| # taz.de -- Gottesdienste in Corona-Zeiten: Wärter an der Himmelspforte | |
| > Wer den katholischen Gottesdienst in Berlin besuchen will, muss an einem | |
| > Türsteher vorbei. Unser Autor ist einer von ihnen. | |
| Bild: Luftige Angelegenheit: Gottesdienstbesucher in Berlin | |
| Die schwarze breite Schultern machende Lederjacke aus dem Schrank geholt, | |
| den Kragen hochgeschlagen, die langen Haare zu einem strengen Türsteherzopf | |
| zusammengebunden: So müsste es gehen bei der Premiere als Ordner bei einem | |
| der katholischen Gottesdienste, die seit einer Woche wieder möglich sind. | |
| Möglich aber nur unter genauen Vorgaben. Auch hier musste ein [1][konkretes | |
| Hygienekonzept] her: 50 Teilnehmer plus Priester, Namenslisten mit den | |
| Adressen aller, die dabei sind, um die Infektionsketten zurückverfolgen zu | |
| können, Desinfizieren der Hände am Eingang. Und eben Ordner an der Tür. | |
| Das Gemeindesekretariat hat an alle, die diesen Job übernehmen, eine | |
| To-do-Liste gemäß den Vorgaben des Erzbistums verschickt. Einer der ersten | |
| Punkte lässt schlucken: Menschen mit Krankheitssymptomen sollen nicht am | |
| Gottesdienst teilnehmen. Und wenn doch jemand hustend und schnupfend | |
| reinwill? Muss dann der Ordner den Weg blockieren und sein Mandat robuster | |
| ausüben? | |
| Und überhaupt: Was passiert, wenn jemand sich trotz schwarzer Lederjacke | |
| weigert, sich die Hände mit Desinfektionsmittel einsprühen zu lassen? Oder | |
| seine Anschrift für die Liste nicht rausrücken will? Bekommt dann diese | |
| Kirche im Berliner Südwesten nicht nur wegen ihres eichenhölzernen Eingangs | |
| eine „harte Tür“? Quasi als Gegenstück zu einem Club wie der Münchner Di… | |
| P1, von der es mal hieß, sie habe „die härteste Tür Deutschlands“? | |
| Es sind mulmige Gedanken auf dem Weg zu diesem Ordnerdienst, und die | |
| schwarze Lederjacke fühlt sich plötzlich wie eine SEK-Ausstattung an. Und | |
| wie würde es unabhängig davon mit der Stimmung in der Kirche sein? | |
| Der Chef des benachbarten katholischen Bistums Magdeburg hatte sich vor den | |
| ersten wieder möglichen Gottesdiensten dazu skeptisch geäußert: „Ich kann | |
| mir kaum vorstellen, wie Gottesdienste mit Zugangsbegrenzung, | |
| Anwesenheitsliste, Abstandswahrung, Mundschutz, Handschuhen, einem | |
| Desinfektionsritus vor der Gabenbereitung und der Austeilung der Kommunion | |
| mittels einer – noch zu erfindenden – liturgischen Zange gottgefällig und | |
| heilsdienlich sein sollen“, wurde er zitiert. Nachher zeigte er sich auch | |
| nicht viel zuversichtlicher. | |
| Wenige sind es, die an diesem Samstag am Türsteher vorbei den Weg in die | |
| Kirche suchen: rund 25, noch nicht mal halb so viele wie sonst. Da wäre es | |
| gar nicht nötig gewesen, online zu reservieren, was für die Hälfte der | |
| Plätze möglich ist. Dabei hätten es gerade an diesem Abend viel mehr als | |
| normal werden sollen, weil eine Jugendmesse geplant war: viele neue, teils | |
| rockige Lieder, eine Band statt Orgelmusik. Aber das fällt aus: Singen ist | |
| nicht erlaubt, die möglicherweise virenverseuchten Tröpfchen fliegen dann | |
| noch viel weiter als sonst schon. Allein der Organist in der Einsamkeit | |
| seiner Empore begleitet das eine oder andere Orgelstück mit seiner Stimme. | |
| So ist es eine eher nüchterne Angelegenheit. Was der Magdeburger Bischof | |
| die „liturgische Zange“ genannt hat, kommt auch zum Einsatz: Die Hostien – | |
| Oblaten aus Weizen – teilt der Priester beim liturgischen Höhepunkt des | |
| katholischen Gottesdienstes nicht mit der Hand, sondern mit einer Art | |
| Pinzette aus. Und anders als sonst geschieht das wortlos, aus gleichem | |
| Grund wie beim Singen. | |
| Aus Ordersicht läuft alles glatt. Die wenigen, die da sind, halten Abstand | |
| und sitzen auf den mit kleinen weißen Zettelchen ausgewiesenen zugelassenen | |
| Plätzen. Keiner drängelt an der Tür, die offen steht, damit nicht alle an | |
| den Griff fassen müssen. Jetzt noch zusammenräumen, den Ordnertisch von | |
| draußen wieder reinstellen, die Listen zur mehrwöchigen Aufbewahrung | |
| verstauen – und dann war es das mit der Premiere als Kirchentürsteher. | |
| Zu Hause kommt die schwarze Lederjacke wieder in den Schrank und der Rest | |
| aus einer Weinflasche vom Vortag auf den Tisch. Es war in der Kirche nicht | |
| wieder wie früher, bei Weitem nicht. Es fehlte vieles, aber es war auch | |
| viel besser als nichts. So wie das Weinglas auf dem Tisch halb voll ist – | |
| und nicht etwa leer. | |
| 17 May 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Alberti | |
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