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# taz.de -- Fußball in Europa trotz Corona: Der Ball wird flach gehalten
> Europas Fußballligen wollen den Spielbetrieb wieder aufnehmen.
> Fallrückzieher sind nicht ausgeschlossen.
Bild: „Weiterspielen ist ein Witz“: Danny Rose von Newcastle United im Apri…
## Spieler-Skepsis in England
Die Bundesliga mag wieder kicken. Quer über den Kanal, in England, sieht
es, was die Premier League betrifft, jedoch noch ganz anders aus. Ob die
unterbrochene Fußballsaison mit noch 92 ausstehenden Spielen tatsächlich zu
Ende gespielt wird oder nicht, hängt von einer Einigung zwischen
verschiedenen Positionen ab.
Mit an der Diskussion beteiligt sind die 20 Vereine selbst, die für den
Fußball zuständige Sondereinheit der Polizei, einzelne Spieler, der Verband
der Profifußballspieler*innen (PFA) sowie führende Vertreter der
Premier League selbst.
Im Rahmen der sich nur langsam lockernden Corona-Einschränkungen dürfte
laut britischer Regierung ohnehin erst frühestens ab dem 1. Juni und nur
ohne Zuschauer gespielt werden. Dies auch nur dann, wenn sich die Zahl der
mit Covid-19 Infizierten bis dahin nicht erneut erhöht.
Tottenhams Verteidiger Danny Rose will, bis sich diese Zahl stark
verringert hat, vom Weiterspielen gar nichts wissen. „Das ist ein
verdammter Witz!“, kommentierte er Premierminister Boris Johnsons Worte.
Der hatte gesagt, dass das Wiederabhalten von Sportveranstaltungen als
notwendige moralische Unterstützung zu verstehen sei. „I don’t give a
fuck“, das ist mir scheißegal, schimpfte Rose auf Instagram. „Hier stehen
Menschenleben auf dem Spiel.“
Die PFA betrachtet die Wiederaufnahme des Spielbetriebes ebenfalls mit
Skepsis. Sie äußert sich jedoch diplomatischer und berichtet, Spieler mit
chronischen Erkrankungen wie Asthma oder auch Angehörige ethnischer
Minderheiten wie etwa britische Schwarze, hätten Einwände erhoben.
Offensichtlich zu Recht. Laut den neuesten Angaben des britischen
Statistikamts (ONS) ist die Gefahr für Angehörige dieser Gruppen, schwerer
an Covid-19 zu erkranken als andere oder sogar daran zu sterben, doppelt
bis viermal so hoch.
Auch Londons Bürgermeister Sadiq Khan merkte an, es sei zu früh, die Saison
wieder anlaufen zu lassen. Fünf der 20 Premier League Vereine sind in der
Hauptstadt ansässig.
Nach wie vor ungeklärt ist auch, wie das Training beginnen soll. Die
Manchester-City-Spieler Sergio Aguero und Raheem Sterling zeigten sich
besorgt: Zu einer Wiederaufnahme der Saison dürfte es erst kommen, wenn
Fußball für alle sicher sei, sagte Sterlin, nicht nur für die Spieler.
Weitere Kritik gab es an dem Vorschlag, auf neutralem Boden zu spielen.
Mindestens ein Dutzend Vereine – darunter alle Clubs, die gegen den Abstieg
kämpfen – sprachen sich nicht zuletzt wegen des Heimvorteils dagegen aus.
Richard Masters, Geschäftsführer der Premier League, gestand, dass am
vergangenen Montag alle an der Diskussion Beteiligten erstmals ein
vorzeitiges Ende der Saison in Erwägung gezogen hätten. Sollte dieser Fall
eintreten, müssten umgerechnet 380 Millionen Euro für Übertragungsrechte
zurückgezahlt werden. Eine Entscheidung wird nicht vor kommender Woche
erwartet. (Daniel Zylbersztajn, London)
## Geisterspiele in Italien
Als am 19. Februar Atalanta Bergamo in Mailand gegen Valencia im
Viertelfinale der Champions League antrat, wusste niemand, welche Gefahr
von dem Spiel ausging. 45.000 Fans waren aus Bergamo angereist – aus jener
Stadt, die sich nur wenige Tage später als Epizentrum der Coronapandemie in
[1][Italien] und Europa entpuppen sollte.
