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# taz.de -- Sexueller Missbrauch im Wrestling: Ende der Show
> Seit Tagen häufen sich Berichte von Wrestler:innen über sexuelle und
> physische Gewalt. Möglich macht das die Kampagne #SpeakingOut.
Bild: „Angst um das körperliche Wohl“: Jazzy Gabert (oben) kennt die Abgr�…
Jazzy Gabert ist erschöpft. Im Ring mimt Deutschlands bekannteste
Wrestlerin unter ihrem Kampfnahmen Alpha Female meist die Bösewichtin. In
den Drehbüchern der Schaukampf-Sportart hat die 38-Jährige diese Rolle zur
Begeisterung des Publikums mit großem Verve ausgefüllt. Doch seit einigen
Tagen lässt sie die böse Realität ihres Showsports nicht mehr ruhen. Den
ganzen Montag, berichtet die bekannteste deutsche Wrestlerin, habe sie
schon telefoniert. In der Nacht zu Montag hatte sie getwittert: „Ich möchte
nicht mit Vergewaltigern, Pädophilen, Rassisten, Raubtieren und Tyrannen an
einem Wettkampfort, im Ring, in der Umkleidekabine sein. Deshalb brauchen
wir #SpeakingOut. Wenn ihr sprechen wollt, ich bin hier für euch.“
[1][#SpeakingOut ist Mitte vergangener Woche] in den sozialen Netzwerken
zur Plattform für Wrestler:innen geworden, um über sexuellen und
psychischen Missbrauch, Gewalterfahrungen und Mobbing zu berichten. Nach
drei Tagen lagen bereits Berichte von über 50 Frauen vor, die ein
systemisches Problem im Wrestlingsport offenlegen.
Viele wurden aus Großbritannien übermittelt, aber auch von andernorts. Neun
deutsche Wrestler:innen haben allein am Montag auf das Angebot von Gabert
reagiert und am Telefon von ihren Erlebnissen erzählt. „Es waren vier
Frauen und fünf Männer. Eine der Frauen berichtete, ein Trainer habe sein
erigiertes Glied vor ihr entblößt und sie zum Sex in der Dusche überreden
wollen. Einer der Männer sagte, er hätte als Minderjähriger die
Geschlechtsteile seines Trainers anfassen und Urin trinken müssen.“
Überrascht ist Jazzy Gabert weder von der Vielzahl der Schreckenszeugnisse
der letzten Tage noch von der langen Periode des Schweigens davor. Sie
selbst hat von Beginn ihrer Karriere im Jahre 2001 Erfahrungen mit
sexuellen und körperlichen Übergriffen gemacht. Was ihr in einer
Wrestlingschule in Berlin widerfahren ist, möchte sie aber nicht mehr
erzählen. „Ich habe den Verantwortlichen mittlerweile vergeben und mich
gerade bei Wrestlerinnen über die aktuellen Bedingungen an der Schule
erkundigt. Es hat sich viel geändert. Der Umgang ist mittlerweile
respektvoll.“
## Ungleiche Machtverhältnisse
Auch in England war Gabert Opfer der systemischen Probleme des Wrestlings.
Sie sei als „Nazi“ beschimpft und gemobbt worden. Ein Ringrichter habe sie
mal an die Brüste gefasst. Und als sie vermeintlich am Ziel ihrer Träume
war und 2019 in London einen Vertrag bei Wrestling World Entertainment
(WWE) erhielt, dem größten Konzern in der Branche, begann ein „Albtraum“.
Im Kampf mit ihren Konkurrentinnen um einen Platz bei einem WWE-Kampf in
den USA habe sie „um ihr körperliches Wohl“ gefürchtet. Genauer will sie
nicht werden, weil sie um die Macht des milliardenschweren US-Unternehmens
WWE weiß.
Systemisch sind die Probleme im Wrestling gerade wegen der extrem
ungleichen Machtverhältnisse. Einige, berichtet Gabert, würden nun die
Frauen fragen, warum sie nicht früher etwas gesagt hätten. „Das stimmt aber
gar nicht. Frauen haben auch früher von Übergriffen berichtet, sie sind nur
zum Schweigen gebracht worden.“ Nachdem etwa die britische Wrestlerin
Pollyanna 2017 berichtete, sie sei von einem Wrestler sexuell missbraucht
worden, wurde sie danach als Kämpferin nicht mehr gebucht. In der Szene
seien Frauen vor der „Pollyanna-Behandlung“ gewarnt worden, sollten sie
reden, erzählt Gabert.
Die US-Wrestlerin Ashley Massaro berichtete 2016, sie sei zehn Jahre zuvor
bei einem WWE-Event auf einem US-Militärstützpunkt in Kuwait von einem
Soldaten vergewaltigt worden. Ein ranghoher Funktionär der WWE hätte sie
aufgefordert, den Vorfall geheim zu halten, um das Verhältnis zwischen der
WWE und dem US-Militär nicht zu belasten. Vergangenes Jahr nahm sich
Massaro das Leben. Die WWE streitet bis heute ab, jemals von Massaro über
die Vorwürfe informiert worden zu sein.
Mit der Kampagne #SpeakingOut scheint es wie mit der MeToo-Bewegung zu
gelingen, Zugang zu jahrelang eingefrorenen traumatischen Erinnerungen und
damit auch zu den Tätern zu bekommen. Darunter sind einige prominentere
Kämpfer. Der US-Amerikaner David Starr etwa bekam in den letzten Tagen von
drei britischen und irischen Ligen Titel aberkannt und die Zusammenarbeit
aufgekündigt, nachdem eine ehemalige Partnerin ihm vorgeworfen hatte,
Frauen zu vergewaltigen. Starrs Bekenntnis, sich in einem „Graubereich“
zwischen einvernehmlichem Sex und Vergewaltigung zu bewegen, konnte als
Geständnis gelesen werden.
Entlassen wurde auch der Brite Jack Gallagher (Ringname: Gentleman) von der
WWE, weil im Zuge von #SpeakingOut berichtet wurde, dass er auf einer Party
im betrunkenen Zustand eine Frau massiv sexuell belästigte und ihr den Rock
runteriss. Gallagher entschuldigte sich, er habe keine Erinnerungen mehr an
den Abend.
[2][Wichtiger als personelle Veränderungen sind jedoch die strukturellen.]
Jazzy Gabert hat mit Sirius Sports dieses Jahr ihr eigenes Unternehmen
gegründet, „um wieder Spaß beim Wrestling zu haben“. Für Wrestling-Opfer
von Missbrauch und Mobbing will sie nun einen Verein in Deutschland
gründen. Weil Wrestling als Sportart nicht anerkannt ist in Deutschland und
es keinen übergeordneten regelsetzenden Verband gibt, fehlt es an
Einflussmöglichkeiten. Gabert sagt: „Jeder Idiot kann eine Wrestling-Schule
aufmachen.“
23 Jun 2020
## LINKS
[1] https://www.si.com/wrestling/2020/06/19/hashtag-speaking-out-wrestling-indu…
[2] /Debatte-Gewalt-in-Sportvereinen/!5548471
## AUTOREN
Johannes Kopp
## TAGS
sexueller Missbrauch
Mobbing
Wrestling
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