# taz.de -- Unterbringung von Schlachthofarbeitern: Aber nicht in unserem Dorf | |
> Im niedersächsischen Badbergen baut Tönnies ein „Rinderkompetenzzentrum�… | |
> Und versucht, alte Dorfgasthäuser als Unterkünfte zu kaufen. | |
Bild: Mit Tönnies werden weder Tiere noch Arbeiter noch Anwohner glücklich | |
HANNOVER taz | Menslage ist nur ein Beispiel. Ein hübsches Örtchen in der | |
Samtgemeinde Artland, nördlich von Osnabrück, rund 2.500 Einwohner:innen, | |
gepflegte Vorgärten, schmucke Häuser, Fassaden aus altem Backstein oder | |
neuem roten Klinker. Mitten im Ort liegt die alte Gaststätte König, ein | |
wuchtiger Backsteinklotz, gepflegt, aber hoffnungslos altmodisch, Typ | |
Traditionsgaststätte mit langen Häkelgardinen und rustikaler | |
Inneneinrichtung – wo man halt hingeht, weil es vor Ort wenige Alternative | |
gibt, weil alle das so machen, seit Generationen schon. | |
Und da, in die alten „Fremdenzimmer“, sollen nun Tönnies-Mitarbeiter:innen | |
einziehen. Hauptsächlich Rumän:innen, vermutet man. Davon gibt es in der | |
Gegend schon einige. Über die genaue Anzahl kursieren wilde Gerüchte, auch | |
die sind Teil des Problems – nicht [1][erst seit der Fleischkonzern des | |
Ex-Schalke04-Chefs von Corona-Skandalen geschüttelt wird]. | |
Tönnies baut seit 2017 im nahe gelegenen Badbergen einen alten Schlachthof | |
zu einem „Rinderkompetenzzentrum“ um. Dem größten und modernstem Europas, | |
so schreibt der Konzern es jedenfalls in seinen Pressemitteilungen. 85 | |
Millionen Euro investiert die Unternehmensgruppe hier. 900 Tiere am Tag | |
sollen in der Anlage nach deren Fertigstellung geschlachtet, zerlegt und | |
kommissioniert werden. Soweit möglich vollautomatisch und mit Hilfe von | |
Robotern, deshalb werden „nur“ 500 bis 700 Arbeiter:innen benötigt. | |
## Gastwirte finden keine Nachfolger | |
Aber auch die müssen irgendwo unterkommen. Und offensichtlich ist Tönnies | |
dieses Mal gewillt, sich selbst um diese Unterkünfte zu kümmern, statt dies | |
wie sonst Subunternehmern zu überlassen. In Badbergen selbst, in | |
unmittelbarer Nähe zum Werk, sollen Werkswohnungen entstehen. Neubauten, | |
nach dem Vorbild einer Mustersiedlung in Lemgo. Über die Details verhandeln | |
Gemeinde, Landkreis und Unternehmen noch – seit fast zwei Jahren, also weit | |
vor den [2][Corona-Ausbrüchen im Hauptwerk] in Rheda-Wiedenbrück. | |
Allerdings pocht der Bürgermeister in Badbergen auf eine Obergrenze. 300 | |
Arbeiter:innen sollen hier unterkommen, der Rest auf benachbarte | |
Ortschaften verteilt werden. Dort hat sich Tönnies auf die Suche nach | |
Gasthäusern oder Hotels begeben. Und ist mindestens in Menslage und | |
Bersenbrück fündig geworden, über weitere Orte wird nur gemunkelt. | |
Die Konstellation ist oft ähnlich: Es sind alteingesessene Familienbetriebe | |
in der nunmehr letzten Generation – mit Inhabern oder Pächtern, die aus | |
Alters- oder Gesundheitsgründen aufhören müssen, aber Schwierigkeiten | |
haben, Nachfolger zu finden. | |
## In Bersenbrück und Menslage gibt es Zoff um die Pläne | |
In Bersenbrück betrifft dies das Drei-Sterne-Hotel Lange mit seinen 20 | |
Gästezimmern. Und auch hier hat die Nachricht für einiges Aufsehen gesorgt. | |
In einer Hauruck-Aktion hat der Rat eine Veränderungssperre über das Gebiet | |
verhängt. Damit hat man erst einmal verhindert, dass Tönnies das Gebäude | |
umbauen und anders nutzen kann. Jetzt nutzt der Fleischkonzern eben die | |
Hotelzimmer zur Unterbringung seiner Arbeiter – und hat das Gebäude wohl | |
vorläufig nur gepachtet und noch nicht gekauft. | |
Die Fraktionssprecherin der Grünen, Elisabeth Middelschulte, hätte gern den | |
zuständigen Tönnies-Geschäftsführer dazu in öffentlicher Sitzung befragt �… | |
