# taz.de -- Tod von Amad Ahmad in der JVA Kleve: Behördenversagen mit Todesfol… | |
> Amad Ahmad saß wegen einer Verwechslung zwei Monate lang unschuldig im | |
> Gefängnis. Dann brannte es in seiner Zelle – und er starb. Eine | |
> Rekonstruktion. | |
Am 17. September 2018 fürchten Gefangene der Justizvollzugsanstalt Kleve um | |
ihr Leben. Nach 19 Uhr brennt es in dem Klinkerbau aus den fünfziger | |
Jahren. In drei übereinanderliegenden Hafträumen schlagen und treten die | |
Eingeschlossenen gegen ihre Zellentüren. „Feuer“ und „Es brennt!“, sch… | |
sie und versuchen, über Gegensprechanlagen Kontakt zu den Gefängniswärtern | |
zu bekommen – einen Notruf gibt es nicht. Die Justizvollzugsbediensteten | |
rennen erst in den dritten, dann in den zweiten Stock. Minuten vergehen, | |
bis sie erkennen, dass es im ersten Stock brennt. | |
Als sie Raum 143 öffnen, schlagen ihnen Feuer und Hitze entgegen. „Das | |
Hafthaus füllte sich schlagartig mit Rauch“, sagt der | |
Justizvollzugshauptsekretär Tim H. später aus. In Zelle 143 inhaftiert war | |
Amad Ahmad. Vor dem syrischen Assad-Regime war der 26-Jährige nach | |
Deutschland geflohen – jetzt liegt er mit schwersten Verletzungen und kaum | |
noch erkennbar auf dem Gefängnisflur. 38 Prozent seiner Haut sind | |
verbrannt. | |
Per Rettungswagen wird Amad Ahmad an diesem Montag zum | |
Sankt-Antonius-Hospital in Kleve transportiert. In das Provinzkrankenhaus | |
wird er erst gar nicht gebracht: Um sinnvoll behandelt werden zu können, | |
wird der Mann aus dem kurdischen Teil Syriens per Rettungshubschrauber in | |
das Klinikum Duisburg geflogen. | |
Eine Woche später wird der in ein künstliches Koma Versetzte noch in das | |
Klinikum Bergmannsheil nach Bochum verlegt, das als ehemalige Bergbauklinik | |
traditionell auf schwerste Verbrennungen und Quetschungen spezialisiert | |
ist. Dort stirbt Amad Ahmad am 29. September nach einer | |
Lungentransplantation. Todesursache: „Multiorganversagen nach | |
Verbrennungskrankheit“. | |
Schon einen Tag vorher muss die Staatsanwaltschaft Kleve den schwersten | |
Fehler einräumen, der Ermittlern unterlaufen kann: Amad Ahmad saß grundlos | |
im Gefängnis – mehr als zwei Monate lang. Der Kurde sei wohl Opfer einer | |
Verwechslung geworden, erklärt der Sprecher der Behörde, Oberstaatsanwalt | |
Günter Neifer. Gegen mehrere Polizeibeamt*innen liefen jetzt Ermittlungen | |
wegen Freiheitsberaubung. | |
Am 5. Oktober entschuldigt sich auch Nordrhein-Westfalens Innenminister | |
Herbert Reul: Seine Polizist*innen hätten die Identität des 26-Jährigen | |
nicht genau überprüft, sagt er. Die Familie des Toten bittet der | |
Christdemokrat um Verzeihung – und verspricht Aufklärung. Trotzdem dauert | |
es fast zwei Monate, bis auf Druck von Grünen und SPD ein Parlamentarischer | |
Landtags-Untersuchungsausschuss eingesetzt wird. In 21 Sitzungen hat der | |
bisher mehr als 70 Zeug*innen gehört. Dieser Text basiert zu großen Teilen | |
auf ihren Aussagen. | |
In Haft gebracht hat Amad Ahmad zunächst ein Tag am Baggersee. Der | |
Geflüchtete aus Syrien lebt in Geldern, einem adretten, knapp 34.000 | |
Einwohner*innen zählenden Städtchen mit vielen gepflegten | |
Einfamilienhäusern direkt an der Grenze zu den Niederlanden. Dort wohnt er | |
in einer Sammelunterkunft an der Walbecker Straße 174. Der 6. Juli 2018 ist | |
ein warmer Tag, die Temperaturen klettern auf 26 Grad. | |
## „Hilflos“ habe Amad Ahmad gewirkt | |
Am Strand der Kiesgrube Welbers trifft Amad Ahmad auf vier junge Frauen. | |
