einmal
ansatzweise überwunden, vor allem da der Militärapparat bisher kaum von
Korruptionsanklagen betroffen ist. Vielmehr geht die Justiz gezielt gegen
den gestürzten Bouteflika-Clan vor und lässt die neuen Mächtigen in Algier
– vor allem die mit Tebboune verbandelten Generäle – weitgehend
unbehelligt.
2 Jul 2020
## LINKS
[1] /20-jaehrige-Amtszeit-in-Algerien-endet/!5585397
[2] /Praesidentschaftswahl-in-Algerien/!5649820
[3] /Protest-in-Algerien/!5691092
## AUTOREN
Sofian Philip Naceur
## TAGS
Algerien
Abdelaziz Bouteflika
Algerien
Algerien
Algerien
Afrobeat
Protest
## ARTIKEL ZUM THEMA
Verfassungsreform in Algerien: Neue Verfassung, neue Hoffnung
Nur ein Viertel der Wahlberechtigten in Algerien hat sich an dem Votum über
eine neue Verfassung beteiligt. Der Protestbewegung gibt das Aufwind.
Massenabschiebungen aus Algerien: In die Wüste und aus dem Land
Seit Ende September hat Algerien mehr als 5.000 Menschen abgeschoben.
Beobachter sprechen von einer „Kriegserklärung an Migrant*innen“.
Pressefreiheit in Algerien: Zwei Jahre Haft für Journalisten
Wie kein anderer berichtete er über die regimekritische Bewegung Hirak. Nun
hat ein Gericht Khaled Drareni zu zwei Jahren Haft verurteilt.
Algeriens Geschichte wirkt weiter: Die Kinder von Bab el-Oued
Mit der Kraftprobe zwischen Staatsmacht und Islamisten im Sommer 1991
begann in Algerien der Krieg, der die Sahelregion bis heute erschüttert.
Protest in Algerien: „Hirak“ vor der Zerreißprobe
Wegen Corona pausierte die algerische Protestbewegung. Das Regime nutzte
die Zeit und ging gegen AktivistInnen vor. Geht es jetzt wieder weiter?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.