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# taz.de -- Nachruf auf Regisseurin Sarah Maldoror: Heimweh nach Utopie
> Sie war eine wichtige Stimme im internationalistischen politischen Kino:
> Die französische Filmemacherin Sarah Maldoror ist an Covid-19 gestorben.
Bild: Bedeutende Stimme der Diaspora: Sarah Maldoror
Uniformierte treiben eine Gruppe Männer durch das grelle Sonnenlicht zu
einem Kellereingang. Einmal noch darf einer der Gefangenen seine Frau
sehen. In der Umarmung flüstert sie ihm zu: „Ich hole dir ein complet.“ Die
Frau meint damit ein typisches Gericht der Armenviertel von Luanda in
Angola, doch der Polizist, der vor der Tür wartet, vermutet Verdächtiges
und führt den jungen Mann schnell zurück in den Keller in Polizeigewahrsam.
Ehrerbietig erstattet er seinem Vorgesetzten, der unter einem Porträt des
portugiesischen Diktators Salazar sitzt, Bericht. Ein koloniales
Missverständnis, aus dem Folter und Unterdrückung folgen.
Die 1929 im südwestfranzösischen Gers als Tochter eines Vaters aus
Guadeloupe und einer französischen Mutter geborene Maldoror inszenierte
diese Szenen 1969 für ihren Kurzfilm „Monangambée“. Sie ist eine zentrale
Figur des afrikanischen Kulturlebens des Zeitalters der Dekolonialisierung.
Im Jahr 1956 gründete sie gemeinsam mit der haitianischen Sängerin Toto
Bissainthe und den späteren Filmemachern Timité Bassori und Ababacar Samb
Makharam die schwarze Theatergruppe Les Griots in Paris. Die
Theatergruppe brachte Stücke von Aimé Césaire und Jean Genet auf die Bühne.
Sie wurde zu einer Inspiration für ähnliche Projekte wie die Gruppe
Griotshango, die der mauretanische Regisseur Med Hondo einige Jahre später
gründete.
## Stipendium in Moskau
1961 begann sie dank eines Stipendiums in Moskau Film am Staatlichen
All-Unions-Institut für Kinematographie zu studieren. Nach dem Abschluss
zog sie 1964 weiter in das zwei Jahre zuvor unabhängig gewordene Algerien.
Algerien war Anfang der 1960er Jahre ein Zentrum des Panafrikanismus. 1965
ist sie Regieassistentin bei Gillo Pontecorvos Fiktionalisierung einer
zentralen Episode des algerischen Unabhängigkeitskriegs in dessen Film „Die
Schlacht von Algier“.
In Algerien arbeitete Maldoror an einigen Filmen mit, unter anderem an
„Elles“, Ahmed Lallems filmischer Studie über algerische Frauen nach der
Unabhängigkeit von 1966. Kurz darauf entstand der eingangs erwähnte
„Monangambée“. Der Titel des Film greift einen Ruf auf, der während der
angolanischen Unabhängigkeitsbewegung zu Versammlungen rief. Der Film
entstand mit Unterstützung der algerischen Befreiungsbewegung FLN,
zahlreiche algerische Filmschaffende wirkten mit, unter anderem der
Schauspieler und Regisseur Mohamed Zinet in der Rolle des Polizisten.
Literarische Vorlage war eine Erzählung des portugiesischen Unterstützers
der angolanischen Unabhängigkeitsbewegung, José Luandino Vieiras. Die Musik
zum Film stammt vom Art Ensemble of Chicago, einem der führenden Kollektive
von Jazz-Avantgardisten in den USA. „Monangambée“ wurde 1971 auf der
Berlinale im Rahmen der ersten Ausgabe der Sektion Forum vorgeführt. Der
Film lief in diesem Jahr zudem im [1][Jubiläumsprogramm des Forums].
## Angolas Kampf für Unabhängigkeit
In ihrer Zeit in Algerien lernt Maldoror Mário Coelho Pinto de Andrade
kennen, der 1956 die angolanische Befreiungsbewegung MPLA mitgegründet
hatte. 1972 dreht Maldoror in Zaire (heute: Demokratische Republik Kongo)
„Sambizanga“, eine Fiktionalisierung des angolanischen Kampfes um
Unabhängigkeit gegen die Portugiesen. Der Unabhängigkeitskämpfer Domingos
Xavier wird verhaftet. Im Gefängnis (das in jenem Ortsteil Luandas liegt,
der dem Film den Titel gegeben hat) wird er gefoltert.
Der Film ist eine Hommage an die Opfer, die es auf dem Weg in die
Unabhängigkeit gegeben hat, und eine eindrückliche Darstellung des
beständigen solidarischen Handelns, das die Kolonialherrschaft an ihr Ende
brachte. Der Film ist erneut eine Verfilmung einer Erzählung José Luandino
Vieiras, die von Maldorors Mann gemeinsam mit dem französischen
Schriftsteller Maurice Pons in ein Drehbuch umgewandelt wurde. Ein Großteil
der Darsteller entstammte verschiedenen afrikanischen
Unabhängigkeitsbewegungen.
## Kino ist Stellungnahme
Auch in den folgenden Jahrzehnten blieb Maldoror eine wichtige Stimme eines
internationalistischen politischen Kinos. Sie drehte in Frankreich, der
Sowjetunion, Algerien, Tunesien, widmete Toto Bissainthe und Aimé Césaire
filmische Porträts. Ende der 1990er Jahre drehte Anne-Laure Folly eine
filmische Hommage an Maldoror „Sarah Maldoror ou la nostalgie de l’utopie�…
Anlässlich der Aufführung von „Sambizanga“ beim Forum der Berlinale 1973
sagte Maldoror: „Kino bedeutet Stellungnahme.“
Maldoror war wiederholt in Berlin zu erleben, unter anderem vor acht Jahren
in einer Retrospektive zu René Vautier, einem anderen großen
Internationalisten. Vor zwei Jahren präsentierte das Österreichische
Filmmuseum eine große Retrospektive der Regisseurin. Mit Maldoror ist am
Montag eine der letzten großen Internationalistinnen des politischen Kinos
an Komplikationen nach einer Covid-19-Erkrankung in Paris gestorben.
15 Apr 2020
## LINKS
[1] /Empfehlung-zum-Filmfestival/!5662865
## AUTOREN
Fabian Tietke
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Afrika
Schwerpunkt Berlinale
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