Zunächst sei alles „ziemlich freundlich“ gewesen, sagte die 19-jährige Lea | |
S. als Zeugin vor dem Untersuchungsausschuss im Oktober 2019. „Der Junge“ | |
habe sich etwa drei Meter entfernt hingelegt. Doch im Verlauf von etwa | |
eineinhalb Stunden sei er immer näher gekommen – und habe angefangen, | |
„sexuelle Andeutungen“ zu machen. Das habe „genervt“. | |
Andererseits: Wirklich bedroht hätten sie sich nicht gefühlt, sagt Lea S. | |
auch – einen körperlichen Angriff hätten an dem Baggersee genug Leute | |
mitbekommen. „Hilflos“ habe dagegen Amad Ahmad gewirkt: „Ich habe noch nie | |
so tiefe, so lange und so viele Narben an einem Körper gesehen“, sagt die | |
Schülerin – Ärzten gegenüber hat der Kurde erklärt, er sei in Syrien | |
gefoltert worden. Die Ärzte vermuten aber auch, dass sich der 26-Jährige | |
selbst verletzte. „Total hilflos“ habe der Geflüchtete auf sie gewirkt, | |
sagt Lea S, „als sollte man ihm zuhören“. | |
Trotzdem: Die sexuellen Andeutungen nerven. Um ihn loszuwerden, drohen die | |
vier Amad Ahmad mit der Polizei – doch der geht noch immer nicht. Eine der | |
jungen Frauen ruft dann ihren Vater Gregor H. an. Der ist Polizist, macht | |
Innendienst im Verkehrskommissariat in Geldern. Seine Tochter erreicht ihn | |
seiner Aussage nach auf seinem Diensttelefon im Büro. Gregor H. läuft | |
sofort „runter zur Wache“, sagt dem Diensthabenden, dass seine Tochter und | |
drei Freundinnen am Baggersee belästigt werden. Der Polizeioberkommissar | |
setzt um 15.26 Uhr zwei Streifenwagen in Bewegung. Amad Ahmad wartet auf | |
einer Parkbank wenige Meter von der Kiesgrube entfernt, bis er festgenommen | |
wird. Ihm wird „Beleidigung auf sexueller Grundlage“ vorgeworfen. | |
Für eine mehrmonatige Haft reicht das kaum aus. | |
Allerdings: Die Polizisten, die Amad Ahmad festnehmen, meinen auch, er | |
gleiche der Beschreibung eines Täters, nach dem wegen Vergewaltigung | |
gefahndet wird. Um 21.10 Uhr wandert der 26-Jährige deshalb aus dem | |
Polizeigewahrsam in die Justizvollzugsanstalt Geldern-Pont. Aber schon vier | |
Tage später wird klar, dass der Kurde kein Vergewaltiger ist: Am 10. Juli | |
räumt „die vermeintlich Geschädigte ein, dass es keine Vergewaltigung | |
gegeben habe, sondern sie eine solche vorgetäuscht habe“, heißt es in | |
Unterlagen der Staatsanwaltschaft, die der taz vorliegen. | |
In Haft bleibt Amad Ahmad trotzdem. | |
Der Mann mit Meldeadresse in der Gelderner Sammelunterkunft ist für die | |
nordrhein-westfälische Polizei kein Unbekannter. Mehrmals ist der | |
Geflüchtete, der kaum Geld hat, beim Schwarzfahren erwischt worden – | |
zuletzt zwei Tage vor der Festnahme am Baggersee. Bei Durchsuchungen wird | |
in seinen Taschen 0,9 Gramm Marihuana gefunden. Außerdem fürchten die | |
Behörden autoaggressives Verhalten. Die Stadt Geldern versucht deshalb, | |
Amad Ahmad nach dem Psychisch-Kranken-Gesetz in die Klinik Bedburg-Hau | |
zwangseinweisen zu lassen, wo er nach Aussage der Staatsanwaltschaft schon | |
einmal wegen einer Selbstverletzung stationär behandelt wurde – doch der | |
dazu nötige akute Anlass fehlt. | |
## Ein verhängnisvoller Tag: der 4. Juli 2019 | |
Schon einige Monate zuvor forderte die Ordnungsamts-Mitarbeiterin Gabriele | |
V. die Polizei in Geldern per Mail auf, den „Asylanten“ im Auge zu | |
behalten: „Hallo zusammen“, schreibt sie in vertraulichem Ton. „Herr Ahmad | |
hat psychische Störungen.“ Die wenigen Gramm Marihuana, die bei ihm | |
gefunden wurden, werden zu einem „ausgeprägten Drogenproblem“. Falls er �… | |
