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# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Literatur auf Leben und Tod
> Wer sich als Autor in Iran nicht an die strengen Regeln der Zensurbehörde
> hält, begibt sich in Gefahr – und wird nicht gedruckt.
Bild: Jede Regierung entscheidet neu, was linientreu ist und publiziert wird
Es ist rund 15 Jahre her, als eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit die
Scheibe eines Teheraner Verlagshauses zu Bruch ging. Kurz darauf stand das
gesamte Gebäude in Flammen – ein Bombenanschlag. Der Verleger erstattete
Anzeige. Kaum 48 Stunden nach dem Anschlag lobte Präsident Mahmud
Ahmadinedschad anlässlich der Eröffnung der neuen Nationalbibliothek „das
Buch“ erst „als Sinnbild für menschliches Denken“, um sogleich
hinterherzuschieben, dass Sultan Mahmud von Ghazni nach der Eroberung der
Stadt Rey im Jahr 1023 alle Bibliotheken niederbrennen ließ.
Seit Gründung der Islamischen Republik haben sich dutzende, ja hunderte
solcher Vorfälle ereignet. Doch warum dient mir ausgerechnet dieser als
Einleitung? Ganz einfach: weil er nur wenige Schritte von meiner Wohnung
entfernt geschah und ich während der Wiederaufbauarbeiten tagein, tagaus
den Anblick der verkohlten Bücher vor Augen hatte, der mich bald bis in den
Schlaf verfolgte.
Mit einigem Wohlwollen könnte man die feindliche Gesinnung der islamischen
Fundamentalisten gegenüber Büchern durch ein Missverständnis erklären. In
der jüngeren Geschichte Irans, heißt es, hatten Worte die Macht,
Regierungen zu stürzen. Diese Vorstellung rührt einerseits daher, dass die
iranische Kultur dem Wort schreiben (Persisch neveshtan) magische Kräfte
zuweist – der Mythologie zufolge waren es Geister, die dem ersten Menschen
das Schreiben beigebracht haben.
Andererseits ist es eine Tatsache, dass sich das literarische Leben in Iran
nicht dem gesellschaftlichen Fortschritt verdankt, sondern dass die
Literatur selbst zum gesellschaftlichen Wandel beigetragen hat. Daher geht
der Widerstand gegen Neuerungen zwangsläufig mit der Abneigung gegen Bücher
einher – insbesondere aus der Belletristik.
## Veröffentlichung nach mehr als 20 Jahren
Während die klassische iranische Literatur vielen Iranerinnen und Iranern
in Notlagen bis heute Trost spendet, ist die iranische Gegenwartsliteratur
eine Literatur der geschlossenen Räume – ohne Straßen und ohne Lärm, ohne
geschäftigen Alltag und ohne Liebe. Erlaubte Schauplätze sind Küche und
Wohnzimmer – was im Bade- oder im Schlafzimmer geschieht, kommt nicht vor.
Wer es wagt, diese Grenze zu überschreiten, wird vergebens auf eine
Druckerlaubnis hoffen.
Neben dieser kastrierten, gesichtslosen Literatur existiert eine staatlich
geförderte Literatur im Dienste des Regimes. Doch die findet auf dem freien
Markt keine Abnehmer. Es wird viel Geld in die Einrichtungen gesteckt, die
solche Literatur hervorbringen sollen, doch oft, um nicht zu sagen immer,
dürfen sich hier die besonders Untalentierten verausgaben.
Ich erinnere mich noch, wie wir während des Militärdienstes Anfang der
1980er Jahre in den Genuss einer kulturpropagandistischen Zeitschrift
kamen. Niemand las dieses Magazin, das wir natürlich von unserem Sold
bezahlen mussten. Wir rissen nur die Seiten aus und benutzten sie bei den
Mahlzeiten als Platzdecken. Als der Schah 1979 stürzte, war ich 22 Jahre
alt. Ich hatte bereits zwei Erzählbände veröffentlicht und arbeitete an
meinem ersten Roman. Was ich damals noch nicht wusste: Auf seine
Veröffentlichung würde ich mehr als 20 Jahre lang warten müssen.
