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# taz.de -- Wilde Corona-Theorien: Diskutieren hilft
> Die einen setzen ihre Hoffnung ins Rauchen und gurgeln mit Bleiche.
> Andere versuchen, den Datenschutz und die Grundrente auszuhebeln.
Bild: Rauchen gegen Corona: Ob das eine gute Idee ist?
Kann es sein, dass Corona blöd macht? Auch diese Woche hat wieder die
wundersamsten Theorien und Heilungsvorschläge gesehen: Am besten war eine
französische Studie, die ein (natürlich rauchender Kollege) irgendwo
hervorzog, die besagt, dass Nikotin möglicherweise vor einer
Corona-Infektion schützen könnte. Der Studienleiter ist Arzt am Pariser
Krankenhaus La Pitié-Salpêtrière – zwar nicht für Lungenheilkunde und erst
recht nicht für Virologie, sondern für innere Medizin. Doch er hat wohl
festgestellt, dass unter den Covidpatienten unterdurchschnittlich viele
RaucherInnen seien. Man erforsche jetzt eine Behandlung mit
[1][Nikotinpflastern], heißt es aus Paris. Eine Atemwegserkrankung mit
Nikotin zu heilen, coole Idee. Schon meldeten sich die Kiffer und die
Craftbeer-TrinkerInnen zu Wort, ob für sie nicht auch eine Studie …?
Als ich das am Telefon meinem Cousin zum Besten geben will, der Arzt ist
und Ex-Raucher, kommt er mir mit einer Anekdote zuvor, die so skurril ist,
dass ich die Raucherstudie sofort vergesse: Eine seiner Sprechstundenhilfen
sei überzeugt davon, dass das Coronavirus aus Bill Gates’ Labor stamme – er
habe Mikrochips in die Viren gebastelt und durch die weltweite Weitergabe
habe er uns bald alle in der Hand.
Ich staune: Wie soll ein Mikrochip in ein Virus passen – ist Silicon Valley
technisch womöglich noch viel weiter voraus, als wir es ahnen? Und warum
sollte Bill Gates das überhaupt tun? Auch darauf habe die Mitarbeiterin,
wie jede gute Anhängerin einer Verschwörungstheorie eine Antwort, ließ mich
mein Cousin wissen: Bill Gates wolle, jetzt wo der Absatz seiner
Microsoft-Produkte global stagniere, wenigstens sichergehen, dass er am
Impfstoff verdiene, den der Milliardär und Philanthrop bereits für „Ende
nächsten Jahres“ in Aussicht gestellt habe.
## Spahn bevorzugt eine zentrale Speicherung
Man könnte lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Auch über Trump, der
jetzt den AmerikanerInnen empfiehlt, [2][Desinfektionsmittel zu spritzen]
und sich helles Licht „in den Körper zu führen“ – derweil ist sein
ExpertInnenstab panisch darum bemüht, Trumps WählerInnen davon abzuhalten,
sich tatsächlich Sagrotan in die Venen zu jagen, mit Bleichmittel zu
gurgeln und sich unter hochdosiertem UV-Licht zu verbrutzeln. Andererseits
ist es auch verständlich, dass in einer Situation, über die keiner wirklich
etwas weiß, unter der aber alle leiden, sich die wildesten Hoffnungen
verbreiten.
Aber eigentlich ist das gar nicht so interessant. Viel interessanter ist
doch, worüber in der Zeit der verordneten Rationalität und des starken
Staats diskutiert wird – und worüber nicht. Wie kann es sein, dass sich
Gesundheitsminister Jens Spahn ganz nach dem Motto „Bedenken second“ jetzt
offenbar für eine [3][Corona-App] entschieden hat, die auf der
Pepp-PT-Technik basiert. Also genau das Modell, nach dem Nutzerdaten auf
einem zentralen Server gespeichert werden, obwohl 300 Experten in einem
offenen Brief vor Überwachung und Missbrauch warnten und obwohl es
konkurrierende Modelle gibt, bei denen die Daten dezentral gespeichert
werden?
Aus Spahns Ministerium hieß es dazu brüsk: Man bevorzuge eine zentrale
Speicherung. Diese sei wichtig, um die Entwicklung der Epidemie besser
verfolgen zu können. So wird jetzt kommuniziert: Wenn es um die
Seuchenbekämpfung geht, dann gibt es hier keine langwierigen Diskussionen,
dann wird gemacht. Whatever it takes.
Da fragt man sich dann schon: Ist es Spahn egal, dass es in unserem Staat
bekanntermaßen Gruppen gibt, die sich auf diese Daten schon freuen – siehe
NSU oder Todeslisten von Rechtsterroristen? Oder denkt man im
Gesundheitsministerium tatsächlich, dass man die Verwendung der Daten
wirksam kontrollieren könne?
## Grundrente nicht mehr auf der Tagesordnung
Leider gab es dazu keine Diskussion im Bundestag. Dort stritt man am
Donnerstag eher darüber, ob es „forsch“ sei (Merkel), wieder Läden und
Spielplätze zu öffnen sowie kleinere Demonstrationen zuzulassen. Oder ob
man nicht vielmehr die Gastronomie diskriminiere (Lindner). Man stritt auch
nicht über die [4][Grundrente], die die SPD seit Monaten vorantreibt. Die
Union hatte sie einfach von der Tagesordnung genommen – als ob es jetzt
Wichtigeres gäbe. 1,3 Millionen Menschen könnten in Deutschland von dieser
Rente profitieren, und der Bundestag verhakelt sich in Ladenquadratmetern.
Offenbar schlagen Datenschützer gerade Alarm, weil einige Bundesländer
Coronadaten komplett an die Polizei weitergegeben haben. Es könnte sich
lohnen, das Fass „Corona-App“ noch mal aufzumachen.
Ich werde mich jetzt aufmachen in die Sonne, etwas UV-Licht tanken. Das
hilft nicht nur gegen RNA-Viren, sondern auch gegen Schlappheit und
Niedergeschlagenheit. Und mein Handy? Bleibt auf dem Schreibtisch. Ich übe
schon mal für die Zeit der offiziell freiwilligen, durch Herdendruck aber
bald obligatorischen „Datenspende“.
25 Apr 2020
## LINKS
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[4] /Neuer-Streit-um-die-Grundrente/!5677235
## AUTOREN
Nina Apin
## TAGS
Kolumne Der rote Faden
Schwerpunkt Coronavirus
Datenschutz
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