der Öffentlichkeit an kritischen Orten“ auffalle, könne man entscheiden, | |
„ob noch mal eine Einweisung erforderlich ist“. | |
Am Tag, als Amad Ahmad beim Schwarzfahren erwischt wird, zwei Tage vor | |
seiner Verhaftung am Baggersee, passiert noch eine ganze Menge mehr. An | |
diesem Tag beschäftigt sich auch der Polizist Frank G. mit ihm. Vom | |
Schreibtisch aus bearbeitet er Vorwürfe, nach denen Amad Ahmad mehrmals | |
einer Angestellten einer Spielhalle „nachgestellt“ und dabei „wirres Zeug… | |
erzählt haben soll. Ebenfalls am selben Tag befasst sich auch die Polizei | |
im rund 180 Kilometer entfernten Siegen mit ihm. | |
Weil Amad Ahmad vor seiner Zeit in Geldern in Siegen gelebt hat, wird seine | |
„kriminalpolizeiliche Personenakte“ noch immer dort geführt. Am 4. Juli um | |
12.07 Uhr passiert dort nach Unterlagen der Staatsanwaltschaft das, was den | |
Geflüchteten mehr als zwei Monate unschuldig in Haft bringt: Die | |
Regierungsangestellte Katarina J. kombiniert Informationen, die sich in der | |
landeseigenen Polizeidatenbank ViVA über den hellhäutigen Kurden aus Syrien | |
fanden, mit Daten, die in der INPOL-Software des Bundes über einen | |
schwarzen Mann aus Mali gespeichert waren. Dieser wird von der | |
Staatsanwaltschaft Hamburg wegen Diebstählen per Haftbefehl gesucht. Sein | |
Name: Amedy G. | |
„Personenzusammenführung“ heißt diese Vermischung im Polizeijargon. Zwar | |
ist in ViVa ein Foto von Amad Ahmad und in INPOL ein Foto von Amedy G. | |
gespeichert. Doch Katarina J. vergleicht sie nicht. Dies sei gar nicht ihre | |
Aufgabe gewesen, erklärte sie vor dem Untersuchungsausschuss des | |
Düsseldorfer Landtags. Ihr eigentlicher Job ist es, neue Vorwürfe gegen | |
Verdächtige einzutragen, die in der Landesdatenbank ViVa gespeichert sind. | |
An den konkreten Fall könne sie sich nicht erinnern. | |
„Personenzusammenführungen“ habe sie nur auf Anweisung von Kriminalbeamten | |
oder ihres Chefs Klaus-Dieter M. durchgeführt. Im Landtag erklärte der | |
63-Jährige allerdings, er sei an diesem 4. Juli nur noch „formal | |
Vorgesetzter“ von Katarina J. gewesen. Schon Ende Mai habe er sein „Büro | |
geräumt“ und bis zu seiner Pensionierung Urlaub genommen – heute sei er | |
„Polizeibeamter a. D.“, also „außer Dienst“. Wie es genau dazu kam, da… | |
Amad Ahmad für Amedy G. gehalten wurde, bleibt unklar. Für Amad Ahmad | |
bedeutet das: Er bleibt in Haft. | |
Denn seit diesem 4. Juli 2018 taucht er in der nordrhein-westfälischen | |
Polizeidatenbank ViVA auch als Amedy G. auf. Und weil gegen den der | |
Haftbefehl aus Hamburg vorliegt, müssen die Polizist*innen in Geldern | |
keinen Gedanken an seine Freilassung verschwenden, als er zwei Tage später | |
an der Kiesgrube Welbers festgenommen wird. Stattdessen meldet der | |
diensthabende Polizeioberkommissar, der die beiden Streifenwagen zum | |
Baggersee geschickt hat, am Abend des 6. Juli 2018 um 18.12 Uhr per Fax an | |
die Elbe, dass der dort Gesuchte festgenommen worden sei – und schickt die | |
Inhalte einer 14-seitigen ViVA-Personenabfrage gleich mit. Dass Amad Ahmad | |
alias Amedy G. einmal als „westeuropäisch“ und „hellhäutig“, anderers… | |
aber auch als „afrikanisch“ und „schwarzhäutig“ beschrieben wird, soll | |
niemandem aufgefallen sein. Auch das in INPOL weiter vorhandene Foto des | |
Schwarzen Amedy G. schaut niemand an. In INPOL wird Amedy G. weiter als | |
eigenständige Person geführt – vermischt wurden die Datensätze nur in der | |
NRW-Datenbank ViVA. | |
