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# taz.de -- Verkehrsexperte über die Abwrackprämie: „Wer kann Google Paroli…
> Nur mit Prämien für den Kauf von Dieseln und Benzinern können die
> Konzerne die Investitionen ins autonome Fahren stemmen, sagt Experte Lutz
> Eckstein.
Bild: Autonom, aber noch nicht attraktiv: fahrerInnenloser Busse in Monheim
taz: Herr Eckstein, Sie halten eine [1][Abwrackprämie] für Autos für
sinnvoll. Warum?
Lutz Eckstein: Ein [2][Kaufanreiz für Personenkraftwagen] würde erstens die
Verkehrssicherheit erhöhen. 60 Prozent aller getöteten Autoinsassen kommt
in Fahrzeugen ums Leben, die älter sind als 20 Jahre. Zweitens dürfen wir
bei dem wichtigen Zukunftsthema „Automatisiertes Fahren“ nicht den
Anschluss verlieren.
Sie meinen fahrerlose Autos oder Busse?
Ich meine vor allem fahrerlose Shuttles. Sie ergänzen den öffentlichen
Verkehr hervorragend, sowohl in den Metropolen, aber auch im ländlichen
Raum. Und sie könnten zahlreiche individuelle Fahrten in Autos ersetzen,
sobald fahrerlose Shuttles als das bessere Angebot wahrgenommen werden.
In Berlin fährt schon ein fahrerloser Bus, da kann man nebenherlaufen, so
langsam fährt der …
Wenn ein fahrerloser Bus keinen überzeugenden Nutzen bietet, können wir
nicht erwarten, dass die Bevölkerung das Potenzial dieser Technik erkennt.
Darum sollten wir ausgereifte Technik mit attraktivem Nutzen auf die Straße
bringen – das wird in wenigen Jahren möglich sein.
Dann kurven fahrerlose Transporter durch die Städte? Das ist schwer
vorstellbar …
Fahrerlos heißt genau genommen, dass diese Fahrzeuge nicht von Menschen im
Fahrzeug gesteuert werden, sondern von Lotsen in einer Art Leitzentrale
beaufsichtigt werden. Im Zweifelsfall hält das Fahrzeug einfach an und der
Lotse entscheidet über eine Weiterfahrt. Der Klassiker: Eine ältere Person
steht am Zebrastreifen und winkt. Möchte sie einsteigen oder das Fahrzeug
vorbeiwinken? Hier muss der Lotse entscheiden.
Sehen Sie autonome Shuttles als Teil der Verkehrswende, weg vom Fokus auf
das Auto?
Autonome Shuttles tragen zu einer Mobilität bei, die für alle erschwinglich
ist und mit der sich alle sicher fühlen. Wenn es etwa einen attraktiven
öffentlichen Nahverkehr wie in Berlin gibt, warum sollten die Menschen dann
einen privaten Pkw nutzen? Wir müssen aber auch anerkennen, dass die
Lebenswirklichkeit unserer Mitmenschen unterschiedlich ist, der eine Ältere
braucht einen Pkw, um mobil zu bleiben, der andere um etwas zu
transportieren.
Und wieder andere bräuchten sichere Fußwege, um überhaupt mobil sein zu
können. Kinder zum Beispiel …
Ja, natürlich. One size fits all, das funktioniert nur bei Socken.
Was ist mit der Wahlfreiheit der Radfahrer, wenn ihr Fahrradweg in einer
zweispurigen Straße endet?
Wir müssen die Verkehrswege in vielen Städten umgestalten. Schauen Sie in
die Niederlande: In Den Haag zum Beispiel ist Radfahren überhaupt kein
Problem. Wir leisten uns in Bezug auf Mobilität hierzulande einen
Fundamentalismus, der nicht zu den Werten passt, die wir sonst hochhalten.
Wir sollten uns nüchtern fragen, wie die Lebensqualität in einer Stadt von
morgen aussehen soll, welche Anforderungen die unterschiedlichen
Nutzergruppen an Mobilität haben, und dann mit Toleranz planen.
Rührt der Fundamentalismus daher, dass in den letzten Jahrzehnten die
Verkehrspolitik nur die Interessen der Autohersteller vertreten hat?
In den vergangenen Jahren sind sicher Fehler gemacht worden – ich möchte
mir aber nicht anmaßen, einzelne Politiker oder Hersteller zu kritisieren.
