# taz.de -- Debatte um den Begriff der „Rasse“: Seehofer und der Weltgeist | |
> Wer Rassismus Fremdenfeindlichkeit nennt, reproduziert, was er angeblich | |
> neutral beschreiben will. Sogar der Innenminister hat dazugelernt. | |
Bild: Da taucht er ab, der Colston | |
Es gibt geschichtsträchtige Momente, die unspektakulär sind. | |
Geschichtsträchtig sind sie, wenn vor aller Augen und Ohren deutlich wird, | |
dass sich etwas radikal geändert hat, dass es nicht mehr so ist, wie | |
vorher. Unspektakulär sind solche Momente, wenn sie nicht als | |
symbolträchtige, bildmächtige Taten daherkommen, sondern als bescheidene | |
Gesten oder gar als einziges Wort. | |
Als Horst Seehofer nach dem rassistischen Mordanschlag nach Hanau reiste, | |
sagte er: „Rassismus ist Gift. Gift, das Verwirrung in den Köpfen auslöst | |
und dafür sorgt, dass das Böse hervortritt.“ Horst Seehofer – ein | |
Innenminister von der CSU! | |
Ich will ihm nicht Unrecht tun, vielleicht hat er auch schon vorher von | |
Rassismus gesprochen. Festhalten kann man aber, dass es in den bürgerlichen | |
Parteien und in den Redaktionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks viele, | |
viele Jahrzehnte gedauert hat, bis man sich durchringen konnte, von | |
Rassismus statt von Fremdenfeindlichkeit zu sprechen. Entweder konnte oder | |
wollte man nicht begreifen, was alle anderen längst wussten. | |
Fremdenfeindlichkeit ist eine anthropologische Konstante. | |
Das Fremde zieht uns an, aber es flößt uns auch Angst ein. Wer Rassismus | |
aber „Fremdenfeindlichkeit“ nennt, reproduziert, was er angeblich neutral | |
beschreiben will: Die Markierung des Mitmenschen als Anderen, als Fremden. | |
Rassismus ist keine Fremdenangst oder -feindlichkeit, sondern eine | |
Ideologie der Überlegenheit und Form von Gewalt, die sich mal „nur“ in | |
Worten, mal in Terror und Mord ausdrückt. | |
Weil es keine Menschenrassen gibt, war es nur eine Frage der Zeit, wann der | |
Gebrauch des Wortes Rasse im Grundgesetz einer kritischen Überprüfung | |
unterzogen werden würde. In dieser Woche war es so weit. Aminata Touré, | |
grüne Vizepräsidentin des Landtags von Schleswig-Holstein, und Robert | |
Habeck, der Bundesvorsitzende der Grünen, schrieben [1][in einem | |
Gastbeitrag in der taz], es sei Zeit, Rassismus zu verlernen: „Ein starkes | |
Zeichen dafür wäre, den Begriff ‚Rasse‘ aus dem Grundgesetz zu streichen. | |
Er manifestiert eine Unterteilung von Menschen in Kategorien, die dem | |
Anspruch und Geist unseres Grundgesetzes, ‚Alle Menschen sind vor dem | |
Gesetz gleich‘, widersprechen.“ | |
Die Forderung von Touré und Habeck ist politisch richtig, aber | |
philosophisch nicht ganz korrekt argumentiert, weil das Grundgesetz in | |
Artikel 3 den Begriff „Rasse“ ja paradoxerweise in einem antirassistischen | |
Geist nutzt: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, | |
seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, | |
seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder | |
bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt | |
werden.“ | |
## Streichen des Begriffs „Rasse“ kommt zu spät | |
Und wieder ist Horst Seehofer eins mit dem Weltgeist. Er will sich dem | |
Vorschlag, das Wort zu streichen oder durch ein besseres zu ersetzen, dem | |
sich inzwischen auch Abgeordnete anderer Parteien angeschlossen haben, | |
nicht versperren. | |
Aber nicht nur das Problembewusstsein der sogenannten bürgerlichen Mitte, | |
auch der Rassismus hat sich in den vergangenen hundert Jahren gewandelt. | |
Einen biologischen Rassismus vertreten nur noch Neonazis. Der bürgerliche | |
Rassist in Anzug und Krawatte hat diesen aus dem 19. Jahrhundert stammenden | |
Unsinn hinter sich gelassen. Er hat die Ideologie des Rassismus ins Feld | |
der Kultur transponiert und behauptet von sich, kein Rassist zu sein, weil | |
er nicht an die Existenz von Rassen glaubt. Insofern ist die Streichung des | |
Begriffs überfällig, kommt aber auch zu spät. | |
Geschichtsträchtige Momente der unspektakulären Sorte markieren radikale | |
Veränderungen im Denken von Gesellschaften, werden tendenziell aber | |
schneller vergessen als solche, die sich im Bild festhalten lassen. Ein | |
solcher Moment ereignete sich am vergangenen Sonntag in Bristol, als | |
Demonstranten die Statue von [2][Edward Colston] vom Sockel rissen und in | |
den Hafen warfen. | |
Colston war ein Philanthrop. Häuser, Straßen, Stiftungen tragen in Bristol | |
seinen Namen. Seinen immensen Reichtum erwarb er als Sklavenhändler bei der | |
monopolistischen Royal African Company, die zu seiner Zeit an die 84.000 | |
Sklaven nach Übersee verkaufte. Um die 20.000 von ihnen starben bereits bei | |
der Überfahrt. Wenn Lebensmittel knapp wurden, warf man Frauen und Kinder | |
über Bord. | |
Die Polizei von Bristol sah beim Denkmalsturz zu. „Obwohl ich enttäuscht | |
darüber bin, dass Leute eine unserer Statuen beschädigen, verstehe ich, | |
warum. Es ist ein symbolischer Akt“, sagte Andy Bennet, Superintendent der | |
Polizei von Somerset und Avon. Der Bürgermeister von Bristol, Marvin Rees, | |
Sohn eines Jamaikaners und einer Britin, meinte, die Statue sei ein Affront | |
gegenüber der Stadt. Inzwischen ist Colstons Statue wieder an Land. | |
Bürgermeister Rees will sie künftig in einem Museum zeigen. | |
13 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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