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# taz.de -- Psychische Belastung in der Corona-Krise: Wie geht's nach dem Lockd…
> Erste Studien deuten auf mehr depressive Symptome hin, jüngere beklagen
> Einsamkeit. Neben Therapieplätzen hilft Aufklärung über Selbstfürsorge.
Bild: Unfreiwilliger Rückzug: Rom, im April
Hamburg taz | Dass die Stilllegung des gesellschaftlichen Lebens nicht
günstig auf die Psyche wirkt, war klar. Darum auch die stille Hoffnung,
dass es paradoxe Effekte gibt, dass Zusammengehörigkeitsgefühl den Menschen
Stärke vermittelt, die Entschleunigung des Lockdown auch wohltuend wirkt.
Der Blick, den Wissenschaftler uns geben, zeigt aber: Auf die leichte
Schulter können wir die Situation nicht nehmen. Es gibt mehr Menschen mit
schweren depressiven Symptomen, darauf weist nun eine Online-Umfrage der
Privaten Hochschule Göttingen mit rund 2.000 Teilnehmern hin. Vor allen für
junge Erwachsene von 18- bis 25 Jahren ließ sich ein Anstieg beobachten.
Normal leidet ein Prozent der Bevölkerung an schwerer Depressivität. „In
unserer Studie konnten wir einen Anteil von fünf Prozent beobachten“, sagt
Psychologie-Professor Youssef Shiban. Er schränkt ein, es handle es sich
hier noch nicht um Diagnosen, sondern um von den Teilnehmern der Umfrage
selbst berichtete „Kernsymptome“ wie Interessenverlust, Antriebsminderung
und gedrückte Stimmung, in Kombination mit mindestens fünf Zusatzsymptomen
wie Schlafstörungen, Gefühlen von Minderwertigkeit oder Suizidgedanken.
Auch lasse der Online-Fragebogen keine Kontrolle darüber zu, wer ihn unter
welchen Umständen ausfüllt.
Schlicht mehr Anrufe als sonst verzeichnet auch die Robert-Enke-Stifung in
Barsinghausen, die nach dem 2009 durch Suizid verstorbenen Fußballer
benannt ist und die Aufklärung über Depression als Krankheit zum Ziel hat.
„Wir haben wegen der Pandemie die Zeiten der Telefonberatung stark
ausgeweitet, und das auch mit Plakaten beworben“, sagt Geschäftsführer Jan
Baßler. Die Sorge gelte zum einen den bereits schwer an Depression
Erkrankten. „Ihnen kommt es erst entgegen, wenn soziale Distanzierung
gefordert ist und sie nicht nach draußen müssen.“ Das sei gefährlich, denn
der Gang zum Arzt sei erschwert, und es bestehe Suizid-Gefahr.
## Häusliche Gewalt auf verbaler Ebene
Baßler verweist auf Äußerungen des Berliner Rechtsmediziners Michael
Tsokos, der Mitte Mai im Focus davor warnte, zu viel Panik vor dem
Coronavirus zu verbreiten. In acht Suizid-Fällen habe er mittels
„psychologischer Autopsie“ die Angst vor der Erkrankung als Motiv
festgestellt.
Zum anderen meldeten sich Menschen, die noch nicht krank sind, aber merken,
dass etwas anders ist, die etwa schlecht schlafen. „Wir führen
zeitintensive Gespräche“, sagt Baßler.
Im Grunde seien depressive Symptome „eine normale Reaktion auf eine
unnormale Situation wie die Coronakrise“, sagt Psychologe Shiban.
Problematisch werde es, wenn die Symptome so stark seien, dass sie die
tägliche Lebensführung einschränkten.
In einer Online-Umfrage der Medizinischen Hochschule Hannover während des
schärfsten Lockdown im April konnte jeder Vierte der 3.545 Befragten nur
schlecht mit der Lage umgehen. Fast jeder zweite schlief schlechter oder
war reizbarer, und fast jeder Dritte erlebte sich als aggressiver. Fünf
Prozent kreuzten an, häusliche Gewalt erlebt zu haben, von diesen erlebten
wiederum 98,4 Prozent Gewalt auf „verbaler Ebene“, 41,9 Prozent auf
„körperlicher“ und 30,2 Prozent auf „sexueller Ebene“. Die räumliche …
in den Familien könne zu erheblichem Aufflammen der Probleme führen, sagte
Studienleiter Tillmann Krüger.
Eine Studie namens „Covid-19 Snapshot Monitoring“ fand indes heraus, dass
vor allem Singles zwischen 18 und 29 sich häufiger einsam fühlen. Menschen,
die älter als 60 sind, wiesen eine höhere Widerstandskraft auf, die
sogenannte Resilienz, um schwierige Situationen ohne anhaltende
Beeinträchtigung zu überstehen.
## Auch Stress: Gewohntes gilt plötzlich als negativ
Um Resilienz und Prävention geht es unter anderem auch in dem neuen Buch,
„Covid-19 – Ein Virus nimmt Einfluss auf unsere Psyche“, herausgegeben vom
Baseler Psychologen Charles Benoy. Nicht nur die Angst vor Ansteckung und
die Sorge um die wirtschaftliche Zukunft setzt demnach den Menschen zu. Die
Schweizer Ärzte Kira Wolff und Marc Walter schreiben, dass die
Pandemie-Einschränkungen selbst zu Stress-Folgeerkrankungen führen können.
Überall, im Supermarkt, auf der Arbeit, in der Familie, muss man auf vorher
gültige soziale Verhaltensmuster wie Händeschütteln oder gemeinsame
Mittagspause verzichten. Früheres Verhalten sei nicht mehr Zeichen gesunder
Interaktion, sondern werde „negativ attributiert“. Diese ständige
Beschäftigung mit alltäglichen, zuvor selbstverständlichen Abläufen könne
zu einer Erhöhung des Stresslevels führen, die Anfälligkeit für
Folgeerkrankungen steige.
In dem Sammelband gibt es auch Hinweise für den Umgang mit Ängsten,
Aggressionen und Ärger, der auch Folge des Lockdown sein kann und krank
macht. Die Autoren empfehlen „Psychoedukation“ für die Bevölkerung.
Informationen sollten in verschiedenen Sprachen erscheinen, um alle Gruppen
zu erreichen. Dazu zählten etwa „onlinebasierte Achtsamkeitsübungen“ oder
Tagebücher. Ein anderer Autor nennt neben der Strategie, sich den Ängsten
zu stellen, auch die der bewussten Ablenkung, etwa indem man Rätsel löst
oder mit einer Person in einem anderem Haushalt zeitgleich einen Film
guckt.
Ständiges Lesen neuer Meldungen zur Pandemie indes sei nicht ratsam, da es
zu einer erhöhten Grundanspannung führe. Die Schweizer Ärzte empfehlen,
sich höchsten ein- bis zweimal täglich auf den neusten Stand zu bringen und
sich dabei an gesicherte Quellen zu halten.
Mehr über die Folgen der Corona-Krise für die Psyche lesen Sie in der
gedruckten taz am Wochenende oder [1][hier]
26 Jun 2020
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## AUTOREN
Kaija Kutter
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