| # taz.de -- Beistand in der Corona-Krise: Der heiße Draht ins Amt | |
| > Quarantäne-Team und Corona-Hotline haben sich in Steglitz-Zehlendorf | |
| > schnell eingespielt. Aber geöffnete Schulen mag sich dort niemand | |
| > vorstellen. | |
| Bild: „Sie dürfen die Quarantäne jetzt verlassen“ – Telefondienst im Ge… | |
| Die Telefonanrufe kommen wellenartig bei der Corona-Hotline im Steglitzer | |
| Rathaus an. Eine solche Welle war rund um das erste Aprilwochenende. „Da | |
| ist die neue Reiserückkehrverordnung in Kraft getreten, das haben wir | |
| direkt gemerkt“, sagt Birgit Deininger, die seit Mitte März Teil des | |
| Corona-Hotline-Teams ist. Laut Verordnung müssen Menschen, die per Flugzeug | |
| nach Berlin einreisen, sich seitdem in eine zweiwöchige Quarantäne begeben. | |
| „Da haben wir dann Student*innen beraten, die ihr Auslandssemester | |
| abgebrochen haben, oder Urlauber, die noch vor der Coronakrise aufgebrochen | |
| sind, aber auch noch ein paar Geschäftsreisende“, sagt Deininger. Wie die | |
| anderen hier arbeitet sie normalerweise als Therapeutin an einer | |
| Förderschule im Bezirk. | |
| „Wir hatten am 16. März noch große Dienstbesprechung, da haben wir das | |
| diskutiert. Am nächsten Tag haben wir losgelegt“, sagt Ariane Orduhan, die | |
| Leiterin der Hotline. Nun beantwortet das komplette Team der | |
| Schultherapeut*innen in der von einem Tag auf den anderen eingerichteten | |
| Telefonzentrale die Fragen von Bürger*innen zum Coronavirus. Mal 120, mal | |
| 160 Anrufe erreichen sie nun am Tag. | |
| Eine Woche davor ging es in den Gesprächen noch viel mehr um grundsätzliche | |
| Fragen. Viele hätten auch angerufen, weil sie sich gern testen lassen | |
| wollten. „Wir fragen dann erst mal ab, ob die Anrufer*innen Kontakt zu | |
| einer infizierten Person hatten, wie lang und wie nah der Kontakt war und | |
| ob sie Symptome haben“, sagt Deininger. „Oft beruhigen wir dann auch und | |
| bestärken die Anrufer*innen dann darin, dass eigentlich nichts sein kann.“ | |
| ## Auch Ärzt*innen rufen an | |
| Denn getestet wird derzeit nur, [1][wer nachgewiesen Kontakt] hatte: | |
| mindestens 15 Minuten und näher als 2 Meter ist hier der Maßstab, nur dann | |
| wird das Gesundheitsamt auch tätig. Die Mitarbeiterinnen der | |
| Telefonzentrale haben dazu systematische Checklisten und Fragebögen | |
| entwickelt, die sie mit den Anrufer*innen durchgehen. In den ersten Tagen | |
| änderte sich die Lage fast stündlich. Inzwischen „haben wir seit einer | |
| Woche stabile Protokolle“, sagt Leiterin Orduhan. | |
| Auch sie arbeitet normalerweise im therapeutischen Kinder- und | |
| Jugendgesundheitsdienst des Bezirks. Der therapeutische Hintergrund helfe | |
| ihnen bei ihrer neuen Aufgabe, sagen die Mitarbeiter*innen. „Wir vermitteln | |
| hier viel Wissen, beantworten auch Fragen zum Quarantäne-Geld oder zu | |
| Kontakten, wir haben erstaunlich viele Ärzt*innen, die anrufen, oder | |
| medizinisches Personal, die zum Teil überfordert sind.“ | |
| Während Deininger über ihre Arbeit spricht, bekommt ihre Kollegin am | |
| Nebentisch einen Anruf. Nach dem ersten Gesprächswechsel wird deren Stimme | |
| etwas lauter und bestimmter. „Bitte, bleiben Sie ruhig“, sagt sie, fischt | |
| sich einen der Fragebögen aus der Tischablage und fragt den*die Anrufer*in | |
| erst mal nach dem Namen und der Telefonnummer. | |
| Deininger findet diesen Gesprächsverlauf nicht ungewöhnlich. „Wir leisten | |
| hier auch sehr viel psychosoziale Beratung“, sagt sie „In etwa einem | |
| Drittel der Gespräche geht es darum, den Anrufer*innen Angst zu nehmen oder | |
| sie zu beruhigen“, einige riefen auch an, um sich über das Verhalten von | |
| Nachbar*innen zu beschweren, dass etwa jemand hustend durch den Hausflur | |
| gegangen sei. | |
| ## Die erste Quarantäne seit Jahrzehnten | |
| Carolina Böhm, Stadträtin für Gesundheit und Jugend in Steglitz-Zehlendorf, | |
| freut sich, mit welchem Engagement ihre Schultherapeut*innen die neue | |
| Aufgabe wuppen. „Wir sammeln gerade sehr viel Wissen. Unsere Arbeit hier | |
| werden wir auf jeden Fall noch inhaltlich und statistisch auswerten“, sagt | |
| sie. Ob denn die Fragebögen, die ihr Team entwickelt hat, auch in anderen | |
| Bezirken verwendet werden könnten? Ob es da ähnliche Fragebögen gäbe? „Um | |