Es geht doch darum, dass wir vor dem Hintergrund der unterschiedlichen
Nutzergruppen und Bedarfe attraktive Mobilitätsbausteine schaffen, die sich
ergänzen, und nicht die eine oder andere Lösung verteufeln.
Trotz Dieselskandal und Spätzündung bei der E-Mobilität wollen Sie den
Herstellern Milliarden zuschieben?
Das automatisierte Fahren erfordert ungeheuer hohe Investitionen und stellt
einen wichtigen Baustein unserer zukünftigen Mobilität dar. Unsere
Gesellschaft, unser Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort wird
konfrontiert mit Ländern und großen Unternehmen, die bereit und in der Lage
sind, viel mehr Geld in dieses Thema zu investieren, als wir oder unsere
Unternehmen es aktuell können.
Zum Beispiel?
China und IT-Konzerne aus den USA, aber auch Japan und Singapur räumen
diesem Thema oberste Priorität ein. China geht das Ganze systemisch an und
fördert neue Technologien mit ungeheuren Summen. Darum stammen viele
E-Busse, die bei uns herumfahren, heute aus China. Wollen wir, dass unser
zukünftiges Mobilitätsangebot durch fahrerlose Shuttles bestimmt wird, die
in anderen Wirtschaftsräumen entwickelt und dort auf Basis umfangreicher
Daten optimiert werden? Wir müssen uns nicht erst seit Corona überlegen,
auf welchem Sektor wir ein gewisses Maß an Unabhängigkeit erreichen wollen.
Das können wir nicht, wenn unseren Unternehmen das Geld ausgeht.
Die Autoindustrie hat in den vergangenen Jahren viel Geld verdient – und
damit neue SUVs entwickelt …
… nicht nur. Jeder große Konzern hat in den letzten Jahren im Schnitt eine
Milliarde in dieses Thema gesteckt, obwohl nicht absehbar ist, wann mit dem
automatisierten Fahren Geld verdient werden kann. Das wird jetzt alles
drastisch zurückgefahren. Die Unternehmen nehmen Milliardenbeträge aus der
Entwicklung des autonomen Fahrens heraus. Wer außer ihnen hat denn in
Deutschland die Möglichkeit, Unternehmen wie Waymo mit Google im
Hintergrund Paroli zu bieten?
Sollte man das Geld einer Abwrackprämie direkt in autonomen Verkehr
investieren?
Nein, unsere Volkswirtschaft braucht gesunde Unternehmen, die willens und
in der Lage sind, nennenswerte Summen in das automatisierte Fahren zu
investieren. Man könnte ergänzend spezielle Programme für Kommunen,
Wirtschaft und Wissenschaft auflegen, damit sie das automatisierte Fahren
vor allem in Städten gemeinsam vorantreiben können.
Wie stellen wir sicher, dass die Unternehmen das Geld auch in das
Zukunftsthema autonomes Fahren investieren?
Die Unternehmen sind sich der Relevanz des automatisierten Fahrens und der
brisanten Wettbewerbssituation genauso bewusst wie wir Wissenschaftler.
Nichts liegt näher, als die bereits getätigten Investitionen in dieses
Zukunftsthema fortzuführen, als Milliardenbeträge abschreiben zu müssen und
schrittweise zu Herstellern fabrikneuer Oldtimer zu werden.
Und was hätten die Kommunen von einem Zukunftsprogramm „Automatisiertes
Fahren“?
Der ÖPNV ist heute ein Zuschussgeschäft. Das muss nicht so sein, im
Gegenteil. Die fahrerlosen Shuttles können nicht nur Busse auf
unwirtschaftlichen Strecken ersetzen, sondern auch neue Geschäftsmodelle
eröffnen. Durch die Daten, die diese Fahrzeuge liefern, lässt sich eine Art
„digitaler Zwilling“ des Verkehrs in einer Stadt generieren. Dieses
digitale Abbild des Verkehrs könnten auch andere Verkehrsteilnehmer nutzen,
Fahrradfahrer, Fußgänger und Lieferverkehre. Im besten Falle wird es
sicherer und bequemer für alle.
1 Jun 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Heike Holdinghausen
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Mobilität
Abwrackprämie
Dieselskandal
Abwrackprämie
Automobilbranche
Verkehrswende
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