# taz.de -- Angst vor Corona: Ihr seid mir ja ganz Tolle | |
> „Man ist jung und hat nur diese Zeit“, sagen sie und raven nachts in | |
> Berlin. Keine Angst vor Corona zu haben erfordert keinerlei Mut, sondern | |
> Dummheit. | |
Bild: „Zug der Liebe“ vor Corona | |
Ich habe sie ja auch schon tagsüber gesehen, an Himmelfahrt zum Beispiel: | |
Die Corona-Raves im Volkspark Hasenheide. Der rbb war bei einem dieser | |
halbklandestinen Events mit vielen hundert Menschen mit versteckter Kamera | |
dabei. | |
Es ist drei Uhr morgens. „Irgendwo hier in der Hasenheide muss sie | |
stattfinden“, raunt der Journalist ganz aufgeregt. So lange durfte er | |
wahrscheinlich noch nie aufbleiben. Er kommt auf eine Lichtung, „Menschen | |
strömen in die Büsche, ich folge ihnen“, und findet dort einen jungen Mann | |
als Interviewpartner. | |
Anfangs, sagt der, habe er noch Bedenken gehabt, weil überhaupt keine | |
Corona-Regeln eingehalten werden: „Corona ist in der Hasenheide eigentlich | |
seit März schon kein Ding.“ Und lacht so charmant blöde, wie halt jemand | |
lacht, der alle anderen umbringt, aber es ist ja keine böse Absicht. | |
Irgendwann werden sich diese ganzen neuen Cluster erst einander annähern, | |
dann berühren und schließlich haltlos verknäulen. Dann können sie sich zu | |
Hause mit den Kompressoren für ihre Schlauchboote selbst beatmen. In den | |
Krankenhäusern wird es dann nämlich ungemütlicher als in den Schlachthöfen. | |
„Klar, es ist irgendwie kritisch und man sollte das nicht machen“, sagt er, | |
und ist damit den meisten seiner Peers an Weisheit sogar noch weit | |
überlegen. Er kommt aber trotzdem zum falschen Schluss: „Man ist jung und, | |
man hat nur diese Zeit.“ | |
## Man ist sogar zu lange jung | |
Nee, hat man eben nicht. Das ist Quatsch. Man hat auch noch die Zeit | |
danach, ich weiß das, in der lebe ich nämlich, und zwar gar nicht mal so | |
schlecht wie ich finde. Wie lang glauben die Damen und Herren | |
Eintagsfliegen denn eigentlich, dass man jung ist: bloß bis übermorgen oder | |
eine Woche oder einen Monat lang? Sie tanzten nur einen Sommer... Da kann | |
ich sie jedoch beruhigen: Für meinen Geschmack ist man sogar viel zu lange | |
jung. | |
Das fällt mir auf, als ich meiner Frau gegenüber die Krawalle in Stuttgart | |
relativiere: „Also nicht, dass ich das gutheiße“, leite ich ein, und es | |
klingt wahrscheinlich wie „ich bin kein Nazi, aber...“, „aber mich hat | |
Krawall früher auch immer magisch angezogen.“ Fußball, Demos, erster Mai, | |
scheißegal. Hauptsache, es gab ordentlich Scherben, junge Männer eben, „das | |
war halt so.“ | |
Ich war kein lieber Junge. Ich war ein Zerstörer. Von Sachen, von | |
Beziehungen, ebenfalls scheißegal. Kein Schläger, da hatte ich immer | |
Beißhemmung, gegen Schwächere und gegen Stärkere erst recht. Aber ich habe | |
immer gern und viel falsch und kaputt gemacht. Das ist nun mal das Privileg | |
der Jugend. | |
Sie äußert ihr leichtes Befremden. Das verstehe ich nicht – sie kennt das | |
doch alles schon; Vati erzählt vom Krieg. Das Ganze gibt es sogar noch | |
schriftlich: „Du hast doch meine Fußballfibel gelesen?“ Besagtes Werk | |
enthält unter anderem auch die relativ schonungslose Jugendbeichte eines – | |
ich fass es mal der Einfachheit halber so zusammen – destruktiven, | |
