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# taz.de -- Premieren dank Corona: Man soll niemals „nie“ sagen
> Corona nötigt uns Verhaltensänderungen ab, im Guten wie im Schlechten.
> Wir haben unsere KollegInnen gefragt, was in dieser Zeit ihr erstes Mal
> war.
Bild: Zum Geburtstag in Corona-Zeiten ausnahmsweise ein Geldgeschenk
## Jede Menge Farbe
Mit einem Menschenauflauf hatte ich nicht gerechnet. In [1][Irland]
herrscht – wie in den meisten europäischen Ländern – Ausgangsverbot. Aber
die Nachbarn, vorbildlich mit Sicherheitsabstand, wollten sich das
ungewöhnliche Schauspiel nicht entgehen lassen: Ich stand auf einer Leiter
und strich zum ersten Mal in meinem Leben Fenster. Ab und zu brandete
Zwischenapplaus auf, wenn ich mit einem Fenster fertig war.
Ein Zuschauer vermutete jedoch, dass mein plötzlicher Heimwerker-Eifer mit
einer Sars-CoV-2-Infektion zusammenhängen könnte. Er schlug vor, zu
googeln, ob Hyperaktivität zum Krankheitsbild gehöre. Ein anderer meinte,
dass ich später bei ihm die Fenster streichen könnte, da in Anbetracht des
großen Eimers wohl jede Menge Farbe übrig sein würde.
Ich hatte mich tatsächlich im Baumarkt verrechnet. Wahrscheinlich war ich
von dem reichhaltigen Angebot in dem Laden beeindruckt. Ich hatte die
gesamte Fensterfläche mit der Anzahl der Fenster multipliziert, weil ich
nicht daran gedacht hatte, dass das Glas nicht gestrichen wird. In meinem
Fall galt das jedoch nur bedingt. Ich muss noch mal in den Baumarkt, um
eine Flasche Terpentin zu besorgen. Einen Eimer Wandfarbe habe ich bereits
gekauft, weil die Ausgangssperre wohl verlängert wird. Ich werde vorerst
jedoch von weiteren Freiluft-Heimwerkeraktivitäten absehen, weil mich die
Polizei sonst wegen einer nicht genehmigten öffentlichen Veranstaltung mit
einem Bußgeld belegen könnte.
*Ralf Sotscheck, 66 Jahre, Korrespondent für Irland und Großbritannien*
## „Nosferatu“ für alle
Im Innenhof mit der Nachbar-WG über Beamer einen Stummfilm, „Nosferatu“,
an die Hauswand projiziert und mit allen auf den Balkonen gemeinsam
angeschaut.
Ein Hochbeet angelegt für meine Eltern, Risikogruppe und in freiwilliger
Quarantäne. Scheint ja ein Trend zu sein.
Auf einem Parkplatz angestanden, um im Baumarkt einzukaufen.
Nicht wirklich Ostern gefeiert.
Mich über eine [2][Videokonferenz mit Freunden betrunken].
Meine Nachbarn näher kennengelernt und für sie eingekauft.
Das Gefühl einer echten gesellschaftlichen Krise verspürt, als ich vor
leeren Nudelregalen stand.
*Jean-Philipp Baeck, 37 Jahre, SEO-Redakteur*
## Schnipp, schnapp
Sechste Woche Homeoffice und fünfter Monat nach dem letzten Friseurbesuch.
Der Blick in den Spiegel offenbart Grausliches. Das, was mal ein Pony war,
hängt am Kinn, ausgeblichene Strähnchen sträuben sich gegen Kamm und
Bürste. Alle Warnungen vor Selbstbehandlung sind bei dem Anblick egal:
Gehirn aus, Laptop an.
Auf Youtube gibt es massenweise Haarschneidetutorials, nach dem
Zufallsprinzip wird eines genommen, das ungefähr zur ehemaligen Frisur
passt. Der Mann sieht professionell aus und hat die Haare schön. Los
geht’s. Er erklärt die ersten Schritte, ich mache das nach. Schon der erste
Versuch geht in die Hose. Versuche mal jemand, über Kopf alle Haare genau
in der Mitte zusammenzuhalten, gerade herunterzuziehen und gleichmäßig
abzuschneiden. Klingt einfach, ist es aber nicht. Das desaströse Ergebnis
lässt sich gut mit einem zweiten Spiegel von hinten betrachten.
Zweiter Versuch. Schnipp, schnapp – wieder nicht so, wie es der Meister
vorführt, aber diesmal einigermaßen gerade. Egal, muss mich ja nicht von
hinten sehen. Weiter zum sensibelsten Teil, dem Pony. Die guten Vorsätze –
bloß nicht zu kurz! – sind in dem Moment vergessen, wenn die Schere
ansetzt. Der Trick dabei: Um einen sanften Übergang zu den Seiten
hinzubekommen, sollen die akkurat abgeteilten Strähnen einmal um 180 Grad
gedreht werden.
