| # taz.de -- Soziologin über Queere Stadtplanung: „Verschiedene Blickwinkel“ | |
| > Lange wurde nicht versucht, Städte inklusiver zu gestalten. Stadtplanung | |
| > gilt noch als heterosexistisch. Ein Gespräch mit Soziologin Nina | |
| > Schuster. | |
| Bild: „Raum kann sich nicht weiterentwickeln, bevor es Menschen tun“, sagt … | |
| taz: Frau Schuster, was genau macht die Stadtplanung zu einem | |
| heterosexistischen Projekt? | |
| Nina Schuster: Stadtplaner*innen haben häufig ein an heterosexuellen Normen | |
| geprägtes Bild im Kopf, weshalb eher für Familien, Kinder und eventuell | |
| noch für alte Menschen geplant wird. Alle anderen gesellschaftlichen | |
| Gruppen werden also in der Planung nicht mitgedacht. | |
| Werden die Bedürfnissen anderer sozialer Gruppen absichtlich missachtet? | |
| Vielen Menschen, die in der Stadtplanung arbeiten, ist häufig gar nicht | |
| bewusst, dass sich Bedürfnisse unterscheiden. Sie gehen meistens von sich | |
| selbst aus und ignorieren andere Blickwinkel. Mir fällt immer wieder auf, | |
| wie vielen Stadtplaner*innen gar nicht bewusst ist, dass es Menschen gibt, | |
| die sich weder als Frauen noch als Männer identifizieren. Den konkreten | |
| Anspruch auf eine dritte Toilette haben sie also gar nicht auf dem Schirm. | |
| Ein weiteres Problem der Stadtplanung ist, dass sie es nie allen recht | |
| machen kann. Wenn sie an eine gesellschaftliche Gruppe denkt, verliert sie | |
| andere aus dem Fokus. Aktuell sind es die vulnerabelsten Gruppen, wie | |
| obdachlose Menschen, die in der Planung schlichtweg ignoriert werden. Da | |
| Stadtplanung Teil der Gesellschaft ist, sind Geschlechterverhältnisse und | |
| die Ordnung nach race, nationaler Herkunft und Hautfarbe in viele Projekte | |
| mit eingeschrieben. Das sieht man auch daran, dass es in jeder Stadt | |
| weniger gut bis sehr gut angesehene Viertel gibt. | |
| Wieso sind solche Viertel in der Stadtplanung schon mit eingeplant? | |
| In Stadtvierteln, in denen es mehr Lärm, Dreck oder Emissionen gibt, | |
| befinden sich die günstigeren Wohnungen, während der Boden dort teuer ist, | |
| wo es bessere Luft gibt. Dementsprechend leben in den besseren Vierteln | |
| auch Menschen, die es sich leisten können. Es ist häufig eine Forderung an | |
| die Stadtplanung, leistbaren Wohnraum, also Sozialwohnungen, mit zu planen. | |
| Diese werden dann zum Beispiel an viel befahrenen Straßen platziert und | |
| dazu genutzt, bessere Viertel von Lärm abzuschirmen. | |
| Wie heterosexistisch oder heterosexuell sind deutsche Städte? | |
| In deutschen Städten kommt es immer noch zu Verdrängung, Diskriminierung | |
| oder Repressionen im öffentlichen Raum. Schwule Männer waren bis vor | |
| einigen Jahrzehnten [1][noch besonders stark von Kriminalisierung | |
| betroffen], es gab Razzien und Verfolgung. Die Auswirkungen spürt man auch | |
| heute noch. So gibt es im öffentlichen Raum wenige homosexuelle Paare, die | |
| händchenhaltend durch die Stadt gehen. Selbst im privaten Raum, der auch | |
| zur Stadt gehört, müssen sich noch viele Menschen verstecken. | |
| Kann sich Stadtplanung überhaupt verändern, bevor sich die Gesellschaft | |
| wandelt? | |
| Wenn ich Studierende an der Universität im ersten Semester erlebe, merke | |
| ich, dass viele von ihnen Einfluss nehmen und die Gesellschaft verändern | |
| und verbessern möchten. Im Studium ist es wichtig, den Studierenden | |
| deutlich zu machen, dass es viele verschiedene Blickwinkel auf die Welt | |
| gibt. Raum kann sich nämlich nicht weiterentwickeln, bevor es Menschen tun. | |
| Muss die queere Community aktiv Ansprüche an die Stadtplanung stellen, | |
| damit unsere Städte inklusiver werden können? | |
| Das größte Problem ist, dass [2][die Mehrheitsgesellschaft oftmals blind | |
| für andere Bedürfnisse ist] und diese ignoriert. Das sieht man auch an der | |
| aktuellen Rassismusdebatte. Es scheint deshalb leider immer wieder die | |
