# taz.de -- Brauereien helfen mit Ethanol-Produktion: Zum Wohle der Gesellschaft | |
> Eine Weddinger Brauerei stellt neben Bier in der Corona-Epidemie nun | |
> Alkohol für Desinfektionsmittel und Masken her. | |
Bild: Brauereichef Martin Eschenbrenner | |
BERLIN taz | Da hat Martin Eschenbrenner den richtigen Riecher gehabt. | |
Bereits Ende Februar kaufte er die ersten Einwegfässer für den Fall, dass | |
das Coronavirus nach Deutschland kommen würde und seine Brauereigaststätte, | |
die eigentlich das ganze Jahr über geöffnet ist, schließen müsste. Mit den | |
Fässern könnte er zumindest den Außer-Haus-Verkauf des selbst gebrauten | |
Biers etwas hochfahren. | |
Sechs Wochen später, Mitte April, sitzt Eschenbrenner, kahler Kopf, grauer | |
Stoppelbart, rotes T-Shirt und hochgeschlagene Hose, an einem jener | |
frühlingshaften Tage, die nun wirklich zum gemeinsamen Trinken einladen, | |
alleine in seinem geschlossenen Biergarten. Alles kam so, wie es ihn sein | |
Bauchgefühl schon lange hat ahnen lassen. | |
Im März war das Eschenbräu bereits gut gefüllt. Der Brauereibesitzer fuhr | |
gerade Rennrad, da riefen die Mitarbeitenden an: Man müsse die Gaststätte | |
schließen, es sei einfach nicht möglich, die Sicherheitsabstände zwischen | |
den Gästen und dem Personal einzuhalten. Am Abend folgte die | |
Senatsverordnung, Gaststätten für den Publikumsverkehr zu schließen. | |
Kurz darauf war das Eschenbräu dicht und für den Chef und seine | |
Mitarbeitenden begann mit der Schließung ein echter Einschnitt. Das | |
Personal setzte sich nach der Kneipenschließung zusammen und besprach die | |
Bedarfe der einzelnen Mitarbeitenden. Sie entschieden, dass die | |
Werkstudenten die Außer-Haus-Verkauf-Schichten übernehmen und weiter Bier | |
verkaufen. Es ist wohl der erste Knick in der Unternehmensgeschichte der | |
Brauerei. Eschenbrenner gewann als Student bereits ein Gründerstipendium | |
und eröffnete 2001 damit den Biergarten im Keller des Innenhofs eines | |
Weddinger Studierendenheims. Das Eschenbräu war bis zur Pandemie eine der | |
beliebtesten Kneipen im Wedding. Auch wenn im Biergarten bis zu 200 | |
Menschen sitzen können, reichte der Platz an vielen Abenden kaum aus. | |
## 20 Mitarbeitende | |
Die Brauerei hat 20 Mitarbeitende: zwei Brauer und 18 Menschen in der | |
Gastronomie, davon fünf Werkstudenten. „Die Gehälter sind | |
überdurchschnittlich und der Gewinn ist gut“, sagt Eschenbrenner. Doch nun, | |
in der Coronakrise, lastet die Verantwortung auf ihm: „Ich kann kaum noch | |
durchschlafen und wache zurzeit morgens um 5 auf, weil mich diverse Ideen | |
umtreiben.“ Denn er weiß: Am schwierigsten wird es nun für die | |
Mitarbeitenden, denn die „sind nicht alle mit Speck ausgestattet“, wie es | |
Eschenbrenner ausdrückt. | |
Er grübelt und sieht im Fernsehen den Trigema-Chef Wolfgang Grupp, | |
schwäbischer Textilfabrikant, der erklärt, dass er statt Kleidung jetzt | |
Atemmasken produziere. Kurz darauf stellt auch er seine Produktion um. | |
Neben Whiskey stellt Eschenbrenner 80-prozentigen Alkohol für | |
Desinfektionsmittel her und verkauft es zum Selbstkostenpreis für 5,60 Euro | |
pro Liter. Seine beiden Brauer arbeiten nach wie vor in Vollzeit. Einen | |
Teil der Belegschaft schickt Eschenbrenner in Kurzarbeit, die | |
Werkstudierende bleiben davon ausgeschlossen. | |
„Wir haben alle möglichen Jobs zusammengekratzt, um weiter Leute zu | |
bezahlen“, sagt Eschenbrenner. Zusätzlich besorgt er Material, nimmt 1.000 | |
Euro in die Hand und entlohnt eine Woche lang seine Angestellten dafür, | |
Mundschutze zu basteln. Die Mitarbeitenden finden die Idee so gut, dass sie | |
