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# taz.de -- taz-Sommerserie: „Sommer vorm Balkon“: Amazonien in Marzahn
> Durch Auenlandschaften und begleitet von Rehen durch Marzahn wandern? Das
> ist möglich auf dem Radwanderweg entlang der Wuhle.
Bild: Das kleine Flüsschen Wuhle
Berlin taz | In Sichtweite des Stadions An der Alten Försterei in Köpenick
fließt die Wuhle nach 17 Kilometern in die Spree. Wer eine
Wuhletal-Radwanderung machen möchte, beginnt praktischerweise hier am Ende
des kleinen Flüsschens und folgt der Wuhle entgegen der Fließrichtung. Denn
die Wuhlequelle nordöstlich von Berlin ist nicht zugänglich, der größte
Teil ihres Flusslaufs wird hingegen von einem der schönsten Radwanderwege
Berlins flankiert.
Weiße Seerosen blühen in der Wuhle nahe ihrer Mündung. Eine Schwanenfamilie
führt ihre Jungen zum Schwimmen aus. Buchen, Erlen und Holunderbüsche ragen
weit in das Flüsslein, das mehr steht als fließt. Für die Sportler des 1.
FC Union und der Köpenicker Sportanlagen ist der Radweg Teil ihrer
Joggingstrecken. Nach einem Kilometer führt er an der Rückseite des
Einkaufszentrums Forum Köpenick vorbei. Wer für die Radwanderung über
Köpenick, Hellersdorf und Marzahn noch etwas benötigt, sollte hier
einkaufen: So urban wie hier ist es lange nicht mehr.
Immer wieder wird die selbst in Mündungsnähe schmale Wuhle unter Straßen
hindurchgeleitet. Wer hinter dem S-Bahnhof Köpenick ihren Verlauf wieder
aufnimmt, merkt jetzt nichts mehr vom Großstadttrubel. Ein paar
Rentnerinnen gehen spazieren. Auf dem Spielplatz toben keine Kinder. Nach
Überqueren der Hoppendorfer Straße ist der Wuhleradweg nicht mehr
durchgängig betoniert, aber durchaus gut befahrbar. Und es wird noch
stiller zwischen den Ausläufern des nach der Wuhle genannten Wäldchens
Wuhlheide und wenigen Einfamilienhäusern und Gärten.
Einen knappen Kilometer weiter erinnern Stelen an ein Zwangsarbeitslager an
dieser Stelle. Ab 1939 wurden hier zuerst Wolhyniendeutsche, die im Zuge
des Hitler-Stalin-Pakts aus dem Gebiet der heutigen Ukraine nach Berlin
zwangsumgesiedelt wurden, später französische Kriegsgefangene und
sowjetische ZwangsarbeiterInnen, die in Bahnwerken arbeiten mussten, unter
menschenunwürdigen Bedingungen interniert.
## Abwasser in der Wuhle
Man tut gut daran, an den Stelen nicht dem Wuhlewanderweg zu folgen, der
jetzt am linken Ufer verläuft, sondern die nächsten Kilometer rechts der
Wuhle zu fahren. Dann nämlich kommt man am Wuhlesee vorbei, dem einzigen
See im ganzen Flussverlauf, in dem Baden möglich ist. Der 520 Meter lange
und gut 100 Meter breite See ist kein offizielles und wegen des schlammigen
Untergrunds auch kein schönes Badegewässer. Er wurde künstlich angelegt,
damit die nur ganz langsam dahinplätschernde Wuhle hier Schlamm ablagern
kann.
Bis 2003 wurden Abwässer eines Klärwerkes in die Wuhle geleitet. Seit der
Stilllegung des Klärwerks fließt ein Kubikmeter Wasser pro Sekunde weniger
durch den kleinen Fluss. Er wurde zwischen 2005 und 2008 auf die geringere
Wassermenge ausgerichtet und renaturiert.
Hinter dem See wird es dunkel. Schmale, hohe Birken und Ahornbäume stehen
jetzt dicht an dicht am Ufer und ragen weit in die Wuhle hinein.
Abgefallene Äste vermodern im Flüsschen. Sie erzeugen eine verwunschene
Atmosphäre von Amazonien in Berlin. Die Idylle inmitten von Berlin ist
vorbei, wenn der Weg in Biesdorf wieder eine Straße überquert. Hier sollte
man die Uferseite wieder wechseln und links dem offiziellen Radwanderweg
folgen: Am rechten Ufer würde man irgendwann im Morast der Auenlandschaft
versinken. Die Wuhle hat den Bezirk Marzahn-Hellersdorf erreicht.
## Stadtbezirk Wuhletal?
Wäre es nach dem Willen der bezirklichen CDU gegangen, hätte der Bezirk
sich nach der Fusion von Marzahn und Hellersdorf 2001 nicht den sperrigen
Doppelnamen gegeben. Er hieße heute „Wuhletal“. Die Abstimmung war knapp,
eine einzige Stimme gab den Ausschlag für den Namen Marzahn-Hellersdorf.