| sich da im Detail auszutauschen, dazu bleibt gerade im Alltag gar keine | |
| Zeit“, sagt sie. | |
| Mehrmals täglich bringt eine „Läuferin“ die ausgefüllten Fragebögen hin… | |
| ins nahegelegene Gesundheitsamt. Die Verantwortlichen dort kennen | |
| eigentlich nichts anderes als den Ausnahmezustand: die Amtsärztin Eva | |
| Bielecki hatte sich ab Oktober einarbeiten lassen, aber offiziell ist sie | |
| selbst und auch die Ärztin für Hygiene und Umweltmedizin erst seit März im | |
| Amt. | |
| „Wir haben noch mit unseren Vorgänger*innen überlegt, wann hier im Bezirk | |
| zuletzt eine Quarantäne angeordnet wurde“, sagt Bielecki. „Das ist wohl in | |
| zwanzig Jahren einmal passiert. Inzwischen machen wir das jeden Tag | |
| mehrmals“, sagt sie. „Bei unserem ersten Fall, einem Ehepaar, haben wir uns | |
| noch gefragt: ob die überhaupt auf uns hören und das jetzt einhalten?“ | |
| Überprüfen ließe sich das nicht – und das sei auch gar nicht ihr Ziel. „… | |
| vertrauen in die Bürger*innen, wir klären auf und appellieren an ihre | |
| Vernunft“, sagt Bielecki. „Dieses gegenseitige Vertrauen finde ich auch | |
| wichtig für ein Gelingen der Maßnahmen.“ | |
| Ob ihnen [2][eine App die Arbeit erleichtern] würde? Bielecki wägt ab. „Mit | |
| einer App wären wir schneller, aber die Kontakte wären für uns schwerer | |
| nachvollziehbar“, sagt sie. „Und eine Kontaktbeschränkung könnte die App | |
| wohl nicht ersetzen.“ | |
| ## Mit Symptomen vier Tage länger | |
| Rund 500 Menschen seien in Steglitz-Zehlendorf derzeit in Quarantäne oder | |
| häuslicher Isolation. Für das Gesundheitsamt bedeutet das auch hier vor | |
| allem eines: Zettel ausfüllen und telefonieren. Mit den ersten | |
| Quarantänefällen hätten sie noch täglich gesprochen, auch um zu zeigen, | |
| dass sie die Menschen nicht vergessen hätten, und um zu klären, ob sie | |
| Hilfe beim Einkaufen brauchen. Das sei nun nicht mehr zu schaffen, aber die | |
| Betroffenen könnten sich jederzeit melden. | |
| „Wir rufen die Menschen jetzt am Ende der Quarantänezeit an und fragen sie, | |
| ob sie Symptome haben“, erklärt Katrin Schönfeld, im normalen Leben | |
| Ergotherapeutin an einer Schule, die nun im Gesundheitsamt Telefondienst | |
| macht. [3][Die Menschen würden ganz unterschiedlich mit der Quarantäne] | |
| umgehen, erzählt sie. | |
| „Einige genießen die Zeit zu Hause“, bei anderen sei die Einsamkeit auch | |
| durchs Telefon spürbar. „Bei Symptomen verlängern wir die Quarantäne um | |
| vier Tage und gucken dann noch mal“, sagt sie. Die vier Tage sind | |
| pragmatisch gerechnet: wer aus der Quarantäne entlassen werden möchte, | |
| müsse zwei Tage symptomfrei sein. „Die meisten sind eh übervorsichtig.“ | |
| ## Zunehmend Risikopatient*innen infiziert | |
| Die Ärztin für Hygiene, die nun die Quarantäneteams leitet, sieht bereits | |
| einen deutlichen Effekt des Kontaktverbots. „Anfangs mussten wir bei einer | |
| infizierten Person noch etwa zwanzig Kontaktpersonen anrufen und in | |
| Quarantäne schicken“, sagt sie. „Inzwischen sind es nur noch etwa drei | |
| Kontaktpersonen. Das hilft uns ungemein.“ Anfangs – das war vor den | |
| Schulschließungen Mitte März. | |
| „Was passiert, wenn die Schulen wieder aufmachen – daran wollen wir gerade | |
| gar nicht denken“, sagt sie. Dem stimmt auch Gesundheitsstadträtin Böhm zu. | |
| Die Bundesregierung habe den richtigen Weg gewählt. „Wir sehen, dass doch | |
| auch noch öffentliches Leben stattfindet, und wir sehen, dass die | |
| Infektionen inzwischen weniger schnell steigen“, sagt sie. „Wenn wir es so, | |
| wie es gerade läuft, schaffen, dann haben wir es gut geschafft.“ | |
| Die neuesten Entwicklungen im Bezirk geben ihr aber auch Anlass zur Sorge. | |
| „Die Situation ändert sich gerade. Wir haben in den letzten Tagen [4][mehr | |
| Fälle bei Risiko-Patient*innen] und in Einrichtungen, gerade gibt es einen | |
| etwas größeren Ausbruch in einem Pflegeheim“, sagt Böhm. Es sei nicht | |
| vorauszusehen, wie sich das in den kommenden Wochen entwickle. „Wir sind | |
| gespannt auf die Maßnahmen nach dem 19. April“, sagt sie. Die Amtsärztin | |
| nickt zustimmend. Noch läuft alles einigermaßen kontrolliert. Aber alle | |
| warten ab. | |
| 9 Apr 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Uta Schleiermacher | |
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