# taz.de -- Wahlsonntag in Polen: Mit Hund und Maske an die Urne | |
> Bei der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl zeichnet sich eine hohe | |
> Beteiligung ab. In Warschau hoffe viele, dass der Oppositionskandidat | |
> gewinnt. | |
Bild: Stimmabgabe mit Coronaschutz: eine Wählerin in der polnische Stadt Rybnik | |
WARSCHAU taz | Vor der Friseur-, Kosmetik- und Mode-Berufsschule in | |
Warschau-Mokotow steht schon am frühen Sonntagmorgen eine lange Schlange. | |
Viele Menschen haben ihren Hund vom ersten Tagesspaziergang dabei. „Ich | |
habe das Gefühl, heute an einer Schicksalswahl für Polen teilzunehmen“, | |
sagt die Innenarchitektin Elwira Nowacka. „Wenn Präsident Duda gewinnt, war | |
das hier vielleicht die letzte freie Wahl für viele Jahre. Und wenn | |
Trzaskowski gewinnt, wird es zwar in der ersten Zeit ein bisschen Chaos | |
geben, aber wir werden unsere Freiheit behalten und unseren Staat wieder | |
reparieren können.“ | |
Ihr Mann Piotr, ebenfalls Innenarchitekt, nickt. „Schon vor zwei Wochen | |
sind so viele Warschauer an die Urne gegangen, wie selten zuvor. Den | |
meisten ist wohl klar, was auf dem Spiel steht.“ Der 62-Jährige will seiner | |
Frau den Vortritt ins Wahllokal lassen, nimmt ihr die Leine ab und | |
streichelt die Dogge beruhigend über den Kopf. Doch der Türsteher am | |
Eingang des Wahllokals winkt beide herrein, deutet stumm auf die | |
Mund-Nasen-Schutzmaske, die er selbst trägt, und auf die große Flasche mit | |
Hand-Desinfektionsmittel. Die Nowackis ziehen ihre Anti-Corona-Masken auf. | |
Dann verschwinden sie in dem großen Schulhaus. | |
Die Sonne scheint, dazu weht ein mildes Lüftchen: es ist ideales | |
Wahlwetter. [1][Rund 30 Millionen Polen und Polinnen sind aufgerufen], für | |
einen der beiden Präsidentschaftskandidaten ihre Stimme abzugeben: für den | |
amtierenden Präsidenten Andrzej Duda, der wie auch schon 2015 von der | |
nationalpopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unterstützt | |
wird, oder für seinem Herausforderer, den Oberbürgermeister Warschaus Rafal | |
Trzaskowski von der liberalkonservativen Oppositionspartei Bürgerplattform | |
(PO). | |
Bis zum Mittag gaben 24,7 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab, wie | |
die Wahlkommission am Sonntag in Warschau mitteilte. Das waren gut sieben | |
Prozentpunkte mehr als zum gleichen Zeitpunkt bei der zweiten Runde der | |
Präsidentenwahl 2015. Die Wahllokale sind noch bis 21 Uhr geöffnet. | |
[2][Aus dem ersten Wahlgang mit noch elf Kandidaten am letzten Junisonntag] | |
ging Andrzej Duda mit 43,5 Prozent der Stimmen als Sieger hervor. Der | |
Amtsinhaber verfehlte aber die 50-Prozent-Marke, so dass er in die | |
Stichwahl musste. Rafal Trzaskowski war mit 30,5 Prozent auf Platz 2 | |
gekommen. Er war erst im Mai als neuer Kandidat der PO nominiert worden. | |
## PiS in Panik | |
Trzaskowski versuchte die verlorene Wahlkampfzeit mit einer Ochsentour | |
durch möglichst viele Orte Polens aufzuholen, was ihm auch gut gelang. In | |
den vergangenen zwei Wochen rückte er Andrej Duda so nah auf die Pelle, | |
dass die PiS in Panik geriet und im Propagandasender TVP die üblichen | |
Feinde aufmarschieren ließ: Deutsche, Russen, Ukrainer, Juden und „Polen | |
der schlechtesten Sorte“. | |
„Ich habe noch nie einen so dreckigen Wahlkampf erlebt“, sagt der | |
Taxifahrer Jerzy S., der vor einem anderen Warschauer Wahllokal ansteht. Er | |
will seinen Namen auf keinen Fall in einer ausländischen Zeitung lesen. | |
„Wenn man heute etwas gegen Duda oder die PiS sagt, gilt man doch gleich | |
als Volksverräter. So wie früher im Kommunismus.“ | |
Nervös tritt der schmächtige Mann von einem Fuss auf den anderen: „Mein | |
Tochter lebt in Frankfurt. Sie hat einen Deutschen geheiratet. Und letztens | |
sagte ein Experte in einem der PiS-Fernseh-Sender, dass man Deutschland | |
alle 50 Jahre bombardieren sollte. Das hätte schon Churchill gefordert.“ Er | |
stockt kurz, sieht sich um, ob jemand zuhört: „Ich will das nicht. Ich will | |
endlich in Frieden mit allen leben.“ | |
Er zieht sich Folienhandschuhe an. Gleich ist er an der Reihe. „Wir in | |
Warschau werden die Wahl leider nicht entscheiden. Da mussten wir zuletzt | |
viel Demut lernen. Die Dörfer sind uns zahlenmäßig einfach voraus. Und die | |
wählen Duda und die PiS.“ Dann grinst er von einem Ohr zum anderen: „Aber | |
wer weiß: jede Stimme zählt. Meine auch!“ | |
12 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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