# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Polen: Demokratie oder Diktatur | |
> Bei der polnischen Präsidentschaftswahl geht es um eine | |
> Grundsatzentscheidung, auch für Europa: liberale Demokratie oder | |
> autoritäres Regime? | |
Bild: LGBT-Anhänger protestieren gegen Präsident Duda auf einer Wahlkampfvera… | |
Aus politikwissenschaftlicher Sicht handelt es sich bei der [1][polnischen | |
Präsidentschaftswahl] um keinen gewöhnlichen politischen Entscheid zwischen | |
zwei Kandidaten. In der Stichwahl am 12. Juli konkurrieren nicht einfach | |
nur ein konservativer und ein liberaler Bewerber mit ihren jeweiligen | |
politischen Programmen gegeneinander. Auf der Basis von Gewaltenteilung und | |
garantierten politischen Rechten wäre das ein normaler Vorgang. So | |
funktioniert Demokratie. Im vorliegenden Fall geht es aber um mehr, nämlich | |
um eine systemische Grundsatzentscheidung: liberale Demokratie oder | |
autoritäre Diktatur? | |
Wenn sich mit [2][Andrzej Duda] der Kandidat der PiS-Partei durchsetzt, | |
wäre neben Ungarn auch das polnische Staatswesen weiterhin jenem | |
diktatorischen Umbau ausgeliefert, der die Wertegemeinschaft der | |
Europäischen Union schon seit Langem unterminiert. Ausgestattet mit den | |
Vetomöglichkeiten des polnischen Präsidenten könnte die Opposition die | |
Abschaffung der Demokratie zwar nicht gänzlich zurückschrauben, aber | |
immerhin behindern. Auf die EU sollte man indes nicht allzu sehr hoffen, zu | |
groß war der ostmitteleuropäische Jubel für die wirtschaftsliberale | |
Kommissionsvorsitzende Ursula von der Leyen. | |
In den letzten Monaten hat vor allem die Hetze der PiS gegen Minderheiten | |
für Aufsehen gesorgt. Zahlreiche polnische Gemeinden hatten sich zu | |
„LGBT-freien Zonen“ erklärt, was der polnische Botschafter in Deutschland | |
als symbolischen „Widerspruch gegen eine Ideologie, die manchmal brutal | |
durchgesetzt wird“, rechtfertigte. Das dürfte die Rechtsauffassung der | |
regierenden PiS und ihrer grauen Eminenz Jarosław Kaczyński treffend | |
wiedergeben, immerhin steht die Frau von Botschafter Andrzej Przyłębski dem | |
Verfassungsgerichtshof vor und auch Präsident Duda bekräftigte im | |
Wahlkampf, [3][LGBT] seien keine Menschen, es handle sich um eine | |
Ideologie. Ob das noch niederträchtiger ist als Kaczyńskis 2015 getätigte | |
Aussage, Muslime brächten „alle Arten von Parasiten und Bakterien“, die �… | |
den Organismen dieser Menschen harmlos“ sind, aber „hier gefährlich werden… | |
könnten, ist Geschmackssache. | |
In jedem Fall wird deutlich, wie sehr der Rechtspopulismus, auch wenn er an | |
der Macht ist, angebliche Feinde des reinen Volkes beschwört. Es geht mit | |
Carl Schmitt, dem ideengeschichtlichen Urvater des völkisch-diktatorischen | |
Antipluralismus, um die „Ausscheidung und Vernichtung des Heterogenen“. | |
Kritiker bezeichnete Kaczyński 2015 als „Polen der schlechteren Sorte“. | |
Darunter fallen heute neben der Opposition auch aufmüpfige RichterInnen | |
oder HistorikerInnen, die sich mit polnischem Antisemitismus beschäftigen. | |
Eine Pariser Tagung zum Thema wurde 2019 im Staatsfernsehen als „Festival | |
der antipolnischen Lügen“ bezeichnet. | |
Die von der PiS ernannte Verfassungsrichterin Krystyna Pawłowicz stimmte am | |
