# taz.de -- Humboldt-Uni und die digitale Lehre: „Die Krise hat den Fokus ver… | |
> Digitale Lernkonzepte erfordern Zeit und Aufwand: Andreas Goroncy von der | |
> Humboldt-Universität im Interview über eine Mammutaufgabe. | |
Bild: So sieht digitale Lehre aus (ein Bild aus der Schweiz; Lausanne) | |
taz: Herr Goroncy, welche Rolle spielte die digitale Lehre vor der Pandemie | |
im Universitätsbetrieb? | |
Andreas Goroncy: In der Lehre waren wir sehr aktiv und haben Lernszenarien | |
mitentwickelt, mit denen Präsenzlehre digital angereichert werden kann. | |
Wir haben schon immer Videokonferenzen gemacht und die technische | |
Unterstützung dafür geliefert. Im Grunde war es aber eher so, dass wir | |
jahrelang eine Werbetour gemacht haben für unsere Dienste. | |
Als die Pandemie dann ausbrach und die Ankündigung kam, das Coronasemester | |
werde ein „Digital- und Kreativsemester“, hatten Sie und Ihr Team sicher | |
alle Hände voll zu tun. Wie haben Sie diese Umstellung bewältigt? | |
Die Krise hat natürlich den Fokus komplett verändert. Da wollten plötzlich | |
alle wissen, was eigentlich alles da ist. Unsere Videokonferenzplattform | |
des Deutschen Forschungsnetzes, auf die wir bisher gesetzt hatten, konnte | |
550 Menschen gleichzeitig mit einer Videokonferenz versorgen – und das auf | |
alle 400 Hochschulen des Landes verteilt. Das hat immer locker ausgereicht, | |
weil viele der Meinung waren, Videokonferenzen bräuchte man ja nicht, da | |
man lieber selbst zu den Vorträgen hingereist ist. | |
Wie war Kommunikation überhaupt möglich? | |
Sämtliche Telefon- und Videokonferenzen scheiterten, weil die Technik nicht | |
da war. Die ersten zwei, drei Wochen war Stillstand. Da musste relativ | |
schnell eine Entscheidung gefällt werden, welchen Dienst man nimmt. Der | |
musste auch gut genug sein, um massenhafte Anfragen gleichzeitig zu | |
bedienen und dabei auch noch einfach zu bedienen sein. Dann haben wir uns | |
relativ schnell und in Abwägung der Sicherheitsbedenken für die lizenzierte | |
Version von Zoom entschieden. | |
Zoom wurde ja aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken stark kritisiert. | |
Unter anderem wurden Daten an Facebook weitergeleitet. | |
Zoom hat relativ schnell und deutlich auf Kritik reagiert. Sie sind auf | |
viele Punkte, unter anderem das Datenleck an Facebook, eingegangen und | |
haben viele Einstellungen systemseitig abgestellt. Wir hatten natürlich | |
auch die Chance, unsere Zoom-Installation anzupassen und so datensparsam | |
wie möglich zu konfigurieren. | |
Warum keine eigene Lösung? | |
In der kurzen Zeit, in der wir Zoom eingekauft haben, hätten wir im Leben | |
keine Server beschaffen können. Wir haben auch Bestrebungen einen eigenen | |
Videokonferenzdienst-Server aufzubauen, der mit Open-Source-Software | |
betrieben ist. Die Serverbestellung dauert aber Monate. | |
Wie wurde die digitale Lehre jetzt umgesetzt, außer die Seminare in Zoom zu | |
verlagern? | |
Unser Ansatz war immer, dass digitale Lehre vor allem asynchron sein | |
sollte. Das heißt, die Phase der Wissensvermittlung, wo mir jemand Stoff | |
als Input gibt, zeit- und ortsunabhängig zu gestalten. Zum Beispiel | |
produziert man Videos vor und stellt die dann zur Verfügung. Wenn meine | |
Netzverbindung zusammenbricht, dann kann ich mir das Video, in dem das | |
Wissen vermittelt wird, immer noch später angucken. | |
Und wurde das in der Praxis auch so umgesetzt? | |
So ein Lehrkonzept umzustellen, erfordert sehr viel Zeit und die war nicht | |
vorhanden. Viele Lehrende haben das gemacht, was sie eh immer gemacht | |
haben. Das heißt, man trifft sich in einem digitalen Raum, dann unterhält | |
man sich dort 90 Minuten lang und dann macht man den Raum wieder zu. So | |
eine 1:1-Umsetzung aus der Präsenzlehre funktioniert so eigentlich nicht. | |
90 Minuten Videokonferenz sind wahnsinnig anstrengend und wenn nach dieser | |
Vorlesung die nächste Vorlesung ansteht, verlangt man den Zuhörer*innen zu | |
viel ab. Die Aufmerksamkeitsspanne am Laptop ist auch deutlich kürzer. Es | |
gab auch Leute, die haben im ganzen Semester versucht, es anders zu machen. | |
Viele sind dabei aber auch an ihre zeitlichen, geistigen und körperlichen | |
Kapazitäten gekommen. Es gab sehr viel Überbelastung der Lehrenden und auch | |
der Studierenden in diesem Semester. Der Arbeitsaufwand für alle Seiten ist | |
enorm. | |
Es gab zu Beginn Zweifel daran, ob alle Studierenden die nötigen | |
technischen Voraussetzungen für die digitale Lehre haben. | |
Die Frage hat uns viel beschäftigt. Es gab immer wieder Netzprobleme bei | |
Studierenden und bei Lehrenden. Was die Endgeräte angeht, haben wir über | |
unser Rechenzentrum Leihlaptops an die Fakultäten verteilt. Es gibt auch | |
eine studentische Initiative, die das gemacht hat. Fürs kommenden Semester | |
wollen wir versuchen, den Studierenden Arbeitsplätze zu ermöglichen, wo sie | |
eine stabile Netzverbindung und ruhigen Raum haben. | |
Gibt es auch Dinge, die bleiben werden, wenn die Pandemie vorbei ist? | |
Ich habe das Gefühl, dass die Leute tatsächlich gemerkt haben, | |
Videokonferenzen: Das geht schon, man muss nicht tatsächlich zu allem | |
hinreisen, um mal ein Vortrag zu halten. Das ist auch im Sinne der | |
Nachhaltigkeit eine wünschenswerte Entwicklung. | |
Wird digitale Lehre der neue Standard? | |
Die digitale Lehre versucht nicht, die Präsenzlehre in irgendeiner Form | |
abzuschaffen, sondern will sie bereichern. In der Krise wurde der Prozess | |
sehr beschleunigt. Jetzt muss man schauen, was sich tatsächlich bewährt | |
hat. Digitale Lehre kann gut oder schlecht sein, aber das gleiche gilt auch | |
für die Präsenzlehre. | |
18 Jul 2020 | |
## AUTOREN | |
Jonas Wahmkow | |
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