Nach der Heimkehr der Valencianer wurden 35 Prozent der Vereinsmitarbeiter,
die in Mailand gewesen waren, positiv auf das Virus getestet. Doch auch
unter den Fans, so gab sich später Bergamos Bürgermeister Giorgio Gori
sicher, wurde die Partie zur Virusschleuder. Gut zwei Wochen später zogen
die Regierung und der Fußballverband die Notbremse. Sie legten vom 10. März
an den Spielbetrieb in ganz Italien komplett still.
In jenen frühen Märztagen hatte sich auch gezeigt, dass das Virus in
diversen Mannschaften angekommen war. Gleich drei Spieler, der
Mannschaftsarzt, der Physiotherapeut und sieben weitere Club-Beschäftigte
wurden beim AC Florenz positiv getestet, fünf Spieler bei Sampdoria Genua.
Seither geht nichts mehr in der Serie A und den anderen Spielklassen. Jetzt
aber soll es wieder losgehen, so will es der Fußballverband FIGC.
Individuell trainieren schon die Spieler diverser Clubs. Ab 18. Mai möchten
die Vereine aber auch das Mannschaftstraining wieder aufnehmen – und von
Juni an Spiele vor leeren Stadien.
Daher hat die FIGC ein Sicherheitsprotokoll erstellt, das Tests und
Temperaturkontrollen für die Spieler regelt. Die Vereine sollen sich in
Trainingslager begeben, wo sie abgeschottet sind, die Spieler auf den
Zimmern duschen. Masseure müssen mit Handschuhen sowie Schutzmasken und
Schutzbrillen arbeiten. In den ersten sieben Trainingstagen sollen die
Spieler auf zwei Meter Abstand bleiben.
Doch es steht noch in den Sternen, ob am nächsten Montag der Startschuss
für die Aufnahme des Trainings fällt, und ob noch in dieser Saison der
reguläre Spielbetrieb wieder losgehen kann. Die
„technisch-wissenschaftliche Kommission“ der Regierung schickte das
FIGC-Protokoll mit der Bemerkung zurück, es sei „lückenhaft und
unzureichend“. Der zentrale Streitpunkt ist, wie auf positive Tests im Team
reagiert werden muss.
Der Fußballverband sieht vor, dass nur die infizierte Person isoliert wird.
Die Regierungskommission verlangt in diesem Fall Quarantäne für alle
Spieler und Staff-Mitglieder. Dass das Risiko konkret ist, zeigten Tests in
der vergangenen Woche. Sowohl ein Spieler des FC Turin als auch drei
Spieler und drei Mitarbeiter des AC Florenz waren positiv. (Michael Braun,
Rom)
## Lockdown-Modus in Portugal
In Portugal soll am 4. Juni wieder der Ball rollen – ohne Zuschauer und
unter Einhaltung strenger Hygienemaßnahmen, um die Gefahr einer Ansteckung
so gering wie möglich zu halten.
Nach dem Ende eines sechswöchigen Corona-Ausnahmezustands hat Portugals
Regierung die strikte Ausgangssperre offiziell am 4. Mai gelockert. Seither
wagt das Land einen vorsichtigen Ausstieg aus dem Lockdown. Und zur
Normalität gehört in Portugal eben auch der Fußball. Nicht nur die Liga,
die unter finanziellem Druck stehenden Vereine oder Inhaber von TV-Rechten
wünschen sich diesen Normalbetrieb zurück. Auch die Regierung will mit
diesem Schritt ein Signal für die Rückkehr zum Alltag setzen.
Portugals höchste Fußball-Liga war wegen der Pandemie am 12. März
unterbrochen worden. Noch stehen zehn Spieltage aus. Der FC Porto führt die
Tabelle mit einem Punkt Vorsprung vor Benfica Lissabon und 14 Punkten vor
Sporting Braga an.
Die Generaldirektion für Gesundheit hat in Zusammenarbeit mit dem
Fußballverband FPF und dem Ligaverband am vergangenen Sonntag einen
umfassenden Verhaltenskodex herausgegeben, den alle Akteure penibel
einhalten müssen. Die strengen Regeln beziehen selbst die Familien der
Fußballakteure mit ein.
Diese müssen seit Trainingsbeginn in der vergangenen Woche und bis zum Ende
der Saison, voraussichtlich Mitte Juli, weiter im Lockdown-Modus verharren
und ihre sozialen Kontakte auf ein Minimum reduzieren. Zudem müssen sich
Spieler 48 Stunden vor jedem Anpfiff zwei Tests unterziehen.
Fußball- und Gesundheitsexperten sind sich uneins, ob die Voraussetzungen
für den Wiederanpfiff tatsächlich erfüllt sind. Sie bekräftigen die
Notwendigkeit einer Ad-hoc-Evaluierung. Andere befürchten, dass die nun zu
erfüllenden Regeln die Ungleichheiten in einer bereits jetzt von wenigen
großen Vereinen dominierten Liga weiter verschärfen werden.
