# taz.de -- Musiktipps für Berlin: Jeder Tag ist wie Sonntag | |
> Die Clubs und Konzertorte sind geschlossen. Dafür streamen Musiker*innen | |
> und DJs was das Zeug hält. Der taz plan gibt einen Überblick. | |
Bild: Tägliches Ritual: Sicker Man und Kiki Bohemia machen Wohnzimmer-Drones | |
Dieser Tage schenkt man ja vor allem Ärzten Glauben. Kein Wunder, hat sich | |
die gleichnamige Band aus Berlin zu Wort gemeldet, mit [1][„Ein Lied für | |
Jetzt“]. Unter anderem, so lernen wir in dem Song, könnte der Einsatz von | |
Virtual-Reality-Brille helfen, durch diese seltsamen Zeiten zu kommen. | |
Tatsächlich fällt es bisweilen schwer, sich vorstellen, wie so ein | |
Clubabend in den eigenen vier Wänden ablaufen sollte, einer von der Art, | |
wie er allabendlich auf [2][unitedwestream.berlin] geboten wird, der | |
Streamingplattform der Berliner Clubs – auch wenn das Ganze selbstredend | |
eine gute Idee ist, schließlich geht es dabei nicht zuletzt um Fundraising | |
für existenzbedrohte Läden. Und man tut nicht nur der eigenen | |
Bespaßungszukunft Gutes: Der [3][„Stiftungsfond Zivile Seenotrettung“] | |
bekommt acht Prozent der gespendeten Kohle. | |
Unter anderem gab es bei United We Stream Live-Sets aus dem [4][Schwuz], | |
dem [5][Klunkerkranich] oder [6][Watergate], später lässt sich das Ganze | |
noch bei arte concerts nachhören. Trotzdem, je nach Schauwert der | |
jeweiligen Location, mutet es ungewohnt an, einer solchen Tanzveranstaltung | |
von zuhause aus beizuwohnen. Guckt man von seinem leeren Sofa in einen | |
leeren Club und wippt dazu mit dem Fuß? Oder setzt sich Funkkopfhörer auf | |
und tanzt selbstvergessen? | |
## Wie in der Silent Disco | |
Mit letzterem konnte man ja in den letzten 15 Jahre im Rahmen der so | |
genannten Silent Discos Erfahrungen sammeln, Tanzveranstaltungen also, die | |
in lärmfreien Räumen stattfanden und bei denen der Sound direkt auf den | |
einzelnen Kopfhörer übertragen wird. Doch so richtig durchgesetzt hatte | |
sich dieser Hype ja nie. Und in den eigenen Wänden wirkt das Ganze noch | |
seltsamer: zur Musik den eigenen Topfpflanzen zunicken? Insofern wäre eine | |
solche Virtual-Reality-Brille dem Fun-Faktor durchaus zuträglich, etwa | |
durch eine Simulation echten Club-Lebens. | |
Abgesehen davon geben Die Ärzte mit diesem schrammligen Song aus ihrem | |
Homeoffice – alle drei haben sich in ihr häusliche Arbeitszimmer | |
zurückgezogen und sind über Handykamera zusammengeschaltet – noch ein paar | |
tröstende Worte mit: „Das bisschen Quarantäne ist nicht die schlimmste | |
Sache der Welt“. Naja, stimmt wohl: Schlimmer geht immer. | |
[7][„Everyday is like Sunday“] sang einst Morrissey. Man wollte den | |
rechtsradikalen Griesgram ja eigentlich nie wieder zitieren. Doch dieser | |
Klassiker schleicht sich dieser Tage einfach immer wieder in die | |
Echokoammer im Kopf. So entleert und sonntagmorgendlich hat man unsere | |
Stadt schließlich nie gesehen. | |
Einen Sound, der besser als erwähnte Clubmucke zum Zustand dieser | |
entschleunigten Introspektion passt, schenken uns Tobias Vethake alias | |
[8][Sicker Man] & [9][Kiki Bohemia] mit ihren „Cleansing Drones for Locked | |
Down Homes“. Seit dem Shutdown spielen die beiden jeden Abend um 21 Uhr | |
live ein neues Stück zwischen Improvisation und Psychpop, verfolgen lässt | |
sich über ihre Facebook-Seiten. | |
## Meditation und Trost | |
Die beiden nennen das Ganze ein „experimentelles, musikalisches Ritual aus | |
dem heimischen Studio. Meditation, Gebet, Selbstvergewisserung, Trost und | |
Mittel der geistigen Hygiene in Zeiten des Ausnahmezustands“. Am jeweiligen | |
nächsten Tag darf man die Stücke für Hausgebrauch herunterladen; bestens | |
geeignet sind sie unter anderem für Spaziergänge durch die leere Stadt. | |
Echte Kopfhörermusik eben. | |
Einen gebündelten Überblick darüber, was es sonst noch so gibt in der | |
Stadt, zur Kinderbespaßung, auf Konzertbühnen oder an Comedy-Orten, bietet | |
das Portal [10][www.berlinalive.de]. Da findet sich etwa ein Hinweis auf | |
[11][The Razzzones], für alle jene, die in der häuslichen Isolation den | |
Klang fremder Stimmen vermissen. Die vier Beatboxer holen faszinierende | |
Sounds aus ihren Mündern, live zu erleben ist das am Freitag aus dem | |
[12][Varieté Salon der ufaFabrik], um 20.30 Uhr. | |
Früh am gleichen Tag darf man zwischen 17 und 19 Uhr auf Instagram dem | |
Minifestival [13][#indieselbstisolation] beiwohnen, veranstaltet vom Label | |
unserallereins. Es gibt knackige 20-Minuten-Slots aus diversen Wohnzimmern, | |
unter anderem mit den Indiepoppern Sebastian Block oder Sinu. | |
