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# taz.de -- Pflege nach Corona: Der Exodus wird kommen
> Wird es mit der Ökonomisierung sozialer Arbeit nach der Pandemie
> aufhören? Unser Autor – der auch Pfleger ist – hat wenig Hoffnung.
Bild: Eine Altenpflegerin bei einem ambulanten Pflegedienst in Hamburg
Müde bin ich, so müde. Und noch müder werde ich, wenn ich an die Zukunft
denke. Was ich [1][neben dem Schreiben] außerdem bin: Pfleger in einer
Wohneinrichtung und angehender Sozialarbeiter.
Ich erwarte täglich einen Krankheitsausbruch in meiner Einrichtung. Ich
erwarte nicht, dass es weniger grauenhaft wird als in anderen
Einrichtungen. Ich erwarte, Tote und Sterbende zu erleben. Ich hoffe,
selbst ausreichend für Schutz gesorgt zu haben und – Glück zu haben.
Ich erwarte eine baldige Rezession und damit auch eine Beschneidung
finanzieller Mittel im Sozialen. Damit einhergehend erwarte ich eine
Verschärfung der Professionalisierungsdebatte.
## Mehr Sozialdarwinismus
Soziale Arbeit soll effektiver und messbarer werden, das heißt mehr
Bürokratie, mehr Hierarchie. Das wird zulasten der Menschen gehen, die
Hilfe brauchen. Und diese Menschengruppe wird größer werden. Von den
Sozialarbeiter:innen wird nur wenig Widerspruch kommen: An den Hochschulen
wird das Professionalisierungsdogma schon seit Jahren gelehrt. Einige
wenige im Sozialen werden sich politisieren und dann mangels Strukturen in
der großen Normalisierungsmühle, die das Sozialwesen ist, aufgeraucht
werden.
Ich erwarte schon für die nahe Zukunft einen Exodus der Mitarbeiter:innen,
die in den Krisenzeiten am engagiertesten waren.
Insgesamt erwarte ich eine noch stärkere sozialdarwinistische Ausrichtung
des Diskurses. Es wird sehr viel mehr über die Rettung des
Wirtschaftssystems gesprochen als über die Rettung von Menschenleben. Die
Infektionsrate auf unter 1 zu senken geschieht mit dem Ziel, das
Gesundheitssystem nicht zu überlasten, über eine Ausrottung des Virus wie
in Neuseeland wird nicht einmal nachgedacht. Eine Gesellschaft zu
entwickeln, die die Menschen vor Ansteckung schützt, wird, wenn überhaupt,
nur am Rande diskutiert. Dass auch bei einer Infektionsrate von 1 viele
Menschen an dem Virus sterben werden, wird einfach hingenommen: wer stirbt,
war ohnehin nicht zu retten, wird es heißen.
Die Krise der Solidarität
Ich erwarte, dass der bereits tief verankerte Fatalismus im Sozialen weiter
um sich greift. Und ich erwarte, dass sich noch mehr Pflegende diesem
Fatalismus entziehen, indem sie sich in eine unpolitische,
obskurantistische Traumwelt von Verschwörungstheorien, Esoterik und
rechtslastiger Propaganda flüchten.
Ich glaube nicht, dass es eine [2][Covid-19-Krise] gibt. Das, was wir jetzt
erleben, zeigt die viel tiefer liegende Krise: nämlich dass Solidarität in
dieser Gesellschaft kein Pfeiler ist. Sondern ein Luxus. Ich denke, wir
werden überhaupt nicht mehr rauskommen aus dieser Krise, und ich erwarte,
dass mir viele Menschen sagen werden: Kein Wunder, dass du so müde bist,
bei so viel Pessimismus. Dabei wäre es sehr einfach: Je mehr Menschen sich
Sorgen machen würden, desto weniger müsste ich mich sorgen.
Draußen scheint die Sonne, die Menschen wollen Lockerungen, und ich bin
müde, sehr müde.
1 May 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Frédéric Valin
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