hirnverbrannten Wichsers. Und heute frage ich mich im Nachhinein, warum ich | |
eigentlich so wenig Angst hatte. | |
„Ich hab keine Angst vor Corona“, hört man jetzt auch oft. Huiuiui: keine | |
Angst vor Corona, ihr seid mir ja ganz Tolle. Aber hätte ich vor Corona | |
auch nicht gehabt. Angst hat man, wenn einen Bullen oder Hools verfolgen. | |
Es gehört nichts dazu, keine Angst vor Corona zu haben. Weniger als zu | |
einem Sprung vom Zehnmeterbrett. Corona brüllt nicht und trägt keine | |
Quarzsandhandschuhe. „Keine Angst vor Corona“ ist wie „keine Angst vorm | |
Rauchen.“ Es erfordert keinerlei Mut, nur Dummheit. Man hofft halt, | |
statistisch durchzurutschen, unverwundbar zu sein. Das ist völlig hohl, das | |
ist einfach gar nichts. Und auch das ist ein Privileg der Jugend. | |
26 Jun 2020 | |
## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
## TAGS | |
Kolumne Berlin viral | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Rave | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Rave | |
Kolumne Berlin viral | |
Kolumne Berlin viral | |
Kolumne Durch die Nacht | |
Kolumne Berlin viral | |
Kolumne Berlin viral | |
Kolumne Berlin viral | |
Kolumne Berlin viral | |
Schwerpunkt Rassismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Lokale Corona-Shutdowns: Klein denken, groß siegen | |
Eine seit Jahrhunderten nicht gesehene Kleinstaaterei: Die Bundesregierung | |
will Corona mit stark regionalisierten Einschränkungen bekämpfen. | |
Illegale Raves in Berlin: Parks nachts immer beliebter | |
Eine Bilanz der Polizei gibt Aufschluss über die Ausmaße der illegalen | |
Partys meist junger Menschen nachts in Berlins Parks | |
Obercheckertum in Corona-Zeiten: Wirklichkeit war viel zu lange | |
Man will einfach nicht mehr an den Scheiß erinnert werden, dann geht der | |
Scheiß schon von allein weg, oder? Jedenfalls trägt kaum jemand noch Maske. | |
Kaum Termine in der Corona-Zeit: Nebel im Gehirn | |
Dauernd müde – und welcher Wochentag war noch gleich? Nach der langen Zeit | |
ohne Termine können einen Kleinigkeiten völlig aus dem Konzept bringen. | |
Die Partyszene macht sich bemerkbar: Die wollen bloß etwas Spaß haben | |
Plötzlich sind in der öffentlichen Wahrnehmung aus niedlichen Ravern | |
asoziale, unverantwortliche Elemente geworden. Und das nicht nur in | |
Stuttgart. | |
Corona und Einkaufen: Apnoe im Späti | |
Nicht nur unter Wasser muss man die Luft anhalten, sondern neuerdings auch | |
im Kiosk. Der Einkauf darf deshalb nicht länger als zwei Minuten dauern. | |
Einsamkeit und Corona: Bäume umarmen im Park | |
Die isländische Regierung hat ihren Einwohnern geraten, sie sollen gegen | |
den Berührungsmangel in Coronazeiten Bäume umarmen. Das hilft auch in | |
Berlin. | |
Pläne für nächste Corona-Welle: Giganten der Rammdösigkeit | |
Wenn die nächste Corona-Welle kommt, ziehe ich auf eine Insel. Keine im | |
Mittelmeer, sondern am Tegeler See. | |
Jetzt lernt man seine Nachbarn kennen: In jedem Haus ein Aluhut | |
Es ist eng in der Großstadt. In Coronazeiten lernt man seine Nachbarn | |
kennen – oft mehr, als einem immer lieb ist. | |
Alltagsrassismus und Corona: Abstand, für uns normal | |
Ein Meter achtzig? Das ist der Abstand, den uns gegenüber sowieso alle | |
einnehmen. Wir, das sind die Nichtdeutschen, die mit dunklerer Hautfarbe. |