Und wer es im echten Leben noch nie in die Berliner Philharmonie geschafft | |
hat, dem machen die Berliner Philharmoniker mit ihrer [14][Digital Concert | |
Hall] aktuell ein besonders niedrigschwelliges Angebot. Für einen Monat | |
darf man kostenfrei auf das gesamte Angebot des Portals zugreifen. | |
Unter anderem lässt sich da das letzte Konzert nachhören, das am 12. März | |
in der Philharmonie stattfand, mit Sir Simon Rattle als Chefdirigent – | |
schon ohne Saalpublikum, aber immerhin mit Orchester und acht | |
eindrucksvollen Sänger*innen von den Neuen Vocalsolisten Stuttgart, die ein | |
großes Stück Neuer Musik vortragen: Luciano Berios „Sinfonia“. Langweilig | |
dürfte einem in der Digital Concert Hall nicht werden, über 600 | |
Orchesterkonzerte der letzten zehn Jahr sind dort archiviert. | |
## Ein Herz für Abseitiges | |
Und auch wenn man sich gerade sehr aus der Zeit gefallen fühlt: Irgendwann | |
wird es auch wieder anders, irgendwann wird man wieder mit fremden Menschen | |
dicht an dich in einem muckeligen Club stehen. Und damit dann noch Gutes | |
stattfinden kann, darf man auch schon mal Vorschuss gewähren: | |
Einer der tollsten Konzertveranstalter Berlins, der umtriebige Ran Huber, | |
der mit seine One-Man-Agentur [15][amSTARt] seit über 20 Jahren mit großen | |
Herz alles Entzückende und Abseitige fördert, hat eine Crowdfundingkampagne | |
ins Leben gerufen. Unter [16][www.startnext.com/amstart-berlin] kann man | |
spenden. Die eine Hälfte geht an Künstler, deren gebuchte Gigs aktuell | |
nicht stattfinden können, die andere soll das Überleben der Agentur | |
sichern. | |
Und auch wenn die [17][„Sound der Stadt“-Kolumne] im gedruckten [18][taz | |
plan] gerade pausiert: natürlich hat die Stadt im Moment einen eigenen | |
Sound, einen ziemlich eigenen sogar, den man genießen sollte. Wenig | |
Verkehrslärm, aber viel Vogelgezwitscher. Und ab und zu ein*e | |
Straßenmusiker*in, der/die scheinbar nur für sich selbst spielt: etwa die | |
tolle Dudelsackspielerin letztes Wochende im Tiergarten. Mit drei | |
Zuschauern, die einen Mindestabstand von 30 Metern befolgten. Aber große | |
Freude daran hatten. | |
2 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=t_s6waEUTbI | |
[2] https://unitedwestream.berlin/ | |
[3] https://stiftung-seenotrettung.org/ | |
[4] https://www.schwuz.de/ | |
[5] https://klunkerkranich.org/ | |
[6] http://water-gate.de/ | |
[7] https://www.youtube.com/watch?v=d0LeL9BUPtA | |
[8] https://www.facebook.com/sickermanberlin/ | |
[9] https://www.facebook.com/Kiki-Bohemia-211218295621382/ | |
[10] https://www.berlinalive.de/ | |
[11] https://razzz.de/the-razzzones/ | |
[12] https://www.ufafabrik.de/en/19145/the-razzzones.html | |
[13] https://www.facebook.com/events/668131967279903/ | |
[14] https://www.digitalconcerthall.com/de/home | |
[15] http://www.amstart.tv/ | |
[16] https://www.startnext.com/amstart-berlin | |
[17] /!5641774/ | |
[18] http://download.taz.de/tazplan.pdf | |
## AUTOREN | |
Stephanie Grimm | |
## TAGS | |
taz Plan | |
Sound der Stadt | |
United We Stream | |
berlinalive | |
taz Plan | |
Kolumne Berlinmusik | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
taz Plan | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Kulturpolitik | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Sommerliches Festival made in Berlin: Bewegung im Stillstand | |
Anstelle der „Wassermusik“ bringt das HKW in diesem Jahr mit „20 Sunsets�… | |
Künstler*innen aus Berlin zusammen. Das Programm kann sich sehen lassen. | |
Neue Musik aus Berlin: Gegen den Coronafrust | |
Mit dem Sampler „Zurück in die Zukunft“ sammeln 47 Bands Geld für einen | |
feinen Berliner Club. Und JJ Weihls schubst uns in eine | |
Synthie-Parallelwelt. | |
Berliner Clubs in Corona-Zeiten: Erfolgreiche Anti-Infektionskultur | |
300.000 Euro Spenden hat das Clubbündnis United We Stream mit seinen | |
Live-DJ-Sets eingespielt. Das Programm wird um ein Debattenformat | |
erweitert. | |
Berliner Kultur im Corona-Exil: Kultur ist die beste Impfung | |
Während sich die Mehrheit noch hypnotisieren lässt vom Krisen-Gerede, | |
machen Berlins Kulturszenen ernst und explodieren vor Kreativität. | |
Clubs in der Coronapause: Nachtleben im Ausnahmezustand | |
Der Berliner Senat hat das Nachtleben gestoppt, um eine schnelle | |
Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Wie gehen Clubs mit der | |
Zwangspause um? | |
Honorarausfälle durch Corona: Bedroht mit existenzieller Wucht | |
Die Unruhe in der Kulturszene ist groß: Der Honorarausfall durch Corona | |
trifft eine Gruppe, die auch ohne Ausnahmezustand bereits prekär lebt. |