Amad Ahmad bleibt also in Haft. | |
## Die Psychologin glaubt ihm nicht | |
Am 10. Juli wird er in die Justizvollzugsanstalt Kleve verlegt. Auch hier | |
reißt die Kette der Fehler nicht ab. Zwar wird Amad Ahmad, von dem bekannt | |
ist, dass er bereits in psychiatrischer Behandlung war, zunächst alle 15 | |
Minuten beobachtet – doch der Inhaftierte beschwert sich erfolgreich | |
dagegen. Bei einem Gespräch mit der Gefängnispsychologin Andrea Z. am 3. | |
September sagt er, den Namen Amedy G. noch nie gehört zu haben. Aber sie | |
glaubt ihm nicht. | |
„Er sei nie in Hamburg gewesen“, hält die Psychologin in einem Vermerk | |
fest. „Schon gar nicht zur angegebenen Tatzeit – da sei er noch gar nicht | |
in Deutschland gewesen“, notiert Z. – und setzt ein skeptisches „usw. | |
usf.“, also „und so weiter und so fort“, dahinter. Weil Amad Ahmad | |
„authentisch“ versichert, sich nie selbst verletzt oder gar an Suizid | |
gedacht zu haben, wird seine besondere Beobachtung einen Tag später | |
beendet. | |
Zwei Wochen später brennt seine Zelle. | |
Erst am 26. September, drei Tage bevor Amad Ahmad im Bochumer Krankenhaus | |
Bergmannsheil stirbt, wird auf Nachfrage der Staatsanwaltschaft Hamburg | |
festgestellt, dass der Schwerstverletzte nicht Amedy G. ist. Bei der | |
Kreispolizeibehörde Kleve werden endlich die Fotos verglichen – und | |
festgestellt, dass der Kurde aus Syrien „offensichtlich“ nicht der | |
schwarze Mann aus Mali ist. | |
Ein externer Gutachter, der die Brandursache untersuchen soll, wird erst am | |
27. September beauftragt. Bis dahin haben nur Brandermittler der Polizei | |
die ausgebrannte Zelle untersucht, könnten den Brandort also verändert | |
haben. Doch wie sie kommt auch der unabhängige Chemieingenieur Guido | |
Schweers zu dem Ergebnis, dass Amad Ahmad den Brand mit einem Haufen aus | |
Decken, Bettbezügen und Bettlaken auf einer Matratze selbst entfacht haben | |
soll. | |
Zwar hat der Landtagsuntersuchungsausschuss gerade erst begonnen, | |
Brandhergang und Brandursache zu überprüfen – doch schon heute gilt das | |
Gutachten des externen Sachverständigen aus Meerbusch als wenig | |
professionell. Schweers übernehme kritiklos die Schilderungen der | |
Gefängniswärter, erkläre als Nichtpsychologe, dass Amad Ahmad vermutlich | |
Suizid begehen wollte. Außerdem widerspreche er sich in der Frage, wie | |
lange das Zellenfenster geöffnet war, an dem Mitgefangene Amad Ahmad nach | |
Hilfe schreiend gesehen haben wollen, erklären die Anwälte Eberhard | |
Reinecke und Sven Forst. Sie vertreten die in Bonn lebenden Eltern des | |
Toten – und haben bei der Staatsanwaltschaft Beschwerde eingelegt. | |
Gestützt werden die Zweifel auch durch ein Gegengutachten, das vom | |
ARD-Magazin „Monitor“ beim Sachverständigen Korbinian Pasedag vom Institut | |
für Brand- und Löschforschung in Auftrag gegeben wurde. Die offizielle | |
Version der Staatsanwaltschaft, nach der Amad Ahmad 15 Minuten in der | |
Gluthitze seiner Zelle ausgeharrt haben soll, ohne das Fenster zu öffnen, | |
sei undenkbar, sagt Pasedag – in dem geschlossenen Raum sei ein derart | |
verheerender Brand ohne Luftzufuhr von außen einfach unmöglich. | |
## Nichts ist geklärt | |
Noch immer fassungslos und voller Unverständnis ist deshalb der Vater des | |
Toten. „Amad muss doch vor Schmerz geschrien haben“, sagt Malak Zaher Ahmad | |
bei einem Besuch in der Wohnung in Bonn, wo er zusammen mit seiner Frau | |
Fadila und zwei weiteren, heute 14 und 18 Jahre alten Söhnen lebt. „Warum | |
