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# taz.de -- Präsidentschaftswahlen in Polen: Wahlkampf mit Wut
> Am heutigen Sonntag muss Andrzej Duda für eine zweite Amtszeit indie
> Stichwahl. Sein Herausforderer Rafał Trzaskowski liegt laut Umfragen
> gleichauf.
Bild: Unfreundliche Begegnung von Anhängerinnen beider Präsidentschaftskandid…
Für Polens amtierenden Präsidenten Andrzej Duda ist die Reportage im
auflagenstarken Boulevardblatt Fakt der absolute Super-GAU im Wahlkampf:
„Herr Präsident“, fragte das Blatt schon am Freitag letzter Woche, „wie
konnten Sie so jemanden begnadigen?“ In Großaufnahme ist Andrzej Duda in
weißem Hemd und dunkler Anzugsjacke zu sehen, dazu die Schlagzeile: „Er
hielt die Tochter fest, schlug ihr ins Gesicht und fasste ihr mit der Hand
in den Schritt“. Ein roter Pfeil deutet auf zwei gezeichnete Umrisse, einen
Mann, den „Täter“, und ein Mädchen, das „Opfer“.
Auf den nächsten zwei Seiten erfahren die Leser Details aus der
Leidensgeschichte der Tochter und der Lebensgefährtin des Täters. Vier
Jahre lang saß der Mann wegen wiederholter Misshandlung und Vergewaltigung
im Gefängnis. Jetzt wollen die Opfer und der Täter angeblich wieder
zusammenleben, heißt es. Aber auch, dass der Mann die beiden Frauen
finanziell unterstütze, es also wieder ein Abhängigkeitsverhältnis gibt.
Einen Skandal löst der Artikel vor allem deshalb aus, weil die Begnadigung
des Pädophilen nicht zu den rigiden Moralvorstellungen passen will, mit
denen Duda im Wahlkampf gegen seinen Herausforderer Rafał Trzaskowski Front
macht. Während der beliebte Oberbürgermeister Warschaus von der liberalen
Bürgerplattform (PO) schon mal fröhlich und unbeschwert auf der bunten
Gleichheitsparade der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender (LGBT)
in Warschau mitläuft, giftet Duda, hinter dem die nationalpopulistische
Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) steht, auf einer
Wahlkampfveranstaltung in Brzeg: „Man versucht uns einzureden, dass dies
Menschen seien. Aber das ist eine Ideologie.“ Die Generation seiner Eltern
habe nicht 40 Jahre lang darum gekämpft, die kommunistische Ideologie aus
den Schulen zu werfen, um jetzt mitansehen zu müssen, wie sich eine andere,
noch schlimmere Ideologie in den Schulen breitmache und diejenigen
ausgrenze, die sich ihr nicht unterwerfen wollten.
## LGBT-Hetzreden
Als Medien in aller Welt über Dudas LGBT-Hetzrede berichten, fordert der
48-Jährige auf Twitter die Presseagenturen Reuters und Associated Press
sowie explizit die New York Times, den Guardian und die Financial Times
auf, keine „Fake News mehr zu verbreiten“. Auf den Artikel aus dem
Boulevardblatt Fakt aber, das dem deutsch-schweizerischen Konzern Ringier
Axel Springer Media gehört, reagieren Duda und sein Wahlkampfstab mit einer
solchen Furie, dass auch der Warschauer Korrespondent der Welt, Philipp
Fritz, ins Visier gerät.
Um davon abzulenken, dass Duda sexuelle Minderheiten als Nichtmenschen
abqualifiziert und einen pädophilen Vater begnadigt, wird die
Fakt-Reportage zu einer angeblichen „Einmischung der Deutschen in den
polnischen Wahlkampf“ aufgebauscht. In Bolesławiec stänkert Duda lautstark,
dass es die Deutschen seien, „die uns [Polen] den Präsidenten aussuchen
wollen“. So habe ein „Herr Fritz“ geschrieben, dass Trzaskowski der besse…
Präsident sei, da er von den Deutschen keine Kriegsreparationen einfordern
werde.
Das ist zwar falsch – im Artikel von Fritz heißt es lediglich, dass
Trzaskowski als gewählter Präsident möglichen Reparationsforderungen
skeptisch gegenüberstehen würde, da „von diesem Problemfeld zwischen Berlin
und Warschau das Verhältnis beider Länder schnell vergiftet werden“ könne …
aber das kümmert kaum jemanden in der PiS. Im Gegenteil: Polens
Außenministerium schickte nicht nur einen Beschwerde-Brief an den Verlag
Ringier Axel Springer und forderte die Verlagsspitze auf, sich „bei den
Opfern zu entschuldigen“, sondern bestellte auch den Gesandten der
deutschen Botschaft in Warschau ein, der dafür sorgen solle, dass die
angeblich „manipulative“ Berichterstattung deutscher Zeitungen zur
Präsidentschaftswahl in Polen eingestellt werde.
Aus Wut über die steigenden Umfragewerte des Konkurrenten Trzaskowski, der
auf seiner Wahlkampfreise immer mehr Zuspruch findet, hat Duda mal wieder
die antideutsche Karte aus dem Ärmel gezogen. Mit diesem Ass konnte die PiS
in der Vergangenheit noch fast jede Wahl gewinnen.
