Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Comic über Job an der Hasskommentarfront: Kaffeepause vom Volkszorn
> Freischalten, Ablehnen, Sortieren: Kathrin Klingners Comicfigur Kitty
> kämpft sich in einer Hamburger Internetklitsche durch Hass und
> Gewaltfantasien.
Bild: Das Tagwerk kann beginnen: Klickjob in der Internetklitsche
Schwer zu sagen, wann genau Zensor*innen vom Inbegriff der Kultur- und
Demokratiefeindlichkeit zu den Guten geworden sind. Sicher ist aber, dass
es am Internet lag. Heute gilt es zu Recht als progressiv, Leute konsequent
wegzublocken, deren Gerede und deren Hass eine*n nur mürbe machen. Genauso
richtig ist auch, dass aus den Kommentarspalten großer und kleiner Medien
[1][der Dreck gelöscht wird], der täglich hunderttausendfach Menschenwürde
verletzt – der rechte Mehrheiten suggeriert und sie damit vielleicht
irgendwann auch erschafft.
Für Sprach- und Politikwissenschaftler*innen ist das interessant, für
politischen Aktivismus eine noch unbewältigte Herausforderung. Und für
Kitty, die für verschiedene Onlinemedien als ausgelagerte
Kommentarmoderatorin in einer Hamburger Internetklitsche arbeitet, ist
Zensur vor allem ein okay bezahlter Job.
Kitty ist eine Comicfigur, ihre Geschichte aber mehr oder weniger echt. Die
Hamburgerin Künstlerin Kathrin Klingner hat selbst in so einer Firma
gearbeitet und ihre Erfahrungen in den kürzlich bei [2][Reprodukt]
erschienenen Comic [3][„Über Spanien lacht die Sonne“] einfließen lassen …
auch wenn der keine ausdrückliche Autobiographie ist.
Die moralische Frage nach Zensur stellt sich dort übrigens nicht, oder nur
zwischen den Zeilen und Panels. „Wir lesen hier den ganzen Kram, den Leute
im Internet schreiben“, erklärt Kittys Chef eher lapidar beim
Vorstellungsgespräch, „damit es der Rest der Welt nicht tun muss“.
## Zensieren als technische Angelegenheit
Und für die Hauptfigur und ihre Kolleg*innen ist das Zensieren dann
tatsächlich eine technische Angelegenheit zwischen Freischalten, Ablehnen
und Sortieren: Das Kürzel „OT“ steht für off topic, „FR2“ für rassis…
Beleidigungen, „GFA“ für Gewaltfantasien und so weiter. Kittys Geschichte
spielt 2015, auf dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingswelle, und man
kann sich vorstellen, wie und womit Kittys Moderationsagentur in diesen
Zeiten zu tun hat. Bei bester Laune allerdings.
Klingners Figuren sind grob gezeichnet, wirken skizziert und verfremdet.
Manche sind Tiere, andere nicht. Wie bereits im Vorgänger [4][„Katze hasst
Welt“] (Mami Verlag/Reprodukt) folgt das keinem offensichtlichen System,
die Geschichten sind keine Fabeln und auch sonst nicht wirklich
metaphorisch – die Tiergesichter scheinen eher ein spielerisches Umgehen
damit zu sein, dass in Sachen Identität heute alles nicht mehr so einfach
ist.
„Über Spanien lacht die Sonne“ handelt von einem Balanceakt, oder von
gleich mehreren: zwischen Beruf und Freizeit, zwischen Ex-Partner und neuen
Flirts, zwischen Politik und Klickjob. Viel wird nur angedeutet. Es braucht
auch keinen vollständigen Satz, um zu kapieren, was etwa bei „Hansjoerg“
aus der Kommentarspalte los ist. „Ich bin dafür, hilfebedürftige Menschen
zu unterstützen“, schreibt er, „aber ganz ehrlich...“ – und nach so ei…
Einstieg ist auch wirklich ganz egal, wie es weitergeht. Kitty liest es
trotzdem und erfährt so noch ein paar Details zu Hansjoergs Ansichten über
den Islam.
Im Comic ist das eine Seite unter vielen. Auf der nächsten schreibt User
„Ostwind“ was über Sachsen, danach beschwert sich „Wusel33“ darüber, …
er von der „Systempresse“ ständig und selbstverständlich zu Unrecht als
rechts beschimpft werde. Auf je sechs Panels pro Job ist Kitty fast
regungslos am Monitor zu sehen. Ihr Katzengesicht hat sich seit dem letzten
Band verändert: besteht heute nur noch aus vier Ovalen und einem Strich:
Hasenohren, -augen und ein Mund, die allerdings erstaunlich dynamische
Mimik aufs Papier bringen.