Zwei, drei Jahre nach dem Sieg der islamischen Revolution fingen die
Menschen nicht nur an, säckeweise ihre Bücher zu entsorgen, um keinen Ärger
mit den Behörden zu bekommen. Als Gefahrgut galten dabei sowohl Werke, die
schon unter dem Schah verboten waren, als auch solche, die in der
Anfangszeit der Islamischen Republik erstmals das Licht der Öffentlichkeit
erblickt hatten.
## Zwei Drittel wurden zensiert
In den ersten Jahren geriet auch der 1968 gegründete iranische
Schriftstellerverband (SVI), der bereits unter dem Schah als
„systemfeindlich“ galt und verboten war, erneut ins Visier der Regierung.
Zweieinhalb Jahre nach der Revolution wurde das Büro des SVI gestürmt,
sämtliche Unterlagen wurden beschlagnahmt, und der Verband musste seine
Aktivitäten einstellen. Während sich die Zensoren des Schahs lediglich
politische Inhalte vorknöpften, ging es nun auch um Ethik, Moral und
Religion.
Auch Übersetzungen waren davon betroffen. So verlangten die zuständigen
Stellen etwa vom Übersetzer des Romans „Brot und Wein“ des Italieners
Ignazio Silone – vor der Revolution in mehr facher Auflage erschienen –, er
möge den Titel in „Brot und Sirup“ ändern. Mittlerweile arbeitet die
iranische Zensurbehörde mit einer Kontrollsoftware, die „Wein“ und andere
alkoholische Getränke in Texten durch „Kaffee“ oder „Getränk“ ersetzt.
Teils absurde Züge nahmen die [1][Zensurmaßnahmen] schon unter Präsident
Ali Akbar Haschemi Rafsandschani (1989–1997) an, wie die Unterlagen des
Ministeriums für islamische Führung aus seinem letzten Amtsjahr zeigen. So
wurden aus den Büchern beispielsweise Fotos von Mahatma Gandhi entfernt,
weil man fürchtete, sein spärlich bekleideter Oberkörper würde zur
Förderung der Nacktkultur beitragen. Genauso erging es auch den Abbildungen
von Jesus Christus am Kreuz. Zwei Drittel aller iranischen Erzählungen und
Romane wurden damals zensiert. Aus einer Geschichte, in der es um
Brustkrebs ging, musste das Wort »Brust« gestrichen werden.
Damals wurden auch internationale Klassiker – [2][Bertolt Brecht], Henrik
Ibsen, Oscar Wilde, Pablo Neruda, Alexander Puschkin, Marguerite Duras,
Milan Kundera und viele andere, die Liste ist sehr lang – mit einem
Druckverbot belegt. Hermann Hesses »Morgenlandfahrt« durfte nur unter der
Bedingung erscheinen, dass der Name der weiblichen Hauptfigur (Fatme)
geändert wurde, weil Muslimen dieser Name heilig ist – Fatemeh war die
Tochter des Propheten Mohammed.
Und wurde in westlichen Romanen aus der Bibel zitiert, mussten die Zitate
umformuliert oder entfernt werden, um bei den Zensoren keinen Anstoß zu
erregen. Ein Werk des bedeutendsten zeitgenössischen iranischen Dichters
Ahmad Schamlu durfte wegen angeblicher Belanglosigkeit erst nach stark
korrigierenden Eingriffen gedruckt werden.
## Drohungen und Morde
1991, zehn Jahre nach dem Verbot des Schriftstellerverbands, gründeten 15
namhafte Autoren das sogenannte Beratergremium, dem auch ich mich
anschloss. Wir wollten den Einschränkungen und Repressalien, dem offenen
und verdeckten Druck des Geheimdienstes etwas entgegensetzen.
Regierungstreue Presseerzeugnisse und Verlage bliesen sofort zum Angriff
und beschimpften uns als ausländische Agenten und Handlanger des
Imperialismus oder sogar als sexuell Gestörte. Die Sicherheitskräfte luden
Mitglieder unseres Gremiums vor und forderten sie auf, ihre Aktivitäten
einzustellen.
