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# taz.de -- 25 Jahre Le Monde diplomatique: Die Märkte entschärfen
> Dieser Text von 1997 wurde zum Gründungsmanifest von Attac. Die
> globalisierungskritische NGO hat heute 90.000 Mitglieder in 50 Ländern.
Bild: Attac-Protestaktion in Frankfurt am Main, September 2018
Der Taifun über den Börsen Asiens bedroht auch den Rest der Welt. Die
Globalisierung des Finanzkapitals verunsichert die Menschen: Sie umgeht und
demütigt die Nationalstaaten als die maßgeblichen Garanten von Demokratie
und Allgemeinwohl.
Zudem haben die Finanzmärkte sich längst einen eigenen Staat geschaffen,
einen supranationalen Staat, der über eigene Apparate, eigene
Beziehungsgeflechte und eigene Handlungsmöglichkeiten verfügt. Es handelt
sich um das institutionelle Viereck aus Internationalem Währungsfonds
(IWF), Weltbank, Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (OECD) und Welthandelsorganisation (WTO). Unisono preisen diese
Institutionen die „Tugenden des Markts“ – was von allen großen Medien
nachgebetet wird.
Dieser Weltstaat ist ein Machtzentrum ohne Gesellschaft. An deren Stelle
treten immer mehr die Finanzmärkte und die Riesenkonzerne, die der
Weltstaat repräsentiert. Die Folge ist, daß die real existierenden
Gesellschaften keinerlei Macht mehr besitzen.
Als Nachfolgerin des Gatt ist die WTO seit 1995 zu einer Organisation mit
supranationalen Befugnissen geworden, die keinerlei demokratischer
Kontrolle unterliegt. Sie kann verkünden, daß nationale Gesetze in Sachen
Arbeitsrecht, Umweltschutz oder Gesundheitswesen „der Freiheit des Handels
entgegenstehen“, und ungehindert deren Abschaffung fordern.
## Entwaffnung der Finanzmächte wird zur ersten Bürgerpflicht
Im übrigen wird in der OECD seit Mai 1995 (von der Öffentlichkeit kaum
beachtet) der äußerst wichtige multilaterale Investitionsvertrag
ausgehandelt, der 1998 zur Unterzeichnung ansteht. Er zielt darauf ab,
Investoren gegenüber nationalen Regierungen umfassende Rechte zu sichern.
Will man verhindern, daß die Welt sich im 21. Jahrhundert endgültig in
einen Dschungel verwandelt, in welchem die Räuber den Ton angeben, wird die
Entwaffnung der Finanzmächte zur ersten Bürgerpflicht.
1400 bis 1500 Milliarden Dollar wandern mehrmals täglich – meist im
Zehnminutentakt – auf den Devisenmärkten hin und her; es wird auf
Schwankungen im Devisenkurs spekuliert. Diese Instabilität der Wechselkurse
ist eine der Hauptursachen für das hohe Niveau der (inflationsbereinigten)
Realzinsen, das die Kaufkraft der Privathaushalte sowie die
Investitionsfreudigkeit der Unternehmen dämpft. Sie sorgt dafür, daß die
Staatshaushalte immer weiter ausgehöhlt werden; die Pensionsfonds, die mit
hunderten Milliarden Dollar hantieren, dringen bei den Unternehmen auf
immer höhere Dividenden: Ihre Aktienpakete sollen mindestens so rentabel
sein wie die staatlichen Obligationen.
Die Lohnabhängigen sind die Hauptleidtragenden dieser Jagd nach Profit,
denn wenn sie massenhaft entlassen werden, gehen die Börsenkurse ihrer
ehemaligen Arbeitgeber in die Höhe.
Wie lange können die Gesellschaften dies alles noch hinnehmen? Es wird
höchste Zeit, diesen zerstörerischen Kapitalbewegungen Sand ins Getriebe zu
streuen. Das ist auf dreierlei Weise möglich: über die Abschaffung der
„Steuerparadiese“, über die höhere Besteuerung von Kapitaleinkünften und
über eine allgemeine Besteuerung der Finanztransaktionen.
Steuerparadiese sind bekanntlich Gebiete, in denen das Bankgeheimnis dem
einzigen Zweck dient, Unterschlagungen zu vertuschen, schmutzige Gelder aus
dem Drogenhandel und anderen mafiösen Geschäften zu waschen sowie
Steuerflucht, geheime Zuwendungen und so weiter zu ermöglichen. Hunderte
Milliarden Dollar werden so jeglicher Besteuerung entzogen – im Interesse
der Mächtigen und der Finanzunternehmen.
Alle Großbanken der Welt haben Filialen in „Steuerparadiesen“ und ziehen
aus ihnen große Profite. Ließe sich nicht ein Finanzboykott von Gibraltar,
den Kaimaninseln oder Liechtensteins durchsetzen, indem man Banken, die mit
öffentlichen Stellen zusammenarbeiten, untersagt, dort Filialen zu
eröffnen?
Die Besteuerung der Finanzeinkünfte ist eine demokratische
Minimalforderung. Diese Einkünfte sollten genauso hoch besteuert werden wie
die Einkünfte aus Lohnarbeit, was freilich nirgends der Fall ist, schon gar
nicht in der Europäischen Union.
## Transaktionen auf den Devisenmärkten besteuern
Die völlig freie Kapitalzirkulation untergräbt die Demokratie. Deshalb
müssen Abschreckungsmechanismen installiert werden. Der bekannteste dieser
Mechanismen ist die „Tobin-Steuer“, benannt nach dem Nobelpreisträger für
Ökonomie James Tobin.
Er hatte 1972 angeregt, in bescheidenem Umfang alle Transaktionen auf den
Devisenmärkten zu besteuern, um diese zu stabilisieren und gleichzeitig
Einkünfte für die Staaten und die Internationale Gemeinschaft zu schaffen.
Bei einem Satz von 0,1 Prozent würde die Tobin-Steuer jährliche Einkünfte
von rund 166 Milliarden Dollar einbringen – das Doppelte der jährlich
benötigten Summe, um die extreme Armut bis zur Jahrtausendwende
abzuschaffen.
Zahlreiche Experten haben gezeigt, daß die Einführung dieser Steuer
keinerlei besondere technische Schwierigkeit bereiten würde.Ihre Anwendung
würde lediglich dem liberale Credo der Regierungen, des supranationalen
Staates von Weltbank-IWF-OECD-WTO und der großen Finanzinstitutionen
zuwiderlaufen, die unentwegt predigen, daß es zum aktuellen System keine
Alternative gebe.
Warum nicht eine weltweite regierungsunabhängige Organisation namens
„Aktion für eine Tobin-Steuer als Bürgerhilfe“ (Action pour une taxe Tobin
d'aide aux citoyens – Attac) ins Leben rufen? Im Verein mit den
Gewerkschaften und den zahlreichen Organisationen, die kulturelle, soziale
oder ökologische Ziele verfolgen, könnte sie gegenüber den Regierungen als
gigantische Pressure-Group der Zivilgesellschaft auftreten, mit dem Ziel,
endlich wirksam eine weltweite Solidaritätssteuer durchzusetzen.
Dieser Text erschien erstmals im Dezember 1997
17 Apr 2020
## AUTOREN
Ignacio Ramonet
## TAGS
Attac
Aktien
NGO
Ökonomie
Handel
Gemeinnützigkeit
Attac
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