Manchmal deutet sich beim Lesen der beknackteren Kommentare ein Lächeln an,
mal gähnt Kitty offensichtlich und greift zur Kaffeetasse. Es hat
tatsächlich etwas sehr Schönes und irgendwie Ermutigendes, wie die
abstrakte und belanglos-menschliche Reaktion das pegidistische Rauschen
einfach mal so beiseite schiebt.
## Moderatorinnen werden zum Hassobjekt
Echte Vollnazis bleiben die Ausnahme und sind für zumindest diese
Geschichte auch gar nicht weiter wichtig. Will man „Über Spanien lacht die
Sonne“ politisch lesen, geht es eher um eine Gesamtgesellschaft am
Computer: erschreckend normale Menschen, denen im Internet
weltgeschichtlich erstmals eine Möglichkeit zur Verfügung steht, vorbei an
Staat und Redaktionen große Öffentlichkeit mit ihrem Zeug zu erreichen. Und
weil ihnen genau das nun wieder streitig gemacht wird, werden auch die
Moderator*innen selbst zum Hassobjekt.
„Ich wünsche euch weiterhin fröhliches Zensieren, ihr elendigen
Unheilsbringer“, schreibt Lord of Winterfell, „Ich hoffe ihr verreckt.“ D…
Gefallen tut ihm keiner. Dass Kitty aber trotzdem nicht völlig unbeschadet
rauskommt aus der Nummer, liegt nicht an den sich kriegerisch gebenden
Kommentierern, sondern daran, dass Moderation eben Lohnarbeit ist und die
Welt außerhalb des Internets noch ganz andere Gemeinheiten auf Lager hat.
Wahrscheinlich ist auch gerade das der Punkt: Kathrin Klingners Comic ist
kein verbittertes Lehrstück über den Rechtsruck der Volksgemeinschaft,
sondern eine ausgesprochen sympathische Einladung zu einem
Perspektivenwechsel: weg vom stumpfsinnigen Hassmob und hin zu Strategien,
damit umzugehen. Gemeint ist weniger das professionelle Löschen der
schlimmsten Ausbrüche, als vielmehr die Kaffee- und Raucherpausen jenseits
der Monitore.
Das hat wirklich Seltenheitswert: eine Abrechnung mit Internetschreihälsen,
die dabei weder das Netz verteufelt, noch das Offlineleben bedingungslos
glorifiziert. Auch Kitty textet ihren Freund*innen und streamt abends
betrunken Serien. Und es ist nun wirklich weder Leistung noch Schuld des
Internets, dass beides manchmal doof ist und manchmal auch sehr erfreulich
sein kann.
23 Apr 2020
## LINKS
[1] /Umgang-mit-Hatespeech-im-Netz/!5513864
[2] https://www.reprodukt.com/
[3] https://www.reprodukt.com/Produkt/comics/ueberspanienlachtdiesonne/
[4] https://www.reprodukt.com/Produkt/graphicnovels/katze-hasst-welt-2/
## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
## TAGS
Autobiographischer Comic
Comic
Hasskommentare
Zensur
Schwerpunkt Meta
Comic
Hate Speech
Hate Speech
## ARTIKEL ZUM THEMA
Facebook entschädigt Moderator*innen: Traumatisierende Inhalte
Facebook zahlt Moderator*innen eine Entschädigung von insgesamt 52
Millionen US-Dollar. Das sollte Signalwirkung für die ganze Branche haben.
Neuauflage von Edgar P. Jacobs' Comics: À la James Bond
Der Belgier Edgar P. Jacobs entwarf in den „Blake und Mortimer“-Comics
apokalyptische und hochtechnologisierte Visionen. Nun kommen sie neu raus.
Kampf gegen Hasskommentare: Renate Künast erringt Teilerfolg
Mit ihrer Beschwerde gegen einen Gerichtsbeschluss hatte Künast jetzt
Erfolg: Sechs von 22 Hasspostings gegen sie gelten nun doch als
Beleidigung.
Hate-Speech im Internet: Auch verbaler Hass ist Gewalt
Das Internet darf nicht die virtuelle Kloake für Wut und Hass bleiben.
Schärfere Gesetze, mehr Expert*innen und härtere Sanktionen sind nötig.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.