hat niemand den Rauch gesehen“, fragt der Vater. Bis heute glaubt er nicht | |
an die Suizid-These. | |
Auch seine Anwälte Reinecke und Forst geben zu bedenken, dass der Brand ein | |
Protest gegen die unrechtmäßige Haft gewesen sein könnte. „Mangels anderer | |
Anhaltspunkte“ gehen sie aber „im Moment“ davon aus, das Amad Ahmad das | |
Feuer selbst entfacht hat. Beschwerde eingelegt haben sie auch gegen die | |
Entscheidung der Klever Staatsanwältin Sandra Posegga, die Ermittlungen | |
gegen fast alle Polizist*innen einzustellen: Weil sie nur unzureichend in | |
die Bedienung der NRW-Datenbank ViVA eingewiesen worden seien, treffe sie | |
strafrechtlich keine Schuld, argumentiert die Juristin. | |
Als Beschuldigter gilt nur noch der Kriminalbeamte Frank G., der die | |
angebliche Belästigung der Spielhallenaufsicht untersucht hat: Bei ihm | |
besteht erst seit wenigen Wochen der Verdacht, dass ihn eine Staatsanwältin | |
aus Braunschweig, die Amedy G. ebenfalls suchte, am Telefon darauf | |
hingewiesen hat, dass der Kurde aus Syrien und der schwarze Mann aus Mali | |
eben nicht identisch sind. Die Gefängniswärter dagegen treffe keine Schuld, | |
glaubt Staatsanwältin Posegga: Die Justizmitarbeiter*innen hätten sich | |
darauf verlassen, dass die Polizei korrekt ermittelt. | |
Auf die Datenbank komme es gar nicht an, halten die Anwälte der Eltern | |
dagegen: „Amad Ahmad hätte niemals inhaftiert werden dürfen“, sagt Sven | |
Forst. „Im Haftbefehl steht schlicht und ergreifend ein anderer Name – der | |
von Amedy G.“ Es gebe einfach „keine vernünftige Erklärung, warum sich bei | |
der Polizei niemand die 30 Sekunden Zeit genommen hat, die Fotos zu | |
vergleichen“, sagt auch Anwalt Reinecke. | |
Erschrecken herrscht auch bei den Obleuten von Grünen und SPD, Stefan | |
Engstfeld und Sven Wolf. Zwar hat das vom Christdemokraten Reul geleitete | |
Innenministerium eine Verbesserung der Datenbank ViVA angeordnet – Fotos | |
sind jetzt auf den ersten Blick sichtbar. Das ebenfalls CDU-geführte | |
Justizministerium hat die Gefängnismitarbeiter aufgefordert, genauer auf | |
die Identität der Inhaftierten zu schauen, will Möbel anschaffen, die | |
schwerer in Brand zu setzen sind – aber das dauert. Außerdem soll die | |
Betreuung psychisch kranker Gefangener verbessert werden. | |
Engstfeld und Wolf aber reicht das nicht. Warum Amad Ahmad sterben musste, | |
sei längst nicht aufgeklärt. „Warum ist den über 20 Beamtinnen und Beamten, | |
die den Fall allein in NRW bearbeitet haben, nichts aufgefallen“, fragt der | |
Grüne Engstfeld. „Es geht um den Tod eines jungen Menschen, der | |
schutzsuchend zu uns gekommen ist“, mahnt der Sozialdemokrat Wolf. „Alles | |
ist, alles scheint möglich“, sagen beide fast gleichlautend auf die Frage, | |
ob der Tod von Amad Ahmad für Schlamperei, Behördenversagen oder | |
institutionellen Rassismus stehe. „Nichts ist abschließend geklärt“, find… | |
Engstfeld. Anwalt Eberhard Reinecke geht noch einen Schritt weiter. „Bei | |
der Polizei herrschte die Grundhaltung: Wenn du einen Flüchtling | |
einsperrst, triffst du keinen Falschen“, glaubt der Jurist aus Köln. „Für | |
mich ist genau das institutioneller Rassismus.“ | |
21 Jun 2020 | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
## TAGS | |
Justizvollzug | |
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus | |
Syrische Flüchtlinge | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
JVA Kleve | |
Schwerpunkt Rassismus | |
JVA Kleve | |
NRW | |
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