| Aufgabe der Minderheiten zu sein, sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. Sie | |
| müssen sich also immer wieder aufraffen und die eigene Stimme erheben. Wenn | |
| sie sich nämlich nicht im gegenöffentlichen Raum organisieren, entsteht | |
| nichts, was man Community nennen könnte. Diese subkulturellen Räume sind | |
| von großer Bedeutung, weil dort Visionen entwickelt werden und sich | |
| Menschen frei entfalten können. [3][Eine | |
| Christopher-Street-Day-Demonstration] kann dementsprechend eine temporäre | |
| Raumproduktion sein, die eine Stadt prägt. | |
| Kann Stadtplanung auf die Bedürfnisse jeder einzelnen Minderheit eingehen? | |
| Bedürfnisse müssten erst mal artikulierbar werden, und um das zu | |
| ermöglichen, müssen wir als Gesellschaft allen eine Stimme zugestehen. Es | |
| haben schließlich noch immer nicht alle Menschen politische Teilhabe. | |
| Deshalb können wir gar nicht wissen, was die Bedürfnisse einzelner | |
| Minderheiten sind. Die Stadtplanung könnte sich selbst aber mehr Gedanken | |
| darüber machen, was abgesehen von Parkplätzen, Fahrradstreifen oder | |
| Spielplätzen gebraucht wird und welche Art der Raumnutzung Menschen in | |
| einer Stadt eigentlich wollen. | |
| Diese Gedanken lässt das kapitalistisches System aber oft nicht zu, denn | |
| Stadtplanung muss sich unter anderem an unternehmerischen Verwaltungen und | |
| bestimmten Interessen orientieren. Wie groß der Einfluss der Autolobby ist, | |
| zeigt sich schließlich auch daran, wie schwer es ist, eine fahrradgerechte | |
| Stadt umzusetzen. | |
| Was sind denn Bedürfnisse queerer Menschen an eine Stadt oder einen Raum? | |
| „Cruising-Orte“ sind Räume, an denen sich schwule Männer zum Sex treffen. | |
| Diese Treffpunkte werden immer wieder als Beispiel genannt, sei es auf | |
| Toiletten oder in Parks. Solche Orte verschwinden immer wieder, genau wie | |
| Bänke für Obdachlose oder Möglichkeiten zum Skaten. Das könnte auch anders | |
| sein. In Basel gab es vor einigen Jahren ein Projekt, bei dem eine Toilette | |
| im Schützenmattpark gemeinsam mit der Community umgestaltet wurde. | |
| Was andere sexuelle Minderheiten angeht, gibt es leider zu wenig Forschung. | |
| Was Stadtplanung abgesehen von einer dritten Toilette speziell für trans | |
| oder inter Menschen machen könnte, ist schwer zu sagen. Es wäre aber schon | |
| viel erreicht, wenn diejenigen, die Stadtplanung studieren, reflektieren | |
| würden, welche gesellschaftlichen Ungleichheiten bestehen. | |
| Ist queere Kritik an Stadtplanung auch abseits der Großstadt möglich? | |
| Die Großstadt ist definitiv mit dem Konzept verbunden. Es braucht nämlich | |
| eine Community, die groß und relevant genug wird, um Kritik zu formulieren. | |
| Zwar gibt es sicherlich genauso viele queere Menschen auf dem Land wie in | |
| der Stadt, die leben aber nicht alle am gleichen Ort und können deshalb nur | |
| schwer einen kollektiven Raumanspruch stellen. | |
| Wie kann es queere Stadtplanung schaffen, dass keine Homonormativität | |
| entsteht, die weiße schwule Männer privilegiert und als Norm nimmt? | |
| Jedes Mal, wenn sich eine neue Identität Anerkennung verschafft, werden | |
| andere Menschen ausgegrenzt. Das ist immerhin auch der Sinn von Identitäten | |
| – es geht um Abgrenzung und Positionierung. Das passiert automatisch und | |
| genau darin besteht die identitätspolitische Falle. Über die Frage, wie es | |
| möglich sein kann, da rauszukommen und noch sinnvoll Politik zu machen, | |
| wird immer wieder gestritten. Denn die Idee von „queer“ ist das Aufbrechen | |
| fest umrissener Identitäten. Stadtplanung könnte städtische Räume für | |
| unterschiedliche Bedürfnisse offen halten, flexibel bleiben und damit | |
| gesellschaftliche Veränderungen zugunsten derer begleiten, die | |
| marginalisiert werden. | |
| 14 Jul 2020 | |
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| Steven Meyer | |
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