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# taz.de -- Kritik an Corona-Studie zurückgewiesen: „Sichtlich unüberlegte …
> Nach Zweifeln an ihrer Untersuchung gehen die Forscher des Uniklinikums
> Bonn in die Offensive. Die Statements der Kollegen haben sie empfindlich
> getroffen.
Bild: Ist ihrer Arbeit nicht zu trauen? MitarbeiterInnen des Forschungsteams vo…
BERLIN taz | Der Direktor des Instituts für Virologie am
Universitätsklinikum Bonn, Hendrik Streeck, und sein Forscherteam haben
Kritik an ihrer Studie zur Verbreitung des Coronavirus in der Gemeinde
Gangelt im Kreis Heinsberg zurückgewiesen. Streeck sagte der taz, bereits
bei der Vorstellung der Daten am Gründonnerstag in der Düsseldorfer
Staatskanzlei habe er darauf hingewiesen, „dass es sich um vorläufige
Resultate handelt“. Folglich könne es noch keinen abschließenden
Studienbericht geben.
Die von ihm und seinem Forscherteam des Universitätsklinikums Bonn
präsentierten Daten, so Streeck, seien nach den Regeln des guten
wissenschaftlichen Arbeitens erhoben worden. Studiendesign und -methodik
erfüllten zudem die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vorgegebenen
Standards zur Bestimmung der Immunitätsrate der allgemeinen Bevölkerung in
Corona-Ausbruchsgebieten, erklärte der ebenfalls an der Untersuchung
beteiligte Direktor des Instituts für Klinische Chemie und Pharmakologie an
der Bonner Uniklinik, Gunther Hartmann, gegenüber der taz.
Streeck und sein Team hatten am Donnerstag bekanntgegeben, die von ihnen in
den vergangenen Wochen in mehreren hundert Gangelter Haushalten erhobenen
Daten zeigten, dass die Immunität der Bevölkerung in der
nordrhein-westfälischen Gemeinde inzwischen bei 15 Prozent liege. Gangelt
war bereits sehr früh von dem Virus erreicht worden und [1][gilt aufgrund
der hohen Infektionszahlen als Corona-Hotspot]. Streecks Studie zufolge
starben in Gangelt lediglich etwa 0,37 Prozent der Infizierten an dem
Virus; die Johns-Hopkins-Universität geht dagegen für Deutschland von einer
fünffach höheren Quote aus (1,98 Prozent).
Die Präsentation der Zwischenergebnisse war mit Spannung erwartet worden
und ist insofern von politischer Brisanz, als sie erstmals Aussagen zur
Immunitätsrate der allgemeinen Bevölkerung liefert, wenngleich nur für eine
deutsche Gemeinde und ohne den Anspruch der Verallgemeinerbarkeit für
andere Regionen. Dennoch dürften die Daten die nach Ostern anstehende
Entscheidung der Bundesregierung zu einer etwaigen Lockerung der
Kontaktsperren, Geschäfts- und Schulschließungen beeinflussen.
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), dessen
Landesregierung die Studie mit 65.000 Euro unterstützt und in dessen
Beisein die Präsentation stattfand, lobte die Zwischenergebnisse denn auch
bereits am Donnerstag als einen „Baustein“, der der Politik helfe, „zu
einer verantwortungsvollen Entscheidung zu kommen“.
## Offene Kritik von Drosten
Kaum hatten Streeck und Hartmann ihre Zwischenergebnisse am Donnerstag
öffentlichkeitswirksam vorgestellt, da wurden diese – ebenso
öffentlichkeitswirksam – [2][von dem bekanntesten Corona-Wissenschaftler
Deutschlands in Zweifel gezogen]. Aus der Präsentation während Streecks
vormittäglicher Pressekonferenz jedenfalls könne er „nichts ableiten“,
sagte der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité am
Donnerstagmittag während einer Web-Pressekonferenz des Science Media
Center.
Im Grunde sei überhaupt nicht klar, was genau Streeck und sein Team wie
gemacht hätten; schriftlich und damit für andere Wissenschaftler
nachvollziehbar liege die Studie nämlich nicht vor, fuhr Drosten fort.
„Selbst wenn das noch nicht begutachtet ist, müsste ja zumindest mal in
Manuskriptform eine Zusammenfassung präsentiert werden, bevor man damit an
die breite Öffentlichkeit geht und auch an die Politik. Sonst ist das
einfach eine Situation wie jetzt, in der man einfach nichts weiß.“
Im ZDF-„heute journal“ am Donnerstagabend wiederholte Drosten sein Bedauern
über die mangelnde Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse. Zugleich stellte er
ihre Aussagekraft und Belastbarkeit infrage. Bislang verfügbare
Antikörpertests zur Bestimmung der Immunität gegen das Coronavirus, die
auch das Bonner Forscherteam in Gangelt eingesetzt hatte, könnten,
vereinfacht gesagt, gar nicht verlässlich anzeigen, ob eine Person
tatsächlich mit dem neuen Coronavirus infiziert gewesen sei – oder bloß mit
einem harmlosen, saisonalen Corona-Erkältungsvirus. Den Tests fehle die
entsprechende Trennschärfe. Es bestehe die Gefahr falsch positiver
Ergebnisse. Zu deren Ausschluss sei weitere Diagnostik notwendig.
