| # taz.de -- Brandanschlag auf Roma: Rechts angehauchter Hitlergruß | |
| > Fünf Männer verübten einen Brandanschlag auf Wohnwagen von Roma. Die | |
| > Anklage sieht versuchten Mord, die Männer nur eine „Dummheit“. | |
| Bild: Einer der Angeklagten zu dem Brandanschlag auf die Roma-Familie am Montag… | |
| Ulm taz | Rein juristisch geht es nur um fünf junge Männer, die hier in Ulm | |
| wegen eines Brandanschlags auf eine Roma-Familie im vergangenen Jahr auf | |
| der Anklagebank sitzen. Doch hinter dem am Montag eröffneten Strafverfahren | |
| steht auch die Frage, ob die fünf nicht auch die Vollstrecker einer | |
| gärenden rechtsextremen Stimmung einer ganzen Kleinstadt waren. | |
| „Wenn man nach Bildern auf dem Handy geht“, sagte denn auch einer der | |
| Angeklagten, „könnte man bei uns jeden zweiten im Dorf was reindrücken“. | |
| Wohlgemerkt: Das Bild, dass das Gericht kurz zuvor an die Wand hat werfen | |
| lassen, zeigte die Angeklagten, wie sie eine schwarz-weiß-rote Fahne mit | |
| der Aufschrift „Deutschland – Meine Heimat“ hielten und den Hitlergruß | |
| zeigten. | |
| Ja, und die Roma, die für zwei Wochen auf einer Wiese in | |
| Erbach-Dellmensingen ihr Lager aufgeschlagen hatten, die seien im Dorf | |
| schon Gesprächsthema Nummer eins gewesen. Die Leute hätten sich sehr | |
| darüber aufgeregt. Aber: „Man sollte schon unterscheiden zwischen einem, | |
| der rechts angehaucht ist oder der Vollblutnazi ist“, forderte der | |
| Angeklagte. Heutzutage werde man ja schon beschimpft, „wenn man die | |
| Deutschlandfahne im Garten hängen hat“. | |
| ## „Ihr seid nicht willkommen in Deutschland!“ | |
| Die Faktenlage ist weitgehend unbestritten. Staatsanwalt Patrick Bader | |
| fasste sie zu Prozessbeginn in seiner Anklage zusammen: Demnach ließ sich | |
| im Mai 2019 eine Gruppe von rund 30 Roma mit ihren 18 Wohnwagen auf | |
| besagter Wiese in dem Erbacher Ortsteil südwestlich von Ulm nieder. | |
| Am 24. Mai 2019, so die Anklage, seien die fünf Männer – damals im Alter | |
| von 17 bis 20 Jahren – kurz nach 23 Uhr mit einem VW Polo zu der Wiese | |
| gefahren, auf dem Beifahrersitz: Leo B. [1][Am Ziel angekommen habe dieser | |
| aus dem fahrenden Auto heraus eine brennende Fackel in Richtung eines der | |
| Wohnwagen geworfen.] In dem Wohnwagen schlief zu dieser Zeit eine junge | |
| Frau mit ihrem neun Monate alten Sohn. Die Frau tritt in dem Prozess als | |
| Nebenklägerin auf. | |
| Während der Aktion hätten die Angeklagten aus dem Auto heraus noch gerufen: | |
| „Ihr seid nicht willkommen in Deutschland, ihr Zigeuner!“ Zwei der | |
| Angeklagten können sich sogar noch präziser erinnern: „Verpisst euch, ihr | |
| Wichser“ hätten sie geschrien und „Haut ab, ihr Zigeuner“. | |
| Glücklicherweise verfehlte B. den Wohnwagen mit seinem Wurf. Die Fackel | |
| schlug ein bis zwei Meter von dem Wagen entfernt auf. Und konnte von | |
| Bewohnern der übrigen Wohnwagen schnell entfernt werden, so dass niemand zu | |
| Schaden kam. | |
| ## Der Vorwurf: gemeinschaftlich versuchter Mord | |
| Nach Meinung der Staatsanwaltschaft hätte der Angriff jedoch verheerende | |
| Folgen haben können, wenn die Fackel den Wohnwagen getroffen hätte. Sie | |
| fordert deshalb, die jungen Männer wegen gemeinschaftlichen versuchten | |
| Mordes und versuchter schwerer Brandstiftung zu verurteilen. Da vier der | |
| Angeklagten zum Tatzeitpunkt bereits volljährig waren, könnte eine solche | |
| Verurteilung sehr lange Haftstrafen für sie bedeuten. Sie sitzen seit 10. | |
| Juli des letzten Jahres in Untersuchungshaft. Der zur Tatzeit 17-jährige | |
| fünfte Angeklagte wurde nach fünf Wochen wieder aus der Untersuchungshaft | |
| entlassen. | |
| Für die Ermittler steht außer Frage, dass die Tat heimtückisch geplant und | |
| keineswegs spontan war. So hätten die Angeklagten schon in den Tagen zuvor | |
| versucht, die Roma aus dem Ort zu vertreiben. Einmal hätten sie ein Schild | |
| mit der Aufschrift „Not welcome“ in der Nähe der Wohnwagen aufgestellt, | |
| darunter stand in Anspielung auf die Postleitzahl von Erbach: „155 = Bleibt | |
