# taz.de -- Urteil zu Netanjahus Zukunft: Traum weiter verzögert | |
> Das Urteil ist bitter für Israel: Netanjahu kann Ministerpräsident | |
> werden. Doch der Gerichtshof hat sich auch als demokratische Instanz | |
> gefestigt. | |
Bild: Tel Aviv am 2. Mai: Schon vor der Entscheidung des Gerichts protestierten… | |
Die Vorstellung war einfach zu schön, um sich ihr in den hoffnungsvolleren | |
Momenten nicht hinzugeben: Der oberste Gerichtshof Israels würde | |
entscheiden, dass [1][Benjamin Netanjahu nicht Ministerpräsident] werden | |
kann. Die Hälfte der Israelis dürfte in den letzten Tagen – bei aller | |
Skepsis – ab und zu in diesem Tagtraum geschwelgt haben. | |
Einige sahen das Ende der geplanten Annexion voraus, andere träumten davon, | |
wie Bibi und seine berühmt-berüchtigte Frau Sara ihre Koffer packen und die | |
Residenz in der Balfour-Straße verlassen. Insgesamt acht Petitionen waren | |
beim obersten Gericht eingegangen, eine von ihnen von der | |
Black-Flag-Bewegung. Sie stellten unter anderem infrage, dass ein | |
angeklagter Politiker Ministerpräsident werden kann. | |
Es wäre das kurze Ende einer viel zu langen Bibi-Ära gewesen. | |
Doch am Mittwochabend zerplatzte diese nicht sehr realistische | |
Traumvorstellung. Benjamin Netanjahu darf trotz Anklage Ministerpräsident | |
sein, entschied das Gericht. Und nach einigen kleinen Veränderungen an der | |
Regierungsvereinbarung zwischen Netanjahu und Gantz ist auch die laut | |
Gericht – „vorerst“ – legal nicht anfechtbar. | |
## Die vierte Wahl innerhalb von viereinhalb Jahren | |
Der Weg ist frei für [2][die große Misstrauenskoalition zwischen Netanjahu | |
und Gantz], in der, davon ist auszugehen, Netanjahu, der Zauberer, der | |
Säher von Misstrauen und Hate Speech, der schamlose Stratege, am längeren | |
Hebel sitzen wird. | |
Doch wer die Verhandlung des obersten Gerichtshofs vor dem Fernseher | |
verfolgt hat, muss Respekt haben vor der Entscheidung der Richter*innen. | |
Das Gericht saß in einer Zwickmühle, der Druck auf die Richter*innen war | |
groß. | |
Die Entscheidung, dass Netanjahu nicht Ministerpräsident werden kann, hätte | |
die vierten Wahlen innerhalb von eineinhalb Jahren zur Folge gehabt. | |
Netanjahu war im Vorfeld nicht müde geworden, damit zu drohen. Tatsächlich | |
wäre dies inmitten der Coronakrise ein Desaster gewesen, zumal die | |
Umfragewerte für Netanjahu glänzend aussahen. Und: Eine solche Entscheidung | |
hätte Öl ins Feuer derjenigen gegossen, die dem obersten Gerichtshof schon | |
lange die Legitimität absprechen wollen. Undemokratisch sei das oberste | |
Gericht, behaupten Netanjahu-Anhänger*innen, Ausdruck eines „tiefen | |
Staates“. | |
Die andere Seite warnte: Entscheiden die Richter für Netanjahu, sägen sie | |
an dem Ast, auf dem sie sitzen. Es würde das Ende der Demokratie bedeuten. | |
Doch das oberste Gericht hat sich in seiner Arbeit nicht von dem Druck | |
ablenken und nicht von strategischen Überlegungen leiten lassen, sondern | |
hat die Verhandlungen sauber und objektiv geführt, auf der Basis des | |
Gesetzes. Damit hat der Gerichtshof sein Standing [3][als demokratische | |
Instanz] unter Beweis gestellt. Das ist gut. Gerade in Zeiten, in denen das | |
Wort Fair Play zu einem Schimpfwort verkommt. | |
Was allerdings eine weitere Netanjahu-Ära für Auswirkungen auf die | |
Demokratie des Landes haben wird, ist kaum auszudenken. Es bleibt zu | |
hoffen, dass die Black-Flag-Bewegung und die Menschenrechtsaktivist*innen | |
des Landes ihren Protest weiter auf die Straßen tragen. | |
7 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Judith Poppe | |
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