# taz.de -- Interview mit Jugendforscher Hurrelmann: „Die können auch Krise�… | |
> Unruhe, aber keine Panik: Jugendforscher Klaus Hurrelmann macht sich um | |
> die politisierte Generation Greta keine Sorgen. | |
Bild: Die durch die Umstände verordnete Zeit, mal durchzuschnaufen | |
taz: Herr Hurrelmann, stellen Sie sich vor, Sie wären heute 20 Jahre jung – | |
hätten Sie Grund, optimistisch in die Zukunft zu schauen? | |
Klaus Hurrelmann: Ja. Ich hätte im Rücken die Erfahrung, dass ich freie | |
Bahn habe. Ich wüsste, dass die Unternehmen sich erkennbar um qualifizierte | |
Fachkräfte bemühen müssen, da hätte ich mir also bisher wenig Sorgen | |
gemacht. Deshalb hätte ich auch Zeit gehabt, mich politisch zu engagieren: | |
Ich wäre bei der Klimabewegung Fridays for Future aktiv gewesen. Ich hätte | |
gelernt, wie man Politik beeinflusst. | |
Die Coronakrise würde Sie mit diesen Rückenwinderfahrungen kein bisschen | |
verunsichern? | |
Natürlich wäre ich verunsichert. Ich hätte eventuell ein Semester an der | |
Universität verloren. Ich würde hören, dass viele Unternehmen keine | |
Ausbildungsverträge mehr abschließen. Es würde sich eine untergründige | |
Unruhe aufbauen. So würde ich die Situation beschreiben. Und sie | |
abschätzend auch verallgemeinern: Eine sehr positive Basiserfahrung führt | |
dazu, dass derzeit keinerlei Panik verspürt wird, aber eine Unruhe, eine | |
Ungewissheit herrscht. | |
Wie lange trägt diese positive Basis die junge Generation noch? | |
Es ist eine Generation, in der ein erheblicher Teil – die „Shell | |
Jugendstudie“ geht von 50 Prozent aus – sich politisch engagiert. Es ist | |
eine Generation, in der die Wachen, die gut Gebildeten – häufig übrigens | |
sind es junge Frauen – darauf aufmerksam gemacht haben: Die Klimakrise | |
bedroht gerade alles, unsere ganze Lebensweise. Ich habe sie deshalb | |
symbolisch die Generation Greta genannt. Das ist eine Generation, die | |
äußerst sensibel, sehr leidenschaftlich die ältere Generation auf eine | |
Krise aufmerksam macht. | |
Sie meinen, diese Generation ist an den Krisenmodus bereits gewöhnt? | |
Ja, diese jungen Menschen können auch Krise. Sie können Unsicherheiten | |
ertragen. | |
Die Klimakatastrophe ist aber dennoch eher abstrakt, die Coronakrise | |
bedroht viele viel direkter in ihren persönlichen Perspektiven. | |
Ja, auf jeden Fall. Und das politische Engagement, das wir unter den jungen | |
Leute sehen, vor allem für die Klimabewegung, das steht auch gerade in | |
Zusammenhang mit einer sehr guten beruflichen Perspektive. Die Generation | |
davor, die vor 2000 geborenen, ist ein gutes Beispiel dafür: Sie haben die | |
Erfahrung gemacht, dass sie sich womöglich nicht entfalten können, dass | |
eine hohe Arbeitslosigkeit droht. | |
Bei der sogenannten Generation Y war das die Wirtschaftskrise 2008. | |
Ja. Die Generation Y hat dann anderes getan, als sich um das politische | |
Gemeinwohl zu kümmern. Eine nicht egozentrische, aber doch egotaktische | |
Generation, die sich sehr auf das eigene Fortkommen fokussiert. | |
Diese Unsicherheitserfahrung macht die Generation Greta doch jetzt auch. | |
Ja, das ist möglich. Aber ich denke, sie werden es besser hinbekommen. In | |
jedem Fall besser als das Viertel oder Fünftel der jungen Leute, das jetzt | |
schon in der Hochkonjunktur Probleme hatte, in Ausbildung und Beruf zu | |
kommen. Diese Kluften, die sozialen Abstände, werden ganz deutlich | |
aufbrechen, sollte es zu einer Arbeitsmarktkrise durch Corona kommen. | |
Die Krise betont die sozialen Unterschiede. | |
Ja, eine Krise macht immer unterschiedliche Privilegien und | |
Ausgangsbedingungen in einem sehr scharfen Licht sichtbar. | |
Noch mal zurück zu Ihrer These, dass man sich politisches Engagement | |
leisten können muss: Ist die Coronakrise, die eventuell eine | |
Arbeitsmarktkrise nach sich zieht, dann das Aus für die Klimabewegung? | |
Ja, es könnte sein, dass sich die Generation Z zurückzieht aus der | |
Gestaltung des Allgemeinwohls – wie auch die Generation Y vor ihr. Aber: | |
Die Generation Z ist politisiert. Und diese Politisierung sitzt tief. Ich | |
spekuliere jetzt mal, in Ordnung? | |
Spekulieren Sie. | |
Vielleicht haben wir zum ersten Mal die Situation, dass wir eine junge | |
Generation haben, die die Krise selbst politisch thematisiert und für sich | |
nutzt. Bisher sind diejenigen, die von den Auswirkungen einer Krise | |
besonders betroffen waren, eher still gewesen und haben sich um sich selbst | |
gekümmert. Das könnte jetzt anders sein. | |
Sie meinen, das ist eine zutiefst konstruktiv denkende Generation? | |
Ja, auch Fridays for Future war nie ein blinder Protest, diese Bewegung ist | |
weniger gegen etwas – ein großer Unterschied übrigens auch zur letzten | |
großen Protestbewegung, den 68ern – als vielmehr für etwas. Das ist eine | |
Generation, die mitdenkt. Und dieses Prinzip könnte sich darauf übertragen, | |
wie diese Generation mit der Krise umgeht: Wie modernisieren wir die | |
Wirtschaft, wie müssen Beruf und Privatleben miteinander kombiniert werden, | |
wie sieht ein modernes Büro aus? | |
Haben wir also eine Zukunft vor uns, die weniger individualistisch, weniger | |
neoliberal geprägt ist? | |
Es ist eine individualistische junge Generation geblieben, das schon. Die | |
eigene Persönlichkeit auszuleuchten, diese Freiheit der Gestaltung der | |
eigenen Person, wie man sie ja auch in den sozialen Netzwerben beherrscht, | |
die wird bleiben. Es wird natürlich immer von den eigenen Interessen aus | |
geurteilt: Wir wollen eine gerechtere Wirtschaftspolitik, eine bessere | |
Klimapolitik, weil wir als junge Leute sonst nicht überleben könnten. Aber | |
dann kommt die solidarische Ebene dazu: Unterstützt uns, sonst können wir | |
das nicht bewältigen. Und das ist ziemlich einmalig. Deshalb bin ich auch | |
sicher, wir bewältigen auch die Gesundheitskrise besser, wenn wir die | |
jungen Menschen viel mehr einbeziehen. | |
23 Jun 2020 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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