Der Leiter der Abteilung Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für
Infektionsforschung in Braunschweig, Gérard Krause, der ebenfalls an der
Web-Konferenz des Science Media Center teilgenommen hatte, erhob dort am
[3][Donnerstag einen weiteren Einwand gegen die Bonner Studie]: „Ich sehe
da noch ein anderes Problem, das vielleicht fast quantitativ noch stärker
ist. Ich weiß es nicht, weil ich die Studie nicht kenne. Aber es ist eine
Haushaltsstudie gewesen. Ich nehme an, dass alle Mitglieder aus dem
Haushalt getestet worden sind. Das kann man so machen. Aber dann darf man
keineswegs alle Ergebnisse nehmen und in Prozent umrechnen, sondern
allenfalls pro Haushalt nur eine Person nehmen.“
Ansonsten bestehe die Gefahr einer statistischen Verzerrung, so Krause. Der
Grund: Die Ansteckungsgefahr innerhalb eines Haushalts sei viel höher als
in der allgemeinen Bevölkerung. Rechne man also alle Personen eines
Haushalts ein, dann werde eine weitaus höhere Immunität angezeigt als die
tatsächlich in der Bevölkerung vorhandene. Darauf Christian Drosten:
„Richtig, und die Verteilung auf die Haushalte wurde auch nicht aufgeklärt.
Man kann wirklich aus dieser Pressekonferenz gar nichts ableiten.“
## Gemessen worden sei, was gemessen werden sollte
Nun hätte man die Debatte als eine fachliche Auseinandersetzung unter
Wissenschaftlern verbuchen können, wäre da nicht die politische Bedeutung
der Studie für die etwaigen Lockerungen der [4][strengen Maßnahmen zur
Eindämmung des Coronavirus]. Die Fragen, die seit Donnerstag im Raum
stehen, lauten: Taugt eine Studie von Top-Wissenschaftlern, deren
Zwischenergebnisse nach Auffassung anderer Top-Wissenschaftler nicht
ansatzweise überprüfbar („kein Manuskript“) und zudem methodisch (mangeln…
Trennschärfe, falsch positive Tests, Berechnungsfehler) fragwürdig sind,
zur politischen Meinungsbildung? Ist die Immunität der Bevölkerung von
Gangelt womöglich viel niedriger als angenommen? Sind
Lockerungsüberlegungen damit obsolet?
Der Bonner Chef-Pharmakologe Gunther Hartmann reagierte am Wochenende und
verwahrte sich gegen die Kritik. Die Antikörpertests (igG Elisa) der Firma
Euroimmun, die in Gangelt verwendet worden seien, „haben eine Spezifität
von über 99 Prozent“, schrieb Hartmann in einer Stellungnahme an die taz.
„Unsere Untersuchungen an eigenen Kontrollproben, auch von Proben anderer
Coronaviren, stützen diese Spezifität.“ Soll heißen: Man dürfe davon
ausgehen, dass gemessen worden sei, was gemessen werden sollte.
Auch bei der Auswertung der untersuchten Haushalte sei statistisch korrekt
gearbeitet worden, betonte Hartmann. Für die Zwischenanalyse seien 509
Personen aus 240 Haushalten untersucht worden. „Diese Zahl liegt bereits im
Rahmen der von der WHO empfohlenen Stichprobengröße. Wir erwarten sehr
ähnliche Ergebnisse bei der Gesamtzahl von 1000 Personen, sonst hätten wir
die Stichprobe aus 509 nicht veröffentlicht“, erklärte Hartmann. Zudem
seien mögliche Abhängigkeiten zwischen Personen desselben Haushalts in die
statistische Berechnung einbezogen worden. Hartmann: „Die Punktschätzung
bleibt die gleiche, was auch diesen Kritikpunkt vollständig entkräftet.“
Die Wissenschaftler hatten insgesamt 1.000 Personen aus rund 400 Haushalten
in Gangelt untersucht; Hartmann stellte klar, auch diese Daten lägen
inzwischen vor und würden nun ausgewertet.
Dass die Zwischenanalyse vor ihrer wissenschaftlichen Publikation
veröffentlicht worden sei, sei „der besonderen Situation geschuldet“
gewesen. Allerdings sei dieses Vorgehen in der Wissenschaft auch in Zeiten
jenseits akuter Pandemien keineswegs unüblich: „Die Veröffentlichung von
Zwischenergebnissen ist in der Wissenschaft allgemein anerkannte Praxis, ja
wird sogar auf höchstrangigen Kongressen gefordert. Die Präsentation
erfolgt dort in Form von Vorträgen und Posterpräsentationen, sie dient der
frühen Kommunikation und Diskussion von Ergebnissen“, so Hartmann. Die
eigentliche schriftliche Publikation der Studie erfolge erst mit Abschluss
der Ergebnisse. Also alles ganz normal und kein Grund zur Aufregung?
Mitnichten. Die Kritik ihrer Wissenschaftlerkollegen aus Berlin und
Braunschweig indes hat das Bonner Forscherteam empfindlich getroffen: „Es
ist schade, dass Kollegen uninformiert voreilige und sichtlich unüberlegte
Schlüsse ziehen, die das Bild in den Medien derart verzerren. Weiterhin
möchten wir darauf hinweisen, dass alle beteiligten Wissenschaftler bei
Konzeption, Design und Präsentation der Studie unabhängig von Interessen
Dritter sind, einschließlich der Medienfirma Storymachine“, schrieb
Hartmann stellvertretend für sein Team.
12 Apr 2020
## LINKS
[1] /Der-Landkreis-wo-alles-begann/!5673363
[2] /Corona-Epidemie-in-Deutschland/!5677835
[3] https://www.sciencemediacenter.de/alle-angebote/rapid-reaction/details/news…
[4] /Massnahmen-gegen-Coronavirus/!5674203
## AUTOREN
Heike Haarhoff
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