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# taz.de -- Corona und Studierende: Verschuldung oder Exmatrikulation
> Vielen Studierenden brechen in Coronazeiten die Nebenjobs weg. Die
> Bundesregierung reagiert – mit Krediten. Das empört viele.
Bild: Alleingelassen: Studierende sind halt nicht die Lufthansa
Für Jan Schlottau wird es langsam eng. Seit drei Monaten hat der 26-Jährige
keine Einkünfte mehr, lediglich die 200 Euro, die ihm seine Mutter
überweist. „Meine Ersparnisse sind aufgebraucht“, erzählt der Student am
Telefon. „Diesen Monat kann ich noch Miete zahlen. Das war’s dann.“
Schlottau studiert in Freiburg Soziale Arbeit. Weil er zuvor aber schon ein
Pädagogikstudium abgeschlossen hat, bekommt er kein Bafög. Mit Beginn der
Coronakrise verlor er seinen Nebenjob als Pizzabäcker – und auch seine
üblichen Sommeraufträge als Erlebnispädagoge und Hochzeitsfotograf fallen
ins Wasser. „Ich bin es echt gewohnt, mit wenig Geld auszukommen. Aber so
schlimm wie jetzt war es noch nie.“
Mit seinen finanziellen Sorgen ist Jan Schlottau nicht allein. Nach der
jüngsten Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks arbeiten rund zwei
Drittel der Studierenden neben dem Studium. Einnahmen, die sie dringend für
ihren Lebensunterhalt benötigen und die nun – wie Schlottaus Pizzabäckerjob
– über Nacht weggebrochen sind.
Ende April hat Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) deshalb schnelle und
unbürokratische Hilfe für Studierende versprochen, die durch die
Coronakrise in Bedrängnis geraten sind. Zum einen stehen seit Mai zinslose
Kredite von bis zu 650 Euro zur Verfügung, die die Kreditanstalt für
Wiederaufbau (KfW) vergibt.
## Studis ohne Lobby
Und für Härtefälle hat Karliczek einen Nothilfefonds von über 100 Millionen
Euro aufgelegt, den die Studierendenwerke ab sofort zunächst bis August
auszahlen sollen. Bis zu 500 Euro gibt es als Zuschuss für Studierende,
wenn sie nachweisen können, dass ihr Kontostand gegen null geht.
Bei den Betroffenen jedoch stoßen die Hilfsmaßnahmen auf wenig Dankbarkeit.
Im Gegenteil. „Die angekündigte Soforthilfe von 500 Euro ist ein schlechter
Scherz“, kritisiert etwa Nadia Galina, die hochschulpolitische Sprecherin
des Bundesverbands ausländischer Studierender (BAS).
Wie andere Hochschulgruppen auch hat der BAS für Montag [1][zum
bundesweiten Protest] aufgerufen, um auf die Notsituation und die
unzureichende Hilfe vom Bund aufmerksam zu machen.
Auch Maximilian Kroll vom AStA der TU Darmstadt hält ein politisches
Zeichen für überfällig. „Am Nothilfefonds der Regierung sieht man, dass wir
Studierenden keine Lobby haben“, sagt der Informatikstudent der taz. Für
Mittelständler und Freiberufler habe die Bundesregierung zu Beginn der
Coronakrise schnell Zuschüsse lockergemacht, private Konzerne wie die
Lufthansa sogar mit Milliardenbeträgen gestützt.
## Hochschulen werden selbst aktiv
„Und was unternimmt sie für die Studierenden? Sie verteilt Kredite, die man
wieder zurückzahlen muss.“ Der Rest sei reine Symbolpolitik. Zwar habe das
Land Hessen recht zügig eine eigene Soforthilfe aufgelegt, die habe aber
„hinten und vorne“ nicht gereicht: 200 Euro einmalig bei 1.250
Studierenden. „Allein an der TU Darmstadt sind es 25.000.“
Um die Not ihrer Studierenden zumindest vorübergehend zu lindern, sind
einige Hochschulen selbst aktiv geworden. Die TU Darmstadt etwa hat 90.000
Euro an [2][Soforthilfe bereitgestellt, die sie unter anderem mit
Hörsaalsponsoring] verdient hat.
Ausbezahlen soll das Geld nun der Förderverein für in Not geratene
Studierende, der ursprünglich mal gegründet wurde, um Studierende in
Extremsituationen wie nach einem Wohnungsbrand zu unterstützen. Während der
Coronakrise hat sich aber die Zahl der Anfragen nun verachtfacht, heißt es
auf taz-Anfrage, 300 Euro Soforthilfe können Darmstädter Studierende nun
erhalten.
