# taz.de -- Zensur im Iran: Keine Küsse in Teheran | |
> Einst klagten die Islamisten über die Zensur. Heute darf der frühere | |
> Staatspräsident Rafsandschani seine Memoiren nicht veröffentlichen. | |
> Frauen sind sowieso unter Druck. | |
Im Lehrbuch für Englisch wird iranischen Gymnasiasten erklärt, was ein | |
Mini- und ein Maxirock ist. Schauen aber die Schüler auf die neben dem Text | |
stehenden Fotos, können sie keinen Unterschied feststellen. Denn auch bei | |
der jungen Frau, die nach der Beschreibung einen Minirock tragen soll, ist | |
der Rock knöchellang. Bei genauer Betrachtung sieht man allerdings, dass | |
der Rock, der islamischen Moralvorstellung folgend, durch schwarze Farbe | |
verlängert worden ist. Auch die Brüste der Tennisspielerin Maria Sharapova | |
auf dem Titelblatt einer in Teheran erscheinenden Sportzeitschrift wurden | |
mit schwarzer Farbe überdeckt. Bei importierten Filmen werden grundsätzlich | |
sämtliche Szenen, die dem von Islamisten aufgestellten Moralkodex nicht | |
entsprechen, herausgeschnitten. Nicht selten sieht man zum Beispiel einen | |
Liebhaber, der mit offenen Armen auf die Geliebte zugeht. Bevor es jedoch | |
zu einer körperlichen Berührung kommt, wechselt die Szene. Zu einer | |
Umarmung, gar einer sexuellen Handlung kommt es nie. | |
Wie in jedem totalitären Staat gehört auch in der Islamischen Republik Iran | |
die Zensur zum unzertrennlichem Bestandteil des herrschenden Systems. Mit | |
dem Unterschied, dass hier der Staat bestrebt ist, das Leben der Menschen - | |
wie Ajatollah Chomeini einmal sagte - von vor der Geburt bis nach dem Tod | |
unter Kontrolle zu halten. Nach der Machtübernahme 1979 hatten sich die | |
Islamisten zum Ziel gesetzt, die gesamte Gesellschaft, sowohl im privaten | |
als auch im öffentlichen Bereich, zu islamisieren. Das war kein leichtes | |
Unterfangen. Denn unter dem Schah gab es zwar auch eine staatliche Zensur. | |
Sie diente jedoch vorwiegend der politischen Gleichschaltung der | |
Meinungsäußerung. Somit gab es für Menschen, die sich dem Regime gegenüber | |
loyal verhielten, kaum Einschränkungen. Zudem hatte Revolutionsführer | |
Chomeini in seinem Pariser Exil gerade noch die politische Zensur des | |
Schah-Regimes scharf kritisiert und dem Volk versprochen, nach dem Sturz | |
der Diktatur würde es keine staatliche Zensur geben, er werde die Freiheit | |
der Presse und Meinungsäußerung garantieren. | |
Islamische Medizin? | |
Vor diesem Hintergrund war es nicht leicht, der Nation, die sich noch in | |
revolutionärer Euphorie befand und gerade eine Diktatur gestürzt und die | |
Freiheit errungen hatte, Zügel anzulegen. Den ersten schüchternen Versuch | |
unternahm der heimgekehrte Revolutionsführer 1979 höchstpersönlich. Eines | |
Tages erklärte er im staatlichen Fernsehen, er werde die Tageszeitung | |
Ayandegan - damals die größte liberale Zeitung des Landes - nicht mehr | |
lesen. Die Redaktion wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Ignorieren | |
konnte sie die Äußerung nicht. Kapitulieren und das Erscheinen einstellen | |
wollte sie auch nicht. In Reaktion auf Chomeinis Fernsehrede erschien die | |
Zeitung mit vier leeren Seiten, auf denen nur der Kopf der Zeitung gedruckt | |
war. Die Leser begriffen, worum es ging. Die Zeitung erlebte an diesem Tag | |
ihre größte Auflage. | |
Für die Machthaber bedeutete dies, dass sie härtere Mittel einsetzen | |
müssten. Der neue Staatsapparat war längst nicht so weit etabliert, um | |
kritische Stimmen durch den Einsatz von Ordnungskräften zum Schweigen zu | |
bringen. Es gab aber den Mob, der auf einen Wink von oben sich im Namen des | |
Volkes und Gottes in Bewegung setzte und gleich mehrere Zeitungs- und | |
Verlagshäuser in Brand steckte. Eine Massendemonstration gegen die | |
