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# taz.de -- Die Wahrheit: Der Virentod aus der Glockengasse
> Die Jagd nach alternativen Desinfektionsmitteln ist nicht ungefährlich.
> Leicht reißen dabei olfaktorische Kindheitstraumata auf.
Vor circa einer Woche – man verliert im Bunker ja etwas das Zeitgefühl –
sah ich einen Bericht über einen Apotheker, der in Ermangelung von
Handdesinfektionsmitteln seinen Kunden „Klosterfrau Melissengeist“
verkauft, das mit seinen 79 Prozent Ethanolgehalt prima gegen Sars-CoV-2
und andere „behüllte“ Viren wirkt. Ebenso wie das 86-prozentige „4711“.
Beides übrigens Mittel, die gern von verzweifelten Alkoholikern geext
werden, wenn die Hausbar nichts mehr hergibt und man auf den
Badezimmer-Alibert ausweichen muss.
Die Information über die viruzide Wirkung von 4711 beruhigte mich sehr, da
ich mich stets mit einer angemessenen Menge dieser Substanz bevorrate. Zur
Verstörung meines Umfelds. Denn kaum ein Duftwasser hat einen ähnlich
schlechten Ruf wie das Kölnisch Wasser aus der Glockengasse.
Wenn man wahllos Menschen in Fußgängerzonen befragt, wie 4711 riecht,
bekommt man Antworten wie: „Drei Wochen altes Blumenvasenwasser“, „Omma
unterm Arm“ oder „toter Pekinese“. Oder noch schlimmer: „Kurz vor Tosca…
was ich wiederum als kurz vor Rufmord empfinde. „Tosca“ wurde vom
4711-Stammhaus für „die Frau ab 50“ entwickelt und früher mit dem Slogan
„mit Tosca kam die Zärtlichkeit“ beworben.
Diese in Millionen von Fällen nachweislich unwahre Aussage wurde später
durch den Spruch „Zeitlose Eleganz“ ersetzt, der ebenso gelogen ist: Nichts
an „Tosca“ ist elegant. Tatsächlich riecht es so, wie man sich als Kind
Ende der sechziger Jahre fühlte, wenn sich eine stämmige „Tante“ im
Sonntagskostüm und mit Beton-BH zu einem herunterbeugte, auf ihr
Taschentuch spuckte und einem damit das Gesicht einspeichelte. So weit zu
meinen Kindheitstraumata.
Statt „Echt Kölnisch Wasser 4711“, so die offizielle Markenbezeichnung,
kann man auch das wirklich echte Kölnisch Wasser zur Desinfektion benutzen.
Erfunden wurde das „Eau de Cologne“ nämlich von der Firma „Johann Maria
Farina gegenüber dem Jülichs-Platz, seit 1709“. Deren ebenfalls
virenkillender Originalduft ist jedoch teurer als das Nachmacher-Produkt
4711. Der amtierende Firmenchef Johann Maria Farina der Soundsovielte merkt
dazu an: „Wer sich damit nur die Hände desinfizieren will, gehört eher nach
Monaco als nach Köln.“
Ich ziehe sowieso 4711 vor. Das hat zwar die unsympathischere
Firmengeschichte, steht dafür aber nicht im Manufaktum-Katalog und ist im
Duft leichter, frischer, zitroniger und viel schneller verflogen als das
ewig nachmuffende Farina-Produkt.
Wem das alles zu metrosexuell ist, der kann sich die Hände
selbstverständlich auch mit „Strohrum 80“ desinfizieren. Oder mit „Absin…
85 Black Edition“. Nur vom isländischen Branntwein „Schwarzer Tod“ ist
abzuraten. Der hat nur 40 Prozent und tötet trotz des Namens keine einzige
Vire – schmeckt aber zugegebenermaßen besser als jedes Parfüm.
25 Mar 2020
## AUTOREN
Hartmut El Kurdi
## TAGS
Chemie
Köln
Schwerpunkt Coronavirus
Tim Bendzko
taz.gazete
Kolumne Die Wahrheit
Faschisten
Männer
Bambi
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