Auch das Präsidium der [3][Philipps-Universität Marburg hat Ende Mai
beschlossen, einen Corona-Nothilfefonds] einzurichten, bis die staatlichen
Gelder fließen. Fast 60.000 Euro sind bis jetzt an Spenden
zusammengekommen. „Das meiste haben Mitarbeiter der Uni gespendet“, erzählt
Elena Hartmann, die im Auftrag des Präsidiums nun die Anträge der
Studierenden bearbeitet.
## Etikettenschwindel?
Bis Montagmittag sind bei Hartmann 280 Anträge angekommen. Je nach Fall
zahlt die Uni 200 bis 400 Euro aus. „Das ist vielleicht nicht viel“, sagt
Hartmann, „aber die Studierenden sind dankbar, dass jemand ihre Not ernst
nimmt.“ Auch andere Hochschulen haben Gelder für einen Notfonds gesammelt,
an einer Stuttgarter Hochschule sogar auf Initiative eines BWL-Professors.
Dass sich die Hochschulen so ins Zeug für ihre Studierenden legen, kann
Andreas Keller von der Bildungsgewerkschaft GEW zwar nur begrüßen. „Das
Engagement belegt aber gleichzeitig, dass es die versprochene ‚schnelle und
unbürokratische‘ Hilfe vom Bund nicht gibt“, sagt Keller der taz.
## Notfonds zu klein
Vor allem ärgert ihn, dass die Bundesregierung Milliarden für diverse
Rettungsschirme zur Verfügung stellt, die Studierenden aber nicht mit
drunternimmt. Der Notfonds über 100 Millionen Euro sei viel zu klein, um
nur annähernd alle Bedürftigen zu unterstützen. Und bei dem in Aussicht
gestellten KfW-Kredit wirft Keller der Bundesregierung sogar
„Etikettenschwindel“ vor.
„Die Regierung spricht von einem zinslosen Darlehen. In Wahrheit ist der
Kredit aber nur für ein Jahr zinsfrei.“ Das heißt: Studierende müssen sich
verschulden und mehrere Tausend Euro allein an Zinsen berappen – obwohl sie
unverschuldet in Not geraten sind. Dabei hätte es Alternativen gegeben,
sagt Keller, der als GEW-Vorstandsmitglied im Mai gegenüber dem
Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu
den Coronamaßnahmen der Bundesregierung Stellung genommen hat.
So habe die [4][Linkspartei unter anderem einen Nothilfefonds über 3
Milliarden Euro gefordert], was Keller für angemessen hält. Die Grünen
hatten zudem ins Spiel gebracht, Hartz IV für Studierende zu öffnen. Und
die [5][SPD hat sich mit ihrer Idee, das Bafög für Nichtempfänger zu
öffnen], nicht gegenüber dem Koalitionspartner durchgesetzt.
Mit verheerenden Folgen: „Wie schon bei der Bafög-Reform vergangenes Jahr
erweckt die Bundesregierung den Eindruck, sich nicht für die prekäre
Lebenssituation vieler Studierenden zu interessieren“, so Keller. Damals
blieben selbst die von der Großen Koalition angehobenen Bafög-Höchstsätze
deutlich unter den tatsächlichen Lebenshaltungskosten, auch wegen der
rasant steigenden Mieten.
460 Euro muss der Freiburger Student Jan Schlottau für ein WG-Zimmer
hinlegen. Allein wegen der Miete muss er wohl den KfW-Kredit beantragen. Er
findet das „unfair“, hat aber keine andere Wahl. Seine Mutter ist
berufsunfähig, Hartz IV kann er als Student nicht beantragen. „Im Jobcenter
hat man mir empfohlen, mich exmatrikulieren zu lassen.“
8 Jun 2020
## LINKS
[1] /Studierende-in-der-Coronakrise/!5687899
[2] https://www.tu-darmstadt.de/universitaet/aktuelles_meldungen/einzelansicht_…
[3] https://www.uni-marburg.de/de/universitaet/profil/fundraising/corona-nothil…
[4] https://www.linksfraktion.de/themen/nachrichten/detail/die-100-millionen-si…
[5] https://www.tagesschau.de/inland/bafoeg-aerger-101.html
## AUTOREN
Ralf Pauli
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