Einschränkung der Meinungsfreiheit im Sommer 1979, an der rund eine Million | |
Menschen teilnahmen, beeindruckte die neuen Machthaber nicht. Sie bastelten | |
an ihrem Gottesstaat und an einem "Ministerium für islamische Führung". | |
Dieses Ministerium übernahm die schier unmögliche Aufgabe, die gesamte | |
Gesellschaft zu islamisieren. In diesem Rahmen wurde auch die Zensurbehörde | |
eingerichtet. | |
Wie absurd und zugleich schwierig diese Aufgabe war, zeigte sich am | |
Beispiel der Universitäten. Zunächst erhielten alle Lehrkräfte ein | |
Rundschreiben, in dem sie aufgefordert wurden, ihren Lehrplan zu | |
islamisieren. Die Professoren rätselten, was damit gemeint sein könnte. Wie | |
sollten etwa naturwissenschaftliche Fächer, Medizin, Geschichte, Literatur | |
oder auch Fremdsprachen islamisiert werden? Selbst das Ministerium hatte | |
kein Konzept. Es brauchte mehr als zwei Jahre, um halbwegs realisierbare | |
Richtlinien auszuarbeiten. Während dieser Zeit blieben sämtliche | |
Universitäten des Landes geschlossen. Ohnehin wurden junge Männer und | |
Frauen eher an der Front im Krieg gegen den Nachbarstaat Irak gebraucht als | |
an den Stätten für Bildung und Forschung. | |
Der achtjährige Krieg lieferte dem Staat der Islamisten in den | |
Achtzigerjahren die Handhabe, dem Volk immer mehr Einschränkungen | |
aufzuerlegen. Politische Widersacher wurden zu Zehntausenden hingerichtet, | |
Frauen zu islamischer Kleidung gezwungen, Schul- und Lehrbücher neu | |
geschrieben. Es gab keinen Bereich, in den sich der Staat nicht einmischte. | |
Ständige unangemeldete Hausdurchsuchungen führten dazu, dass niemand sich | |
mehr - auch im Privatleben - vor staatlichen Eingriffen sicher fühlen | |
konnte. | |
Ein wichtiger Teil der Islamisierung bestand darin, die islamische | |
Gemeinschaft vor "verderblichen Einflüssen von außen", insbesondere | |
westlicher Dekadenz, zu schützen. Aber wie lange würde sich ein Land wie | |
der Iran, eine bislang offene und traditionsreiche Gesellschaft, einkapseln | |
lassen? Wie die Geschichte zeigt, nicht sehr lange. Als der Krieg 1988 zu | |
Ende war und wenige Monate später Chomeini starb, öffneten sich allmählich | |
die Pforten. Mit der Regierungsübernahme der Reformer unter Mohammad | |
Chatami begann sich dann das Blatt zu wenden, nicht radikal, auch nicht | |
grundsätzlich, aber atmosphärisch ließ sich die Ära Chatami (1997-2005) mit | |
den Jahren davor nicht vergleichen. Die Presse erlebte eine neue Blüte, die | |
Verbote lockerten sich, die Zivilgesellschaft begann sich rasch zu | |
entwickeln. Zwar versuchten die Radikalislamisten durch Mordanschläge den | |
Prozess aufzuhalten, die Justiz, die dem Revolutionsführer Ali Chamenei | |
unterstand, ließ über hundert Zeitungen und Zeitschriften verbieten und | |
zahlreiche Journalisten einkerkern, aber gleichzeitig öffnete sich das Land | |
immer weiter nach innen und nach außen. Die neuen Kommunikationstechniken | |
leisteten dem Prozess Vorschub. Obwohl offiziell verboten, besorgten sich | |
Millionen Familien Parabolantennen, die ihnen den Zugang zu | |
Fernsehprogrammen in aller Welt ermöglichten. Das Internet machte praktisch | |
die Zensur der Informationen und Nachrichten unmöglich. 1999 existierten | |
allein in der Hauptstadt Teheran etwa 4.000 Internet-Cafés. Im letzten Jahr | |
der Chatami-Regierung, 2005, nahmen Iraner mit mehr als 100.000 Websites an | |
der Blogszene teil. Unter den Bloggern gehörte Persisch zu den am | |
häufigsten benutzten Sprachen, häufiger als Deutsch, Chinesisch, Russisch | |
oder Spanisch. Es gab rund 8 Millionen Nutzer des Internets. | |
Rafsandschani ohne Buch | |
Seit dem Regierungswechsel im Sommer 2005 und der Machtübernahme der | |
Radikal-Islamisten unter Mahmud Ahmadinedschad wird versucht, diesen | |
Liberalisierungsprozess, der eine Bedrohung für die Existenz des | |
