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# taz.de -- Bücher über Väter und Care-Arbeit: Gutes Geld, gute Papas
> In der Zukunft ist die geschlechtliche Arbeitsteilung abgeschafft und
> Droiden übernehmen die Care-Arbeit – das wäre jedenfalls fairer als die
> Gegenwart.
Bild: Dreht auch mal durch: der moderne Vater
Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land
Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir
sagen werde.“ So viel Tradition – wir sind schließlich
„christlich-abendländisch geprägt mit jüdisch-humanistischen Wurzeln“
(Markus Söder) – muss sein, wenn wir uns mit einem Buch der Anthropologin
Anna Machin beschäftigen wollen, [1][das den Untertitel trägt „Die
Entstehung des modernen Vaters“].
Aber bevor wir uns in die Seiten vertiefen, erinnern wir kurz an einen
Julimorgen vor drei Jahren, als gestohlene und mit Sprengstoff gefüllte
Militärfahrzeuge in der Provinz Helmand in einen Außenposten der
afghanischen Armee eindrangen und explodierten. Unter den
Selbstmordattentätern befand sich auch der Sohn des Taliban-Chefs Mawlawi
Haibatullah Akhundzada. Die Taliban zögerten nicht, diesen Tod
propagandistisch auszuschlachten, auch gerade in der Betonung des
Gegensatzes zum väterlichen Verhalten des amtierenden afghanischen
Präsidenten, der seinen Sohn dem Kriegsgeschehen entzogen und zum Studium
in die USA geschickt hatte.
Wir „westlichen Väter“, wie Anna Machin uns immer wieder anspricht, würden
wohl nicht zögern, den afghanischen Präsidenten zu loben, der die sorgende
Vaterrolle über den Dienst am Vaterland stellt und seinen Sohn nicht auf
dem Altar des Widerstands opfert. Ob eine Gesellschaft oder Gemeinschaft
allerdings ganz ohne Opfer funktionieren kann, ist eine durchaus
umstrittene Frage: Wenn es richtig ist, dass Menschen für andere Menschen
am Anfang und am Ende ihres Lebens sowie mittendrin, wenn etwa ein
sogenannter Unfall geschieht, bedingungslos da sein müssen, dann müssen die
Kümmernden, welche die „Care-Arbeit“ leisten, ihre eigenen Bedürfnisse
zumindest zeitweise, aber möglicherweise radikal zurückstellen.
Wir wissen, schreibt Machin, „dass eine sichere Bindung zwischen Vater und
Kind für eine gesunde Entwicklung ausschlaggebend ist. Diese Bindung ist
vor allem in den ersten 1.000 Tagen entscheidend, weil sie mit einer Zeit
der rasanten Gehirnentwicklung zusammenfällt.“ Der Vater also, der in
diesen 1.000 Tagen Dringenderes glaubt zu tun zu haben, als sich
bedingungslos um die liebevolle Hirnentwicklung seines Kindes zu kümmern,
macht mehr als einen entscheidenden Fehler – er begeht letztlich ein
Verbrechen: Da es bei der von ihm zu verantwortenden Vernachlässigung nicht
um ihn selbst, sondern um ein anderes Wesen geht, das der Vater
möglicherweise noch dazu bewusst mit in die Welt gesetzt hat, um es dann im
evolutionär entscheidenden Moment im Stich zu lassen.
## Die 1.000 Tage
Es ist klar, dass ein Buch mit dem Titel „Papa werden“ („The life of Dad.
The Making of the Modern Father“), das ja seine Kundschaft finden und
weiterempfohlen werden will, nicht als letzten Schluss für den „westlichen
Vater“ ein apodiktisches ‚Sei die ersten 1.000 Tage da‘ durchhalten kann.
Deswegen schreibt Machin nebenbei an anderer Stelle: „unser Schicksal ist
bei unserer Geburt nicht in Stein gemeißelt, es wird nicht in den ersten
1.000 Tagen entschieden“. Puh, nochmal Glück gehabt – und vor allem auch
du, meine Tochter, mein Sohn!
Es sind aber nicht nur solche unaufgelösten Widersprüche, die einen bei der
Lektüre zunehmend missgelaunt stimmen, und auch nicht die
penetrant-verhätschelnde Papa-Ansprache. Mich hat dieses Buch, in dem ohne
Anmerkungsapparat Dutzende von Vaterstudien zitiert werden, aus einem
anderen Grund traurig gemacht.
Im Zuge der Coronapandemie war es in letzter Zeit immerhin öfter im Blick:
Für die Erforschung von Krankheiten wie Malaria und Tuberkulose, an denen
jährlich Millionen von Menschen sterben, wird praktisch überhaupt kein Geld
ausgegeben – schlicht deswegen, weil die von diesen Krankheiten betroffenen
Menschen arm sind. Gleichzeitig, war kürzlich etwa in der taz zu lesen,
wird die Entwicklung von Medikamenten begünstigt, die wenig therapeutischen
Sinn haben, solange es eine kaufkräftige Kundschaft gibt, die an ihnen
interessiert ist. Nach diesem Prinzip funktioniert die gesamte
‚Ich-bin-zu-dick-Industrie‘, die eine Krankheit – Adipositas – erfindet…
sie anschließend teuer behandeln zu können.
