# taz.de -- Kapitalismus und Gleichheit im US-Sport: Großes Ideal mit großen … | |
> Im US-amerikanischen Profisport sollen komplexe Regelwerke für | |
> Chancengleichheit sorgen. Doch bringt das tatsächlich mehr Gerechtigkeit? | |
Bild: Sorgt die Krise für mehr Chancengleichheit? Auf dem Platz herrschen jede… | |
Man stelle sich vor: Einmal im Jahr treffen sich die Dirigenten aller | |
deutscher Symphonieorchester und dürfen sich reihum die | |
Konservatoriumsabsolventen aussuchen. Je schlechter das Orchester, desto | |
früher darf es ran. So landet die aufstrebende Starviolinistin bei der | |
Erzgebirgischen Philharmonie Aue, deren letzte Spielzeit nicht so gut lief, | |
während die Berliner Philharmoniker in ihren Weltklasseklangkörper den eher | |
blassen, bis dahin nur Spezialisten bekannten Kontrafagottisten integrieren | |
müssen. Wenn er dann doch nicht so gut in den Gesamtsound passt, wird er | |
womöglich gegen einen älteren Konzertmeister eingetauscht, der sich in | |
Bielefeld unbeliebt gemacht hat. | |
Klingt absurd? Verstößt nicht nur gegen einen Sack von Gesetzen, sondern | |
auch gegen unveräußerliche Grundrechte? Stimmt. Ist aber im | |
US-amerikanischen Sport gang und gäbe. | |
Die Mehrzahl der amerikanischen Sport-Ligen ist organisiert wie eine | |
Fastfoodkette. Die Liga selbst organisiert die Marke, die Klubs sind | |
Franchisenehmer. Meist bestimmen die Klubbesitzer die Strategie der Liga. | |
Damit diese Unternehmen mit gesicherten Umsätzen planen können, gibt es | |
keinen Auf- oder Abstieg. [1][Klubs können von einer Stadt in eine andere | |
umziehen], um ihre Umsatzchancen zu verbessern. | |
Neue Franchisenehmer müssen eine Aufnahmegebühr zahlen, die den anderen | |
zugutekommt. Eine Liga wie die NFL besitzt faktisch ein Monopol auf den | |
nordamerikanischen Profi-Football-Markt, aber obwohl sie Unternehmen mit | |
Profitabsichten sind, haben es die meisten Profiligen erreicht, bei der | |
Politik Ausnahmen von der Kartellgesetzgebung durchzusetzen. | |
## Drei Instrumente für die Chancengleichheit | |
Damit alle Franchises wirtschaftlich erfolgreich sein können, sollten alle | |
Klubs die Chance haben, einen Titel zu gewinnen. Um diese sportliche | |
Chancengleichheit herzustellen und zu verhindern, dass sich die potentesten | |
Klubs in den großen Märkten wie New York oder Los Angeles die besten | |
Spieler zusammenkaufen, haben alle Ligen im Laufe der Jahrzehnte drei | |
Instrumente in verschiedenen Formen eingeführt. | |
Erstens: das sogenannte Revenue Sharing. Gewisse Einnahmen werden unter | |
allen Klubs aufgeteilt. Mal sind es die Fernsehgelder, aber vielleicht nur | |
die überregionalen. Gelder aus dem Verkauf von Eintrittskarten werden | |
womöglich verteilt, aber nicht die Parkgebühren oder die Einkünfte aus den | |
VIP-Suiten. Merchandising, lokale Sponsoren und internationale | |
Werbeverträge? Es ist kompliziert. | |
Noch komplizierter ist das zweite Instrument: der [2][Salary Cap]. Die | |
Gehaltsobergrenze legt fest, wie viel Geld ein Team an Spielergehältern | |
zahlen darf. Es gibt harte Caps wie in der NFL, und gar kein Cap wie im | |
Baseball, bei dem stattdessen nur die allerreichsten Klubs, deren Einnahmen | |
eine gewisse Grenze überschreiten, eine sogenannte Luxussteuer zahlen | |
müssen. Allen Systemen ist gemein, dass sie zu hoch komplizierten | |
Regelwerken mit Ausnahmen, Sondervorschriften und Zusatzvereinbarungen | |
geworden sind. | |
Und drittens schließlich der [3][alljährliche Draft], bei dem die besten | |
Nachwuchsspieler so verteilt werden sollen, dass die schlechten Teams | |
besser und die guten eher schlechter werden. Auch hier gibt es viele Wege: | |
In der NFL bekommt das schlechteste Team den ersten Zugriff – in der NBA | |
wird unter den miesen Klubs gelost, um absichtliches Verlieren nicht zu | |
stark zu belohnen. Aber auch der Draft ist kein Königsweg zum Erfolg: Die | |
Philadelphia 76ers spielten jahrelang absichtlich schlecht, um sich die | |
Rechte an den drei Riesentalenten Joel Embiid, Ben Simmons und Markelle | |
Fultz zu sichern. Der Erfolg der „The Process“ genannten Strategie ist | |
immer noch nicht durchschlagend zu nennen. | |
Ob diese Methoden tatsächlich zu mehr Chancengleichheit führen, wurde schon | |
öfter untersucht. Die meisten Studien stellten keine messbaren Effekte | |
fest. Manche kamen gar zu dem Schluss, dass sie eher zu mehr Ungleichheit | |
führen. Denn Gewinnverteilung oder Luxussteuer können Besitzer von Klubs in | |
kleinen Märkten dazu veranlassen, lieber auf eine schlagkräftige Mannschaft | |
zu verzichten und geringere Ticketumsätze in Kauf zu nehmen, um dank | |
geteilter Fernsehgelder und Ausgleichszahlungen erfolgreicherer Klubs doch | |
noch satte Gewinne einzustreichen. | |
Allerdings ist schon die Grundannahme des Modells, sportliche | |
Ausgeglichenheit führe zu größerem Interesse an einer Liga, strittig. Als | |
die Boston Celtics mit dem legendären Bill Russell in den 60er Jahren zehn | |
Titel in Folge gewannen, stand die NBA kurz vor der Pleite. Als Michael | |
Jordans Chicago Bulls in den 90er Jahren sechsmal Champions wurden, ging | |
die NBA global durch die Decke. Es ist eben kompliziert. | |
3 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
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