| # taz.de -- Hilfe für Bedürftige in Berlin: Anstand mit Abstand | |
| > Im Wedding gibt der Verein Menschen helfen Menschen weiter | |
| > Lebensmittelspenden direkt ab. Gründer Horst Schmiele glaubt, dass | |
| > Begegnung jetzt nottut. | |
| Bild: In den Räumen von Menschen helfen Menschen, im Hintergrund Gründer Hors… | |
| Berlin taz | Um die Mittagszeit rauscht an der Wollankstraße im Wedding der | |
| Verkehr. Es ist laut. Ein Frühlingstag, der hier nicht so recht lieblich | |
| sein will. Vor einem 70er-Jahre-Bau mit einem Ladenlokal im Erdgeschoss | |
| stehen Leute in einer Schlange. Ein paar ziehen Trollies, andere tragen | |
| große Taschen. Hier gibt der Verein „Menschen helfen Menschen“ | |
| Nahrungsmittel an Bedürftige ab. Horst Schmiele, der Vorstand des Vereins, | |
| erklärt gerade einem jungen Mann mit Hund, dass die Essensausgabe trotz | |
| Corona hier vor Ort weiterläuft. | |
| Die Schwächsten der Gesellschaft mit Nahrungsmitteln zu versorgen ist in | |
| Zeiten des Sozialen-Distanz-Gebots kompliziert gewornden. Am Bahnhof Zoo | |
| etwa muss die Kantine der Bahnhofsmission geschlossen bleiben. Stattdessen | |
| werden jetzt Essenspakete durch ein Fenster gereicht. Die Berliner Tafel | |
| hat den größten Teil ihrer Essensausgabe auf Lieferservice ins Haus | |
| umgestellt. Die Klienten müssen ihren Bedarf vorher bei der Gemeinde | |
| anmelden und werden per Kurier beliefert. Das Helfen, so sieht es aus, geht | |
| in Berlin auf Abstand. | |
| Horst Schmiele will aber, dass es nach wie vor möglichst direkt geschieht. | |
| Und zwar in der Wollankstraße. Im Laden, im Hof und auf der Straße. Er | |
| will, dass die Leute kommen können. Indem der Verein Essen, das in | |
| Discountern abgeschrieben wurde, einsammelt und in vorgepackten Tüten für | |
| einen Euro an Bedürftige weiterreicht, arbeitet er nach demselben Prinzip | |
| wie die Laib-und-Seele-Stationen der Berliner Tafel. | |
| Dabei ist er kein Konkurrenzverein, wie schon manchmal geschrieben wurde. | |
| Er ist viel kleiner und ganz anders. Wenn die Tafel ein Containerschiff | |
| wäre, wäre „Menschen helfen Menschen“ ein Segelboot. Versorgen die Tafeln | |
| bundesweit 1,65 Millionen Menschen mit Essen, erreicht „Menschen helfen | |
| Menschen“ mit drei Standorten in Berlin etwa 2.000 Menschen im Monat. | |
| Vor 16 Jahren wurde der Verein im Wedding gegründet. Er wurzelt hier und | |
| ist eine sehr typische Weddinger Pflanze. Als Schmiele mit allem anfing, | |
| ging es ihm darum, Menschen wie denen in ihrer Weddinger Nachbarschaft zu | |
| helfen, erzählt er. Eigentlich war es seine Frau Sabine, die die Idee dazu | |
| hatte. Von Fotos an der Bürowand lacht sie die Besucher sehr lebensbejahend | |
| an. Blond, stark geschminkt, sehr präsent. Als wollte sie jederzeit einen | |
| Ball fangen, der mit hoher Geschwindigkeit kommt. | |
| ## Helfen im eigenen Umfeld | |
| Sabine Schmiele, erst Blumenverkäuferin, hatte dann bei der Berliner Tafel | |
| gearbeitet, die damals noch in erster Linie soziale Einrichtungen mit | |
| Lebensmitteln unterstützte. Ihr Gedanke war, Lebensmittel direkt an | |