Trzaskowski versucht derweil, am letzten Wahlkampftag, der ihm noch bleibt,
so viele Menschen wie nur irgend möglich zu erreichen und von seinem
sozialpolitischen und EU-freundlichen Programm zu überzeugen. Unverhofft
hat er im von der PiS kontrollierten Staatsfernsehen TVP einen Helfer
gefunden. So beschwerte sich ein Anrufer im Morgenmagazin des Privatradios
TokFM; „Ich habe echt die Nase voll. Die von TVP halten uns wohl für blöd:
wenn es in Warschau wie aus Kübeln gießt, ist Trzaskowski schuld, wenn ein
Kanalrohr bricht, ist Trzaskowski schuld, und wenn ein Busfahrer in
Warschau einen Unfall baut, ist auch Trzaskowski schuld. Nee, nee. Ich
wähle die PiS nicht mehr.“
Aktuellen Umfragen zufolge liefern sich die beiden Rivalen mit 47 bis 53
Prozent Zustimmung für Andrzej Duda und 44 bis 50 Prozent für Rafał
Trzaskowski ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Seit dem ersten Wahlgang vor genau
zwei Wochen hat der Warschauer Oberbürgermeister fast 13 Prozent aufgeholt.
Noch aber würde es für einen Sieg nicht reichen. Denn auch Duda hat
zugelegt und bereits mehrfach die alles entscheidende 50-Prozent-Marke
überschritten. Auf der Zielgeraden geben beide Kandidaten alles für ein
spektakuläres Wahlkampfende, um auch die letzten Unentschlossenen zum
Urnengang am Sonntag zu bewegen.
Mit dem Satz „Ich kenne Rafał Trzaskowski gar nicht. Ich glaube, ich habe
mich noch nie mit ihm unterhalten“, lieferte Duda unlängst bereits einen
solchen Knaller.
„Das darf doch wohl nicht wahr sein!“, empört sich etwa die Kioskbesitzerin
im Warschauer Stadtteil Mokotów. „Der eine ist Präsident in Warschau, und
der andere Oberbürgermeister von Warschau, und die beiden sind sich nie
begegnet?“, fragt sie ihre Kunden, die im Corona-Abstand von einem Meter
vor dem Kiosk stehen. „Ach, Pani Basia“, winkt ein älterer Lehrer aus der
nahen Oberschule ab, „unsere Demokratie ist doch längst im Eimer. Worin
unterscheidet sich denn das PiS-Propaganda-Fernsehen noch vom
kommunistischen? Eine ehrliche Debatte zwischen Duda und Trzaskowski können
die nicht organisieren.“
Eine junge Frau mit Zwillings-Kinderwagen nickt: „An Trzaskowskis Stelle
hätte ich auch keine Lust, mich mit Duda im TVP-Studio zu treffen. Da
könnte er ja gleich in die PiS-Parteizentrale gehen und sich da bespucken
lassen. Aber...“, sie hält inne und deutet auf ihre Zwillinge: „Ich werde
am Sonntag trotzdem für Duda stimmen. Das ist bares Geld. 1-000 Zloty
monatlich!“. Pani Basia nickt: „Ja, das Kindergeld von der PiS. Das kann
ich verstehen.“ Sie reicht der jungen Frau das dicke Rätselheft, streicht
das Kleingeld ein und wendet sich an den Lehrer: „Traurig, dass es mit uns
Polen so weit gekommen ist.“
Dass Duda und Trzaskowski, beide 48 Jahre, beide aus der Intelligenzija
Krakaus bzw. Warschaus, sich nie begegnet sind, zeigt, wie tief die
Gesellschaft Polens gespalten ist. Der Riss teilt nicht nur Stadt und Land,
Arm und Reich, Jung und Alt, Gut- oder Schlechtgebildet, sondern auch
Weltanschauungen.
Duda, dessen Eltern streng katholische Hochschulprofessoren an der
Bergbauakademie in Krakau waren, steht für das konservativ-traditionelle
Polen, dem es schwerfällt, sich gegenüber Neuem zu öffnen. Trzaskowski
hingegen stammt aus einer berühmten Warschauer Musikerfamilie, die eng mit
dem in kommunistischen Zeiten oppositionellem Kabarettkeller „Bei den
Widdern“ in Krakau verbunden war.
Beide Männer wuchsen im Realsozialismus der Volksrepublik Polen auf und
studierten nach der politischen Wende 1989. Duda, der schon früh an seine
künftige Karriere dachte, wählte Jura als Studienfach, während Trzaskowski
Politologie und Anglistik studierte, auch in Oxford und Paris. Er spricht
neben Englisch auch Französisch, Spanisch, Italienisch und Russisch,
während Duda erst als Politiker sein Schulenglisch etwas aufpäppelte. Beide
promovierten und schlugen 2005 eine wissenschaftliche Laufbahn ein,
orientierten sich aber immer stärker in Richtung Politik.
Duda, der seit 2015 Präsident ist, war ursprünglich ebenfalls Mitglied der
liberalkonservativen Bürgerplattform (PO), wechselte aber nach dem Sieg der
PiS 2005 zu dieser Partei und wurde stellvertretender Justizminister. Da
war er gerade 34 alt und frischgebackener Doktor des Verwaltungsrechts.
Auch Trzaskowski machte nach seinem Beitritt zur PO schnell Parteikarriere,
war EU-Parlamentarier, Minister für Infrastruktur und Digitalisierung und
Staatsminister im Auswärtigen Amt und ist seit 2017 Oberbürgermeister der
Hauptstadt Warschau.
Die Präsidentenwahl gegen Duda zu gewinnen, gegen den PiS-Regierungschef,
der Schecks verteilend durch die Lande reist, und gegen den
PiS-Propagandasender TVP, ist wenig realistisch. Doch in Polen gibt es
etwas, das vielen Polen und Polinnen immer wieder Hoffnung macht: das
Wunder des Unmöglichen.
12 Jul 2020
## AUTOREN
Gabriele Lesser
## TAGS
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