„Marzahn und Hellersdorf sind nur zwei Ortsteile unter vielen im Bezirk“,
begründet der stellvertretende CDU-Bezirkschef Christian Gräff den
Namenswunsch gegenüber der taz, den die CDU immer mal wieder in die Debatte
warf, zuletzt 2016. „Viele Bürger aus Ortsteilen wie Biesdorf, Kaulsdorf
oder Ahrensfelde können sich damit nicht identifizieren.“ Das Wuhletal
hingegen durchziehe alle Ortsteile des Bezirks, sagt Gräff. Der Name böte
darum mehr Identifikation.
In Biesdorf tangiert der Radwanderweg die erste Erhöhung: die Biesdorfer
Höhe. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs wurde sie als Müllkippe genutzt,
ab den 1950er Jahren lud die DDR hier Schutt ab, der beim Bau der
Stalinallee und bei der Sprengung des Berliner Stadtschlosses anfiel.
Dadurch wuchs der Berg auf 82 Meter an und wurde zu einem Aussichtspunkt
umgestaltet, der allerdings in den letzten Jahren nicht in Schuss gehalten
wurde. Der Aufstieg lohnt nicht, denn wo es vor zehn Jahren noch
Sichtachsen bis zum Fernsehturm gab, ist heute alles zugewachsen.
Statt auf den Berg zu steigen, kann man sich auf eine der Bänke an seinem
Fuß setzen und den Blick über die Auenlandschaft genießen, in der die Wuhle
sich verliert. Wer zu Fuß oder mit Kindern unterwegs ist, kann am nahen S-
und U-Bahnhof Wuhletal nach etwa der Hälfte des 16 Kilometer langen Radwegs
den Ausflug beenden und ihn vielleicht an einem anderen Tag fortsetzen.
Hinter der Bahnstation enden die Einfamilienhaussiedlungen, hier beginnt
das Plattenbaugebiet von Marzahn-Hellersdorf.
## Kein Geheimtipp
Der Wuhletalweg ist hier kein Geheimtipp mehr, sondern Ausflugsort für die
Bewohner der Hochhäuser. Russlanddeutsche Familien schieben an den
Wochenenden den Kinderwagen, Ehepaare führen den Hund aus, der sich auch
über ein Bad in einem der vielen kleinen Seen freut, die das Feuchtbiotop
hier bietet.
Kommt man aber an Wochentagen, kann man auch zwischen der Hochhauskulisse
so etwas wie Naturidylle erleben. „Mittwoch vormittag habe ich sogar mal
ein Reh im Schilf verschwinden sehen“, sagt Frank Petersen. „Wo sieht man
sonst so etwas in Berlin?“ Petersen ist Pressesprecher des Bezirks
Marzahn-Hellersdorf. Das Wuhletal gehört zum Stolz des Bezirks. „Die
naturräumliche Bedeutung des Wuhletals ist aufgrund der artenreichen
Tierwelt, der Auenwälder, Wiesen und Teiche in direkter Nachbarschaft zu
Wohngebieten enorm.“ Das ist so ein Satz, mit dem der Bezirk wirbt.
2015 begann mit den Vorbereitungen auf die Internationale
Gartenbauausstellung eine Aufwertung rund um den Kienberg. Am neu
geschaffenen Wuhleteich, in den man die Beine baumeln lassen kann, lädt das
Umweltbildungszentrum der Grün Berlin GmbH Kindergruppen und Familien zu
Umweltseminaren ein, zu denen man sich allerdings anmelden muss. Man kann
im Gemeinschaftsgarten gärtnern. Man kann Tiere, Pflanzen und Einzeller
kennenlernen, die im Schilf leben. Oder man beobachtet die Pferde, Rinder
und Schafe, die hier angesiedelt wurden, damit sie mit dem Abfressen der
jungen Gehölze der Verbuschung entgegenwirken und helfen, die
Auenlandschaft zu erhalten.
Auch ein Besuch in den Gärten der Welt bietet sich an. Und natürlich eine
Fahrt mit der Seilbahn. Sie wurde eigens zur IGA in Betrieb genommen, damit
die Besucher nicht das ökologisch sensible Wuhletal zertrampeln.
Auf ihrem weiteren Weg bleibt die Wuhle vom Fahrradweg aus oft unsichtbar.
Nur eine Vertiefung in der Schilflandschaft ergibt eine Ahnung, wo sie
fließt. In Ahrensfelde haben Kinder eine etwa einen Kilometer lange
Teilstrecke des Radwegs mit bemalten Feldsteinen gesäumt. Am S-Bahnhof
Ahrensfelde kann man die Radtour beenden und bequem mit der S-Bahn nach
Hause fahren.
19 Jul 2020
## AUTOREN
Marina Mai
## TAGS
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