| Bedürftige abzugeben. Horst Schmiele sagt: „Wir haben da eine Lücke | |
| gesehen: Wir kannten viele, die hier leben, die ihre Kinder nicht gesund | |
| ernähren können, die aber nicht unbedingt obdachlos sind oder in sozialen | |
| Einrichtungen leben. Und wir kamen selbst aus diesem Umfeld. Wir sind beide | |
| hier aufgewachsen. Ich hatte gerade meinen Job im Tiefbau verloren und war | |
| arbeitslos. Und da machte ich gleich mit.“ | |
| Zu siebt gründeten sie 2004 den Verein. Danach folgt eine lange Geschichte, | |
| in der Sabine Schmiele ihr handwerkliches Geschick und ihr Talent als | |
| Netzwerkerin und Fundraiserin entdeckt. In der die Vereinsmitglieder mit | |
| ihren privaten Autos Essen von Discountern holen und zunächst auf | |
| Parkplätzen verteilen. In der sie Räume auftun, renovieren, wieder aufgeben | |
| müssen und schließlich ihre jetzigen Räumlichkeiten ausbauen. In der | |
| dauernd improvisiert wird. In der Sabine Schmiele im Jahr 2016 nach kurzer | |
| schwerer Krankheit stirbt und ihr Mann, vielleicht gerade ihr zu Ehren, | |
| umso hartnäckiger weitermacht. | |
| Horst Schmiele wirkt etwas müde, aber nicht so, als wollte er sich | |
| unterkriegen lassen. Er trägt einen Schnurrbart. Das Haar, das auf den | |
| Fotos noch in Dauerwellen liegt, ist heute fast glatt. | |
| Über dem Laden in der Wollankstraße sind mehrere Schilder angebracht, die | |
| Schmieles Sohn gemacht hat: „Soziales Zentrum MHM“, „Kleiderkiste“, | |
| „Begegnungsstätte“, „Mappi-Station“ und Hopla-Shop“. Denn das Angebo… | |
| Vereins umfasst noch mehr als die Essensausgabe. Zum Beispiel können | |
| finanzschwache Eltern für kleines Geld gute Schulranzen erstehen. In der | |
| „Kleiderkiste“ kann man sich günstig einkleiden. Die Tür des Ladenlokals | |
| sieht aus, als hätte sie bessere Zeiten gesehen. | |
| Wer eintritt, gelangt in ein Labyrinth. Zunächst ist da der „Hopla-Shop“ | |
| mit Lebensmitteln und Tausenden anderen Dingen – von Hundefutter über | |
| Spielzeug bis hin zu Krücken, alles für Minibeträge zu erstehen. Dort packt | |
| ein Mann mit Atemschutzmaske für eine junge Frau gerade Eier, einen | |
| Salatkopf und – tatsächlich – einen bunten Tulpenstrauß – ein. Dahinter | |
| folgen die „Begegnungsstätte“ mit einem langen Tisch, wo die Gäste | |
| normalerweise auf ihre Essenstüten warten, diverse Büros und das Lager. | |
| Wohin man auch schaut: Alles sieht sehr privat aus. Hier baumelt ein | |
| Teddybär von der Decke, dort hängen Fotos und Auszeichnungen an der Wand. | |
| Überall stapeln sich Dinge. Allerdings sind die Innenräume – bis auf den | |
| Laden – heute menschenleer. Das muss so sein. Nur der Laden darf geöffnet | |
| sein, weil er Lebensmittel abgibt. | |
| Immer nur ein Kunde darf hinein. Die draußen warten, werden nacheinander | |
| aufgerufen. Die Abgabe der Tüten findet im Hof statt. Das ganze Leben in | |
| und um „Menschen helfen Menschen“ hat sich auf die Straße verlagert. Eine | |
| ältere Dame fragt Schmiele nach dem Preis für alle Folgen einer Serie auf | |
| DVD. Es sind 5 Euro. Weil sie es ist. | |
| Horst Schmiele hat entschieden, seine Essenausgabestellen offen zu halten. | |