1. Juni auf Twitter explizit Donald Trumps Aussage zu, die etablierte | |
Medienlandschaft sei „Fake News“ von „wirklich bösen Menschen“ mit ein… | |
„kranken Agenda“. Leicht ausrechenbar, auf welcher Seite sie bei möglichen | |
Unregelmäßigkeiten, etwa bei der kommenden Wahl, stehen würde. Für diese | |
Wahl verspricht die Regierung Kleinstädten mit hoher Wahlbeteiligung neue | |
Feuerwehrautos, damit in den Hochburgen nichts anbrennt. | |
Eingebürgert haben sich im Falle Polens und Ungarns die Bezeichnungen | |
„defekte“ oder – Orbán hat das mittlerweile positiv umgedeutet, – | |
„illiberale Demokratie“. Ähnliches wurde zuvor schon von Russland | |
behauptet. Auch in Polen handelt es sich aber nicht nur um bloße Defizite | |
in Form minderheitenfeindlicher Politiken. Die Maßnahmen sind viel | |
grundsätzlicherer Natur. [4][Der staatliche Rundfunk] sendet vornehmlich | |
Parteiwerbung, und die Justiz steht bis auf kleine gallische Bastionen | |
unter Kontrolle der Exekutive. Als Zaubertrankersatz setzt man in Europa | |
auf den EuGH, obwohl politisches Handeln gefordert und möglich ist. Ein | |
demokratisches Gemeinwesen, das autoritär-diktatorische Strukturen | |
finanziell unterstützt, führt sich schließlich ad absurdum. | |
In welcher ideologischen Tradition die PiS steht, zeigt eine zentrale | |
Veröffentlichung ihres Vordenkers Ryszard Legutko. Der Philosophieprofessor | |
und heutige EKR-Fraktionsvorsitzende im Europäischen Parlament hat mit der | |
2016 auf Englisch erschienenen Schrift „Der Dämon der Demokratie“ eine | |
Liberalismus- und Demokratieschelte vorgelegt, die den von Carl Schmitt | |
postulierten Gegensatz zwischen „liberalem Einzelmensch-Bewusstsein“ und | |
angestrebter „Homogenität“ neu auflegt. Legutko wendet sich gegen einen | |
angeblichen liberalen Totalitarismus, der Menschenrechte und Gleichheit | |
postuliere und dabei einen „liberalen Blitzkrieg“ gegen das „christliche | |
Erbe“ betreibe. Liberalismus und Demokratie hält Legutko, wie er 2018 in | |
der Zeitschrift American Affairs ausführt, für „alliierte“ Konzepte. Man | |
dürfe davor nicht kapitulieren, sondern müsse alte Traditionen | |
wiederbeleben. | |
Dieser neue Nationalkonservatismus findet seine Entsprechung im | |
Antipluralismus der PiS und der Fidesz. Unterschiede zur Agenda von AfD und | |
Neuer Rechter sind kaum identifizierbar. Es geht um die Identität zwischen | |
Regierung und imaginierter Volksgemeinschaft, um die Agitation gegen | |
individuelle Menschen- und Gruppenrechte, um die Perpetuierung einer | |
kulturalistisch verstandenen Herkunftsgemeinschaft, um die metapolitische | |
Veränderung des Sprach- und Diskursraums sowie um die Macht. Man trifft | |
sich, wie zuletzt im Februar in Rom, auf der internationalen „National | |
Conservatism Conference“. Dort spricht die polnische Botschafterin ein | |
Grußwort und findet nichts dabei, dass der Hauptorganisator den | |
„Nationalismus“ verteidigt und auch die italienische Neofaschistin Giorgia | |
Meloni geladen ist. | |
Kurzum: Der Überwindung der liberal-gewaltenteiligen Demokratie innerhalb | |
der EU wird mit diplomatischen Bedenknoten allein nicht beizukommen sein. | |
11 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Markus Linden | |
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