Bei einem Saisonabbruch droht vielen Erstliga-Vereinen die Insolvenz,
besonders denjenigen im unteren Tabellenfeld, aber auch so manchen auf den
mittleren Plätzen. Für viele Clubs in Portugal machen die TV-Gelder mehr
als die Hälfte ihres Jahresbudgets aus.
Doch nicht nur der wirtschaftliche Druck wird bestimmen, ob es zum
Wiederanpfiff kommt oder nicht. Am vergangenen Sonntag wurde bekannt, dass
Spieler der Erstligisten Vitória de Guimarães (drei Profis), FC Famalicão
(drei), Moreirense FC (1) und Benfica Lissabon (1) positiv auf das
Coronavirus getestet wurden. Sollten in den nächsten Wochen weitere Tests
positiv ausfallen, wird die bislang sehr vorsichtig agierende Regierung den
Ligastart vermutlich wieder verschieben. (Simon Kamm, Lissabon)
Vornehme Zurückhaltung – außer Weißrussland
In den meisten Staaten Europas gibt es offensichtlich nur wenig Neigung,
dem Beispiel der deutschen Bundesliga nachzueifern. Allez les Bleus? Von
wegen. In Frankreich hat die Ligue 1 die Saison vorzeitig abgepfiffen,
Paris Saint-Germain ist Meister. Der Verein widmete seinen Sieg dem
Gesundheits- und Pflegepersonal, das in Coronazeiten tapfer seine Pflicht
erfüllt. Immerhin.
In Spanien ist der Spielbetrieb seit dem 12. März unterbrochen. In der
vergangenen Woche kamen die Spieler aller Teams der ersten und zweiten Liga
erstmals wieder in die Trainingszentren ihrer jeweiligen Klubs. Der
Neustart der Saison soll zwischen dem 14. und dem 28. Juni erfolgen.
In Dänemark wird bereits wieder trainiert, die Trockenübungen sollen
bisherigen Planungen zufolge jedoch Anfang Juni durch reale Partien ersetzt
werden. ZuschauerInnen müssen zunächst einmal zu Hause bleiben.
Demgegenüber bleiben FinnInnen gespenstische Begegnungen erspart. Die
sollen in der Männerliga wieder am 1. Juli starten, bis zu 500
BesucherInnen pro Spiel sollen möglich sein.
Auch im fußballverrückten Kroatien läuft es seit Mitte März nicht mehr
rund. Zwecks Überbrückung der Abstinenz machten sich Fans der Erstligisten
Dinamo Zagreb und Hajduk Split als Lebensmittellieferanten und Möbelpacker
nützlich. Das dürfte sich ab dem 6. Juni ändern, wenn die erste Liga wieder
startet.
In Russland ist geplant, den Spielbetrieb im Juni wieder aufzunehmen. Das
ist mehr als sportlich angesichts der Tatsache, dass derzeit mit rund
10.000 Corona-Neuinfizierten täglich Rekordwerte erreicht werden. Der
russische Fußballverband habe entsprechende Richtlinien erarbeitet und sich
dabei der besten Beispiele aus Europa bedient, unter anderem aus
Deutschland, schreibt der Kommersant. Eine Entscheidung soll an diesem
Freitag fallen.
Gänzlich außer Konkurrenz ist derzeit [2][Weißrussland] auf dem Rasen
unterwegs – in normalen Zeiten nicht unbedingt der Nabel der Fußballwelt.
Dauerpräsident Alexander Lukaschenko, der die Aufregung um Corona ohnehin
für völlig übertrieben hält, hat einfach ohne Unterbrechung weiterspielen
lassen – nebst freundlicher Unterstützung aus der Fankurve.
Damit hat Weißrussland jetzt, außer der Vollstreckung der Todesstrafe, ein
weiteres Alleinstellungsmerkmal in Europa. Doch siehe da. Da es auch unter
den Fußballern erste Coronafälle gibt, wird die neunte Spielrunde in der
Vysshaja Liga nicht wie geplant am 15. Mai beginnen. Geht doch. (Barbara
Oertel, Berlin)
16 May 2020
## LINKS
[1] /Krisenplaene-im-italienischen-Fussball/!5681155
[2] /Fussball-in-Belarus/!5670982
## AUTOREN
Simon Kamm
Michael Braun
Barbara Oertel
D. Zylbersztajn
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