Irgendwas ist falsch gelaufen, sehe aus wie eine Romulanerin („Star Trek“,
wer’s kennt): Mitte lang, Seiten kurz. Also alles noch mal, wieder drehen,
die Strähnchen zwischen zwei Finger quetschen und absäbeln. Jetzt natürlich
noch kürzer, sonst passt das nicht. Das Ergebnis treibt mich zur
Rotweinflasche. Vorteil: Ich verlasse das Haus nur noch im Ausnahmefall und
komplett vermummt mit Sonnenbrille, Gesichtsmaske und Basecap.
*Petra Dorn, 61 Jahre, Assistenz Chefredaktion*
## Nase im Gras
Weil sonst nichts hilft, krabbeln wir schließlich auf allen vieren über die
Wiese. Wir tasten knubbelige Graswurzeln ab, befingern trockene Halme. In
der Hoffnung, dass sich nicht kürzlich ein Hund hier erleichtert hat,
befühlen wir jede Stelle des sandigen Bodens. Irgendwo muss es doch sein,
das Ding. Erst als Spaziergänger vorbeikommen, denke ich, dass wir
vielleicht etwas seltsam aussehen, so mit der Nase im Gras.
Weil die Berliner Parks coronamäßig voll waren, sind wir raus nach
Brandenburg und haben es mit Geocaching probiert. Das ist eine Art
Schatzsuche per GPS-Daten, die man auf der gleichnamigen Seite im Internet
findet. Es gibt Tipps, jeder kann suchen. Wer will, kann auch selbst Sachen
verstecken und auf der Seite eintragen. Eine Karte zeigt: Unzählige Dinge
sind in der Landschaft versteckt. Man muss sie nur finden.
Das kann ganz schön knifflig sein. Auf der Wiese brauchen wir alle Tipps.
Man habe einen freien Blick auf den See, heißt es. Das hilft nicht
wirklich. Wir gleichen unseren Standort noch mal mit den GPS-Daten ab.
Schließlich stoßen wir auf weißes Plastik, das in die Erde eingelassen ist.
Wir ziehen ein Röhrchen heraus, schrauben es auf. Und tragen uns – wie
viele vor uns – freudig in ein kleines Büchlein ein zum Beweis: Wir haben
es gefunden.
Die Kinder sind jetzt angefixt. Sie wollen sofort weiter zum nächsten
Cache. Wir finden an diesem Tag Verstecke in aufwendig ausgehöhlten
Aststücken, in Baumstümpfen, in einer alten Dose, in einem präparierten
Pilz. Alles in einem Umkreis von wenigen Kilometern. An Orten, wo wir schon
spazieren waren, aber bislang achtlos vorbeigelaufen sind.
Für diesen Spaß kann man auch mal auf allen vieren über eine Wiese
krauchen. Kleiner Nachteil: Man glotzt mitten in der Natur ziemlich viel
auf sein Smartphone. Nach zwei Tagen Geocaching ist die Familie happy, aber
mein monatliches Datenvolumen am Ende.
*Antje Lang-Lendorff, 42, Redakteurin der taz am Wochenende*
## Zoom entdeckt
Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben mit einer großen Tupper-Schüssel zu
einem Restaurant in der Nachbarschaft gegangen, um Essen abzuholen.
Eine Webcam benutzt.
Zoom benutzt.
Ich bin kurz davor, ein Smartphone zu kaufen, um die [3][Tracing-App] zu
laden.
Ich habe jetzt erstmals drei Gesichtsmasken, alle hässlich.
Ich habe zum ersten Mal in einem Hotel auf dem Zimmer gefrühstückt, weil
Buffets nicht mehr erlaubt sind.
Ich war zum ersten Mal in Britz und in Marienfelde mit dem Rad, weil man
Berlin kaum noch verlassen darf.
Ich habe erstmals Ruhe in meinem Hinterhof, weil [4][Tegel faktisch
geschlossen ist.]
Ich habe zum ersten Mal eine Pastinakensuppe gekocht, weil die
Mittagstische alle geschlossen sind.
*Ulrike Herrmann, 56 Jahre, Wirtschaftsredakteurin*
## Revolution
Die Pandemie hat etwas extrem Sonderbares bewirkt: Ich koche. Für mich, der
sich vor Corona wirklich jeden Tag der Woche außer Haus verköstigte und der
jeglicher Begabung für Kochkünste unverdächtig war, ist das Kochen ein
revolutionärer Akt.
Meine winzige Küche, sonst ein Leergutlager, beherbergt neuerdings eine
Induktionskochplatte, Töpfe, Pfannen und den ganzen anderen Kram. Mein
Kühlschrank, bisher das Zuhause von Kaltgetränken, kühlt nun echte
Lebensmittel. Pellkartfoffeln sind längst Routine, meine Nudeln haben
inzwischen den richtigen Biss, und der besondere Stolz meiner Küche war
kürzlich ein nahezu perfekt gebratenes Steak. Nur die Saucen verweigern
sich bisher meiner kulinarischen Revolution und zeigen sich pampig. Aber
wie meinte jüngst die Kanzlerin: Bei Corona stehen wir erst am Anfang. Die
Saucen und ich, wir werden noch Freunde.
*Manu Schubert, 36 Jahre, taz-Verlagsredakteur*
1 May 2020
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