| # taz.de -- Die Wahrheit: Der Sozialneid der Villenviertel | |
| > Den Swimmingpool im besseren Viertel gibt es noch, aber das öffentliche | |
| > Schwimmbad wird geschlossen. Warum eigentlich? | |
| Bild: Schwimmflügel in klassischem Siebziger-Jahre-Orange, dann strampelnd üb… | |
| Ich bin der Letzte, der die mitunter ja doch sehr piefigen sechziger und | |
| siebziger Jahre verklären wollte. Aber dennoch stellen sich von heute aus | |
| gesehen einige Fragen: Wieso war es damals, in einer Zeit, in der die | |
| Gesellschaft als Ganzes weniger reich war, eigentlich möglich, öffentliche | |
| Schwimmbäder mit günstigen Eintrittspreisen zu betreiben – und heute geht | |
| das angeblich nicht mehr? Wieso wurden neue Büchereifilialen eröffnet und | |
| nicht, wie heute, seit Jahrzehnten bestehende geschlossen? Warum konnten | |
| damals massenweise bezahlbare Mietwohnungen gebaut werden, während heute | |
| fast nur noch Eigentumswohnungen entstehen? | |
| Wir wohnten zum Beispiel in einer Sozialwohnungssiedlung in | |
| Kassel-Helleböhn, die der gewerkschaftseigenen Neuen Heimat gehörte. Über | |
| 1.500 Wohnungen waren dort in fünf Jahren aus dem Boden gestampft worden. | |
| Die Wohnungen waren okay, drumherum war es grün, überall Kinder zum | |
| Spielen, und wäre nicht die Patzek-Bande gewesen – fünf Brüder, einer | |
| dümmer und brutaler als der andere, so eine Art nordhessischer Daltons mit | |
| Serienkillerpotenzial –, hätte es kaum etwas zu meckern gegeben. Zumindest | |
| aus Kindersicht. Und das ist ja schon mal was. | |
| Als ich dann auf das Gymnasium im benachbarten „bürgerlichen“ Stadtteil | |
| ging, stellte ich fest, dass es Leute gab, die in Häusern lebten, deren | |
| Wohnzimmer so groß waren wie unsere ganze Wohnung. Manche hatten sogar | |
| einen Swimmingpool im Keller. Überzeugen konnte mich dieses Konzept jedoch | |
| nicht. Nie spürte ich den Wunsch, so zu leben. | |
| Vielleicht bin ich ja tatsächlich ein Natural-Born-Kommunist, aber warum | |
| man Geld, wenn es denn schon mal da war, für solch einen Quatsch ausgab, | |
| leuchtete mir nicht ein. Zumal der hauseigene Pool alles vermissen ließ, | |
| was ein Schwimmbad interessant machte: Dreier, Liegewiese, Pommesbude und | |
| vor allem andere Kinder, mit denen man sich kloppen konnte. Dass man lieber | |
| eine günstige Mietwohnung mit netten Nachbarn und eine Freibaddauerkarte | |
| statt eines Betonbungalows mit einer peinlichen Planschwanne im Souterrain | |
| haben möchte, können sich Menschen, deren ganzes Streben darin besteht, | |
| einen gewissen Dicke-Hose-Status zu erreichen, eben nicht vorstellen. | |
| Deswegen behaupten sie einfach das Gegenteil: Sobald jemand etwas mehr | |
| Gerechtigkeit fordert, schreien sie auf und erklären, die Habenichtse | |
| gönnten ihnen ihren wohlverdienten Besitz nicht. Umgekehrt wird ein Schuh | |
| draus. Wenn man sich den Niedergang des öffentlichen Sektors und den | |
| gleichzeitigen Anstieg der Privatvermögen seit den Neunzigern anschaut, | |
| dann wird klar, warum die Bibliotheken und Stadtteilbäder geschlossen | |
| werden mussten. Weil die „Besserverdiener“ es nicht ertragen konnten, dass | |
| es ein paar Dinge gab, die nicht nur ihnen, sondern allen gehörten. | |
| Anschaulicher kann man den von ihnen selbst erfundenen Begriff „Sozialneid“ | |
| eigentlich nicht definieren. | |
| 27 May 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Hartmut El Kurdi | |
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