sich seitdem weiter zum Mund-Nasen-Schutze-Nähen treffen. Seitdem | |
verschenkten sie über 3.000 Masken an soziale Einrichtungen im Kiez. | |
Auch Mariana Perez-Garcia ist heute zum Maskenbasteln gekommen. Sie ist als | |
Werkstudentin angestellt. In dieser Zeit ein schlechter Status, ausgenommen | |
von der Kurzarbeit, ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld II und keine | |
Coronahilfen der Bundes- oder Landesregierung. Zurzeit sind die reduzierten | |
Schichten im Eschenbräu ihr einziges Einkommen. | |
„Ich mache mir schon Gedanken, aber keine Sorgen.“ Das liege vor allem an | |
ihrem Umfeld: „Tolle, solidarische Leute, dank denen ich mich total sicher | |
fühle.“ Sie meint auch die Kolleg*innen. „Die Arbeitsverhältnisse hier si… | |
so gut, weil die Belegschaft das fordert. Wir sind aktive Menschen, die | |
unsere Rechte kennen. Hier sind viele, die schon sehr lange hier arbeiten | |
und wissen, wie der Laden läuft, und auf Augenhöhe mit dem Besitzer reden“, | |
sagt Perez-Garcia. | |
## Außer-Haus-Verkauf | |
Eschenbrenner selbst sieht das anders. Das Personal hätte zwar viel | |
Mitsprache und dessen Vorschläge viel Gewicht, schließlich kennen die | |
Mitarbeitenden den täglichen Betrieb am besten. Doch für die guten | |
Arbeitsbedingungen sorge vor allem er selbst: „Gefordert wird wenig, die | |
bekommen ja von meiner Seite schon alles: Spätzulage, Nachtzulage, | |
Gewinnbeteiligung bei guten Umsätzen.“ So erkläre sich die Fluktuation von | |
„quasi 0“ unter den Bediensteten. Perez-Garcia hingegen betont, dass sie | |
neben den guten Arbeitsbedingungen vor allem wegen der Kollegialität und | |
Selbstorganisation im Personal gerne im Eschenbräu arbeitet. | |
Als Mariana Perez-Garcia um 15 Uhr heute den Außer-Haus-Verkauf öffnet, ist | |
die Schlange vor der Kneipe bereits lang. Ab 10 Liter Bier gibt es eine | |
Rolle Klopapier dazu: klassischer Kneipenhumor. Davon gibt es im Weddinger | |
Braukeller ebenso reichlich wie die intellektuellen Diskussionen unter | |
Studierenden oder die Touristen auf der Suche nach dem Craftbier – | |
normalerweise. Die Kneipe bleibt leer, stattdessen prüft eine Zollbeamtin | |
die Neuproduktion des Desinfektionsmittels, während an der Theke die Gäste | |
warten.Stammgast Kati, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will, | |
kommt trotzdem, um die Kneipe zu unterstützen. Es sei aber nicht das | |
Gleiche wie das Zusammensitzen mit Freunden: „Das fehlt, klar.“ Sie | |
verbringt hier eigentlich regelmäßig ihren Feierabend und kommt mit ihrem | |
Mann und dem Hund vorbei. Sie mögen es, „nach einer Fahrradtour unter Birke | |
und Eiche“ im Biergarten zu sitzen und die urige Abendbrot-Atmosphäre zu | |
genießen. | |
„Das ist ein Treffpunkt. Man lernt Menschen aller Altersschichten kennen.“ | |
An den großen Biergartentischen kommen die Menschen zusammen und so mancher | |
Stammgast hat hier sein richtiges Zuhause, erzählt der Stammgast weiter und | |
man ahnt, wie sehr ihr das in Zeiten der Pflichtisolation fehlt. | |
In seinem Kreis ist das Eschenbräu systemrelevant. Für die Stammgäste und | |
das Personal ebenso wie die Zulieferer, von denen derzeit keine Brezeln und | |
Flammkuchen benötigt werden. Auch die externen Reinigungskräfte haben im | |
Eschenbräu erst mal keine Arbeit mehr. Die Kneipe muss nicht mehr extern | |
gesäubert werden, die Theke putzen die Angestellten selbst. Es ist | |
schwierig, in diesen Zeiten alles richtig zu machen – aber das Eschenbräu | |
gibt sich Mühe. | |
16 Apr 2020 | |
## AUTOREN | |
Fabian Grieger | |
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