islamischen Gottesstaates darstellt, rückgängig zu machen. Seitdem gibt es | |
immer wieder Kampagnen zur strengeren Durchsetzung von | |
Kleidungsvorschriften, es gibt häufiger Blitzaktionen zur Einsammlung von | |
Parabolantennen, die allerdings am nächsten Tag von den Benutzern neu | |
installiert werden. Dank der Technikentwicklung in den USA konnte die | |
Regierung in Teheran in den Besitz von Geräten gelangen, mit denen | |
kritische Internetzeitungen gefiltert werden. Selbst die stark | |
rechtsorientierte Internetzeitung Baztab blieb von der Zensur nicht | |
verschont. Letzten Dezember wurden 24 Internet-Cafés in Teheran geschlossen | |
und 23 Betreiber festgenommen. | |
Weit rigoroser als bisher ist die Buchzensur. Tausende Manuskripte liegen | |
in der Zensurbehörde. Es gibt drei Phasen der Buchzensur. In der ersten | |
Phase werden die Manuskripte eingereicht. Die Zensurbehörde kann ein | |
Manuskript ohne Begründung ablehnen oder den Verleger bzw. Autor zur | |
Streichung einiger Stellen auffordern. Erhält ein Verleger die | |
Druckgenehmigung, heißt das immer noch nicht, dass das Buch erscheinen | |
darf. Das gedruckte Buch muss dann noch einmal der Behörde vorgelegt | |
werden. Ist die Genehmigung zur Veröffentlichung erteilt, kann das Buch | |
immer noch verboten und eingesammelt werden. Die ganze Prozedur dauert | |
gewöhnlich mehr als ein Jahr, manchmal mehrere Jahre. Tatsächlich sind seit | |
der Machtübernahme der Islamisten zahlreiche genehmigte Bücher wieder | |
eingesammelt worden. Selbst der siebte Band der Memoiren von | |
Ex-Staatspräsident Haschemi Rafsadschani, der immer noch zu den mächtigsten | |
Männern des Gottesstaates gehört, wurde wenige Wochen nach der | |
Veröffentlichung 2007 eingesammelt. Begründet wurde die Maßnahme mit der | |
Äußerung Rafsandschanis, er sei bereits zwei Jahre nach dem Sieg der | |
Revolution mit Chomeini übereingekommen, die Parole "Tod den USA" | |
einzustellen! Welchen Schaden die Verzögerungen und Verbote anrichten, ist | |
nicht hoch genug einzuschätzen, nicht nur politisch, sondern auch | |
ökonomisch. Bücher, die zu aktuellen Themen konzipiert sind, haben kaum | |
eine Chance. Verlage, deren Bücher über längere Zeit liegen bleiben, müssen | |
schließen und Autoren müssen das Schreiben aufgeben. | |
In der iranischen Medienlandschaft sieht es ziemlich öde aus. Private | |
Fernseh- und Rundfunksender existieren nicht. Sämtliche liberale Zeitungen | |
sind, bis auf wenige, die sich selbst zensierend leise Kritik üben, | |
verboten. Der Druck auf Journalisten ist enorm. Viele üben Selbstzensur, um | |
ihren Job nicht zu verlieren. Der iranische Film, der noch vor Jahren auch | |
international ein relativ hohes Ansehen erlangt hatte, befindet sich | |
zurzeit mehr oder weniger in einer Phase der Stagnation. Manche Filme, die | |
die Genehmigung zur Vorführung im Ausland erhalten, sind im Inland nicht | |
zugelassen. Importierte Filme werden gelegentlich bis zur völligen | |
Sinnentstellung manipuliert. | |
An den Universitäten wurden zuletzt wieder über hundert Professoren als | |
säkular eingestuft und in den Ruhestand geschickt. Zahlreiche studentische | |
Aktivisten sitzen seit den letzten Monaten in Untersuchungshaft. Dennoch | |
ist erstaunlich, wie die iranische Zivilgesellschaft sich trotz | |
verschärfter Repressionen nicht kleinkriegen lässt. Mitte Dezember erklärte | |
ein Sprecher bei einer Protestkundgebung vor rund 2.000 Studenten: "Heute | |
zeigt sich der Faschismus im Gewand der Religion. Wir spüren die Stiefel | |
auf unserer Kehle. Aber die Herrschenden täuschen sich. Es wird ihnen nicht | |
gelingen, unseren Widerstand zu brechen." | |
15 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
Bahman Nirumand | |
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