| Denn er möchte, dass sein Angebot niedrigschwellig bleibt. Ob diejenigen, | |
| die hier mit ihren Trollies warten, einen Antrag auf Lieferung von | |
| Lebensmitteln in ihre Privatwohnungen stellen würden? Er glaubt es kaum. | |
| Viele von ihnen kennt er persönlich. Hartz-IV-Empfänger sind darunter, auch | |
| Aufstocker, also „Working Poor“, denen das verdiente Geld nicht reicht. | |
| Außerdem war dem Verein immer wichtig, dass das Abholen der | |
| Lebensmitteltüten auch damit verbunden ist, anderen zu begegnen. Armut | |
| bedeutet in Deutschland ja oft gerade einen Mangel an Ansprache und an Raum | |
| mit entsprechenden Qualitäten. Gerade jetzt, wo sich die Menschen ins | |
| Private zurückziehen, fällt umso mehr ins Gewicht, wer ein angenehmes Nest | |
| fürs Corona-Cocooning hat – und wer nicht. Schmieles Klientel hat es eher | |
| nicht. Zwar muss die „Begegnungsstätte“ geschlossen bleiben. Aber vor der | |
| Station sieht man sich – auch wenn man eineinhalb Meter Abstand halten | |
| muss. | |
| Damit all das – trotz Corona – weiter möglich ist, muss der Verein mehr | |
| wuppen als sonst. Dabei ist er auf Einnahmen aus Spenden angewiesen. | |
| Schmiele, der Rentner ist und aus dem Verein kein Gehalt bezieht, muss | |
| zusehen, die Ausgaben für Miete und den Unterhalt der Fahrzeuge zu decken. | |
| Das ist jetzt schwer. Denn Firmen, die selbst um ihre Existenz fürchten, | |
| sind weniger spendabel. Und die „Kleiderkiste“, die sonst etwas Geld | |
| abwirft, darf derzeit nicht öffnen. | |
| Eine weitere Hürde: In normalen Zeiten unterstützen „Zusatzjobber mit | |
| Mehraufwandsentschädigung“ – im Volksmund 1-Euro-Jobber – die täglichen | |
| Arbeiten im Verein. Jetzt hat das Arbeitsamt sie nach Hause geschickt. Das | |
| Fahren, das Packen und die Essensausgaben bewerkstelligen jetzt | |
| Freiwillige, die dafür nicht bezahlt werden. | |
| 14 Apr 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Tina Veihelmann | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Tafel | |
| Spenden | |
| Wedding | |
| Schwerpunkt Armut | |
| Berliner Tafel | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Berliner Tafel | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Berliner Tafel: Ein bisschen Wärme | |
| Die Berliner Tafel hat in Charlottenburg einen neuen Laden eröffnet. Das | |
| Besondere: Lebensmittel können gegen Trödel getauscht werden. | |
| Brauereien helfen mit Ethanol-Produktion: Zum Wohle der Gesellschaft | |
| Eine Weddinger Brauerei stellt neben Bier in der Corona-Epidemie nun | |
| Alkohol für Desinfektionsmittel und Masken her. | |
| Hilfe während Corona: Essen auf Rädern | |
| Die Ausgabestellen der Berliner Tafel mussten wegen der Corona-Krise | |
| schließen. Die Hilfe läuft aber trotzdem weiter | |
| Kinder und Corona: Generation „Kuss (ohne Corona)“ | |
| Viele Kinder sehen die aktuelle Situation relativ entspannt. Doch wie wird | |
| die Pandemie das Lebensgefühl dieser Generation prägen? | |
| Bedürftige leiden unter Corona-Virus: „Arme im Hintertreffen“ | |
| Weil so viele Menschen Lebensmittel hamstern, bekommt die Berliner Tafel | |
| bekommt nur halb so viel Spenden, sagt Tafel-Gründerin Sabine Werth. |