Wenn nun eine Forschergruppe in einer der von Machinangeführten Studien 263
Väter nach dem siebten Geburtstag ihrer Kinder ein Jahr begleitet, um
herauszufinden, wie die einzelnen Väter das Verhalten ihrer Kinder
wahrnehmen und wie das mit ihrem Verhalten als Väter und dem Zusammenhalt
der Familie am Ende des Jahres korreliert; und wenn am Ende wie bei den
meisten der angeführten Studien so was herauskommt wie ‚Ist der Vater
gesund, muss nicht zu viel arbeiten und hat trotzdem genug Geld, freut sich
das Kind‘ – dann darf man schon fragen, wem eigentlich hier was aus welchen
Gründen und mit welchen Mitteln als zu erforschendes und tendenziell zu
therapierendes Problem vermittelt werden soll.
Vor allem weil die Autorin durchaus im Blick hat, dass Vatersein weniger
ein anthropologisches als ein materielles Problem ist: „Wenn es
Vaterschaftsurlaub gibt und er angemessen finanziert wird, beansprucht ihn
die überwältigende Mehrheit der Väter auch“– und zwar egal ob westlich o…
östlich, schwarz oder weiß, hetero oder schwul.
## Equal Care
Aber natürlich – die oben schon erwähnte „Care-Arbeit“ beginnt nicht mit
Geburt und endet nicht mit ein paar Wochen oder Monaten aktiver,
unbedingter Vaterschaftszeit (hier mal statt: „Vaterschaftsurlaub“). Was
wir Fortschrittlichen immer anstreben, ist „Equal Care“, [2][so der Titel
eines gerade im Berliner Verbrecher Verlags erschienen Bandes].
„Care-Arbeit“, betont das Autorenpaar Almut Schnerring und Sascha Verlan,
ist „unverzichtbar“, „unverschiebbar“, sie ist „im Grunde das Zentrum…
Wirtschaftens“, denn es geht bei ihr „ums tatsächliche Überleben“.
Wenn nun solch in jüngster Zeit als „systemrelevant“ gekennzeichnete Arbeit
nicht entsprechend gewürdigt, vergütet und tatsächlich eben überhaupt nicht
allen im Gemeinwesen in gleicher Weise zur Verfügung gestellt wird: dann
bedeutet das, dass das „tatsächliche Überleben“ aller eben nicht a priori
gesetzt ist. Faktisch wird auch in einem reichen Land wie Deutschland
täglich priorisiert, wer wie weiterleben, wer sich wie entwickeln darf.
Care-Arbeit werde im Kapitalismus systematisch abgewertet, schreiben
Schnerring/Verlan, weil sie sich technisch nicht beschleunigen, sondern nur
in möglichst billiger Lohnarbeit erledigen lasse, die dann gern ausgelagert
wird auf den Taschengeld-Teenager oder die ausländische Pflegekraft, die in
ihrem eigenen Zuhause wiederum fehlt, möglicherweise sogar die ersten 1.000
Tage nach Geburt ihres oder seines eigenen Kindes oder in den letzten,
pflegeintensiven Wochen eines Elternteils – die brutale Seite der globalen
Betreuungskette.
In ihrem nicht zuletzt an guten Fragen reichen Buch lassen
Schnerring/Verlan keinen Zweifel aufkommen, dass die „geschlechtliche
Arbeitsteilung“ auch im rhetorisch gesofteten Kapitalismus strukturell
beinhart abgesichert bleibt. Die Frauen kümmern sich praktisch um alles und
verdienen wenig, die Männer verstecken sich hinter ihrem Mehr-Verdienen und
sterben dafür früher.
## IG-11
Seit ich in der Star-Wars-Serie „The Mandalorian“ den vom mörderischen
Kopfgeldjäger zum väterlichen Pflegedroiden umprogrammierten Kampfroboter
IG-11 kennengelernt habe, bin ich weniger skeptisch als das Autorenpaar,
was den Einsatz von Care-Robotern angeht, aber klar, wir sind noch nicht so
weit: Wir müssen weiter fordern, und jeder Cent mehr Geld für Eltern ist
mehr wert als alles abgestandene Gelaber, was einen Mann oder eine Frau
„natürlich“ ausmacht.
Und dann können wir uns manchmal auch zurücklehnen und [3][über das Lied
„Story of Isaac“ von Leonhard Cohen nachdenken]. Wir werden, wie Cohen so
großartig singt, von keinem Gott mehr in Versuchung geführt, unser Kind auf
seinem Altar zu opfern. Aber das Problem der Selbstverwirklichung und was
wir ihr opfern wollen, das Problem der Altare, die wir selber bauen, ist
damit, genau, nicht vom Tisch. Equal Care ist die richtige, linke Idee,
aber dem Begriff Care bleibt eine tragische, tendenziell konservative und
ich-feindliche Dimension anhängen, die für fortschrittliches Denken und
Handeln herausfordernd bleibt.
9 Jun 2020
## LINKS
[1] https://www.kunstmann.de/buch/anna_machin-papa_werden-9783956143601/t-0/
[2] https://www.verbrecherverlag.de/book/detail/1022
[3] https://www.youtube.com/watch?v=L9NKRZUD9lw
## AUTOREN
Ambros Waibel
## TAGS
Care-Arbeit
Väter
Eltern
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Schwerpunkt Coronavirus
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