Die Drohungen wurden derart heftig, dass sie uns seelisch völlig aus dem
Gleichgewicht brachten. Aber es sollte noch schlimmer kommen: Als wir im
Sommer 1996 mit 20 Kollegen auf Einladung des armenischen
Schriftstellerverbands mit dem Bus ins Nachbarland fuhren, versuchte die
Geheimpolizei den Bus in eine Schlucht zu stürzen. Glücklicherweise
verkantete er sich an einem Felsbrocken. Diesmal hatte man es nicht nur auf
die Tilgung von Texten abgesehen, sondern wollte gleich deren Urheber
ausradieren.
Danach kamen sogenannte Schwarze Todeslisten in Umlauf, und auf allen
Listen tauchten die Mitglieder des Beratergremiums auf. Am 23. Oktober 1996
fand man den Schriftsteller Ghafar Hosseini, der Mitglied des Gremiums war,
tot in seinem Bett auf. Zuvor hatte man den Leichnam Ahmad Mir Allais,
eines namhaften Übersetzers, der in Kontakt mit dem Gremium stand,
entdeckt.
Als Mohammad Chatami 1997 Präsident wurde, verstärkten wir unsere
Anstrengungen, den nach wie vor offiziell nicht zugelassenen
Schriftstellerverband wiederzubeleben. Wir wollten gerade einen Vorstand
wählen, als kurz hintereinander zwei Mitglieder verschwanden. Wenige Tage
später fand man sie tot am Teheraner Stadtrand. Mittlerweile herrschte
wieder eine relative Pressefreiheit, und die Öffentlichkeit reagierte
heftig auf diese Morde.
Weitere politisch motivierte Morde, die sogenannten Kettenmorde kamen in
der Folge ans Licht. Die Regierung übernahm schließlich die Verantwortung
für vier von ihnen und verhaftete mehrere Personen, darunter Said Emami,
den ranghöchsten Vertreter des Informationsministeriums, der kurz darauf
angeblich Selbstmord beging. Dieser offiziellen Version trauten allerdings
die wenigsten. Vielmehr vermuteten sie, Emami sei in der Untersuchungshaft
umgebracht worden, um seine Auftraggeber und Mitwisser zu schützen. Andere,
die mit den Morden in Verbindung gebracht wurden, kamen wenig später wieder
auf freien Fuß.
## Zensur je nach Regierung
Auch unter Chatami mussten Autorinnen und Autoren ihre Manuskripte prüfen
lassen, um eine Druckerlaubnis zu erhalten. Die zuständigen Beamten gingen
allerdings weniger streng zu Werke. Damals wurden sieben meiner bislang
verbotenen Bücher veröffentlicht. Doch die relative Freiheit war nur von
kurzer Dauer. Nach Mahmud Ahmadineschads Amtsantritt 2005 wurde allen
meinen Büchern die Druckerlaubnis wieder entzogen. Auch heute, [3][unter
Hassan Rohani], sind meine neueren Werke weiterhin verboten, während die
älteren – mit zwei Ausnahmen – mittlerweile in mehrfacher Auflage
erscheinen durften.
Nach 41 Jahren Islamischer Republik hat der Druck auf iranische Autorinnen
und Autoren dermaßen zugenommen, dass viele ihre Bücher im ebenfalls
persischsprachigen Nachbarland Afghanistan herstellen lassen. Man kann
jetzt zwar im Internet veröffentlichen, muss dann aber mit finanziellen
Einbußen rechnen und wird zudem von den Sicherheitsorganen strenger
kontrolliert und drangsaliert.
2014 entsandte man eine 200-köpfige Delegation zur Frankfurter Buchmesse.
Nach ihrer Rückkehr gab der Organisator des iranischen Messeauftritts ein
mit den Worten „Stärkste Präsenz im internationalen Verlagswesen“
überschriebenes Zeitungsinterview.
Stärkste Präsenz mit welcher Art von Literatur? Mit ideologischen
Schriften? Oder mit zensierten Werken, denen nicht einmal die einheimische
Leserschaft Vertrauen schenkt? Denn die ist mehrheitlich davon überzeugt,
dass in die Werke so stark eingegriffen wurde, dass sie mit ihren
ursprünglichen Fassungen nichts mehr gemein haben. Was wiederum dazu
geführt hat, dass im Durchschnitt nur noch zwei Minuten am Tag Bücher
gelesen werden.
Aus dem Persischen von Jutta Himmelreich
12 Apr 2020
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## AUTOREN
Amir Hassan Cheheltan
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