doch die Ratsmehrheit und der CDU-Bürgermeister verhinderten, das der Punkt | |
auf die Tagesordnung kam. | |
In Menslage ging der Riss noch tiefer: Die Diskussion eskalierte derart, | |
dass der langjährige Bürgermeister Jürgen Kruse (SPD) seinen Rücktritt | |
erklärte. Zwar hatte der 71-Jährige ohnehin vor, sein Amt im kommenden Jahr | |
aufzugeben – aber der giftige Dorfstreit sorgte nun dafür, dass er dies | |
deutlich früher tat. | |
## Ein Bürgermeister tritt zurück | |
Dazu beigetragen hat wohl der Umstand, dass dank Corona geplante | |
Infoveranstaltungen nicht stattfinden konnten – stattdessen wurden die | |
Debatten auf Whatsapp und Facebook ausgetragen, mit der dort üblichen | |
Heftigkeit. | |
Das Spektrum reichte von eindeutig rassistischen Beiträgen, die die | |
gleichen Erzählmuster wie in der Flüchtlingskrise bedienten, bis hin zu | |
Dorfbewohner:innen, die vor allem den Verlust des Festsaales betrauerten. | |
In dem fand von Vereinssitzungen über Familienfeiern, Beerdigungen und | |
Weihnachtsmärkten alles statt, erläutert Kruses Nachfolgerin Doris Schmidt | |
(SPD). | |
Die neue Dorfbürgermeisterin will sich dafür einsetzen, dass dieser | |
Dorfmittelpunkt irgendwie erhalten bleibt, auch wenn darüber nun | |
möglicherweise bald Schichtarbeiter schlafen. | |
Gleichzeitig gibt es im Ort schon Überlegungen, den Helferkreis | |
wiederzubeleben, der sich hier um Flüchtlinge gekümmert hat. Damit, sagt | |
Schmidt, die selbst dazugehörte, habe man ja eigentlich Super-Erfahrungen | |
gemacht. Leider sei von den Flüchtlingsfamilien nur eine geblieben – die | |
anderen sind weitergezogen, weil sie im Dorf keine Perspektive für sich | |
sahen. | |
## Lokal gibt es kaum Kontrollmöglichkeiten | |
Im Hinblick auf die Einflussmöglichkeiten auf Tönnies und Konsorten machen | |
sich die heimischen Sozialdemokraten wenig Illusionen. Einzelne | |
Ratsmitglieder mögen ja gehofft haben, man könnte die Immobilie mal eben | |
selbst erwerben, aber das geben die Gemeindefinanzen nicht her, erläutert | |
Claus Peter Poppe (SPD), bei dem als Samtgemeindebürgermeister in | |
Quakenbrück die Fäden aus allen betroffenen Ortschaften zusammenlaufen. | |
Er versteht allerdings auch [3][das grassierende Misstrauen gegenüber | |
Tönnies' vollmundigen Ankündigungen], hier Vorzeigewohnprojekte zu | |
schaffen. „Natürlich glaube ich niemandem in der Branche einfach so auf | |
seine blauen Augen hin“, sagt Poppe. Man habe da schließlich so seine | |
Erfahrungen gemacht. Jede noch so winzige Verbesserung ist das Ergebnis | |
zäher, oft jahrelanger Verhandlungen. Nicht nur mit Tönnies, mit „Danish | |
Crown“ sitzt ein ähnlich problematischer Konzern im Nachbarkreis. | |
„Wir versuchen hier den Fuß in die Tür zu kriegen und als | |
Verhandlungspartner aufzutreten“, sagt Poppe. „Das geht aber nur in den | |
Fällen, in denen Tönnies Baugenehmigungen braucht und deshalb verhandeln | |
muss.“ Auch in Menslage sollten die Nebengebäude des Gasthofes umgebaut | |
werden, um weitere Zimmer und Mini-Appartments zu schaffen. | |
In solchen Fällen könne man Mindeststandards vereinbaren oder eine Art | |
Sozialpakt, der das Unternehmen zwingt, einen Teil der Integrationskosten | |
mitzutragen, in dem er Beratungsstellen oder Sozialarbeiterstunden | |
mitfinanziert. Sonst laufe es wie immer, sagt Poppe: Die Arbeiter:innen | |
landen in heruntergekommenen Häusern skrupelloser Vermieter:innen und der | |
Gemeinde fehlt die Handhabe, um dagegen vorzugehen. „Wir haben kaum | |
Kontrollmöglichkeiten und die auch nur, wenn es konkrete Beschwerden gibt.“ | |
13 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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