| deutsch“. Außerdem hätten sie einen toten Schwan neben die Wagen gelegt und | |
| schließlich eines Nachts einen Knallkörper zwischen die Wohnwagen geworfen. | |
| ## Die Männer wollen nur eine „Dummheit“ begangen haben | |
| In der Bewertung der Tat gehen die Meinungen dann doch erheblich | |
| auseinander. Die jungen Männer sprechen lediglich von „Mist“, den sie da | |
| gebaut hätten, wahlweise auch von „Scheiß“, „Dummheit“ und „Sauerei… | |
| hätten sich halt nicht viel Gedanken gemacht. Aber letztlich sei das doch | |
| alles nur ein Spaß gewesen. Und man sei sich einig gewesen, dass man ja auf | |
| keinen Fall einen Wohnwagen mit der Fackel treffen, sondern sie nur in die | |
| Wiese werfen wolle. Einen Schrecken habe man den Roma eben einjagen wollen. | |
| Als „Idee, eine Art Statement zu setzen, um die Roma-Familien zur Abreise | |
| zu bewegen“, bezeichnete es einer der Angeklagten. „Was hatten Sie denn | |
| gegen sie?“, fragte darauf der Vorsitzende Richter Michael Klausner. „Uns | |
| war das ein Dorn im Auge, dass gerade bei uns im Dorf eine Roma-Familie | |
| sich niederlässt. Ich war da auch ein bisschen von Vorurteilen geleitet.“ | |
| „Zigeuner“, das seien halt eine Gruppe, die stiehlt und bettelt. Während | |
| der Untersuchungshaft habe er zwar viel dazu gelernt und denke heute nicht | |
| mehr so. „Rechtsoffen“ sei er aber schon noch. Und was er darunter | |
| verstehe? „Für mich ist rechtsoffen schon, wenn man der AfD gegenüber | |
| sympathisch ist. Wenn man die Flüchtlingspolitik kritisch beäugt.“ | |
| ## Nicht die erste Tat | |
| Aufgefallen sind die Angeklagten freilich schon früher. Sowohl ihre | |
| Gesinnung als auch ihre Gewaltbereitschaft war bekannt. Das belegt auch ein | |
| Vorfall vom April 2018, an dem drei von ihnen beteiligt waren – und der in | |
| einem anderen Verfahren verhandelt wird. Die drei saßen mit anderen jungen | |
| Männern im Regionalexpress 4235 von Ulm nach Erbach. Während der Fahrt | |
| sollen sie rechtsradikale Parolen gegrölt haben, unter anderem: | |
| „Deutschland den Deutschen!“ Die Bitte eines Mitfahrenden türkischer | |
| Abstammung, sich doch zu mäßigen, ignorierten sie. Als der Mann in Erbach | |
| mit seinem Fahrrad ausstieg, sollen ihm einige aus der Gruppe gefolgt sein. | |
| Nach Aussage des Mannes hielt ihn einer von ihnen von hinten fest, ein | |
| anderer schlug ihn mit der Faust ins Gesicht. Außerdem hätten die Angreifer | |
| sein Fahrrad und seine Brille auf die Gleise geworfen. | |
| Der Mann, der zuschlug, soll Dominik O. gewesen sein, aber auch Robin D. | |
| und Leo B. sollen an der Tat beteiligt gewesen sein. Nach Aussage zweier | |
| der Angeklagten, sei es jedoch der Mitreisende gewesen, der Streit gesucht | |
| habe. Er habe sie grundlos als „Scheiß-Deutsche“ beschimpft und habe dann | |
| Dominik O. attackiert. Mehmet Daimagüler, der die Nebenklage vertritt, | |
| beantragte nun, das mutmaßliche Opfer der Bahnhofattacke auch in diesem | |
| Verfahren als Zeugen zu hören. | |
| Mit der Arbeit der Ermittler ist Daimagüler in diesem Verfahren recht | |
| zufrieden. „Ich fand es sehr gut, dass die Polizei angesichts der Hinweise | |
| von Anfang an auch stark in Richtung einer hasskriminell motivierten Tat | |
| ermittelt hat“, sagt der Anwalt. [2][In ähnlichen Fällen werde das ja oft | |
| abgetan – nach dem Motto: Da haben halt ein paar besoffene Jugendliche | |
| Stunk gemacht]. In anderen Verfahren müsse er beim Studium der | |
| Ermittlungsakten regelmäßig nur den Kopf schütteln; diesen Moment habe es | |
| hier bisher aber noch nicht gegeben. | |
| Auch habe die Polizei allem Anschein nach sehr gründlich gearbeitet und | |
| auch beschlagnahmte Handys und Festplatten sorgfältig ausgewertet. Auf den | |
| Speichermedien fand sich neben dem Bild des Hitlergrußes weiteres Material, | |
| das nach Daimagülers Ansicht auf eine rassistische Gesinnung der | |
| Angeklagten deutet. Das Verfahren ist bis Ende September angesetzt. | |
| 11 May 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dominik Baur | |
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