# taz.de -- 20 Jahre Babyklappe in Hamburg: „Weil sie Leben rettet“ | |
> Vor 20 Jahren wurde in Hamburg die erste Babyklappe geöffnet. | |
> Sternipark-Leiterin Leila Moysich über niedrigschwellige Hilfe für Mütter | |
> in Not. | |
Bild: Hier sind Neugeborene in Sicherheit: Babyklappe in Hamburg | |
taz: Frau Moysich, warum braucht es Babyklappen? | |
Leila Moysich: Weil die Babyklappe Leben rettet. Nach 20 Jahren Erfahrung | |
mit dem Projekt Findelkind kann ich das mit aller Überzeugung sagen. | |
Kritiker wie die Organisation Terres des Hommes behaupten, die Zahl der | |
getöteten Neugeborenen sei durch Babyklappen nicht zurückgegangen. Sie | |
vermuten auch eine hohe Dunkelziffer. | |
Die vermeintlich hohe Dunkelziffer würde ich anzweifeln. Es ist sogar | |
beweisbar, dass die Zahlen rückläufig sind. In der Stadt Hamburg ist, seit | |
es die Babyklappe gibt, kein Kind mehr ausgesetzt worden, in 20 Jahren. | |
Wie kam es zu der Idee mit der Babyklappe? | |
Die Idee ist am Frühstückstisch unserer Familie im Spätsommer 1999 | |
entstanden. Damals sind in Hamburg in kurzer Zeit vier Kinder nacheinander | |
ausgesetzt worden, zwei von ihnen wurden tot aufgefunden. Wir dachten uns: | |
So etwas darf es nicht geben, dass Frauen in einer Stadt wie Hamburg in die | |
Situation kommen, dass sie ihr Kind allein auf die Welt bringen und | |
irgendwo hilflos zurücklassen, wo es zu Tode kommt. Es muss einen Raum | |
geben, wo eine Mutter ihr Baby sicher abgeben kann. Und so war die | |
Babyklappe geboren. Es stellte sich aber raus, dass wir schneller handeln | |
müssen. | |
Warum? | |
Am Nikolaustag 1999 wurde ein toter Säugling auf dem Sortierband einer | |
Hamburger Recyclinganlage gefunden. Wir sind dann noch im Dezember mit der | |
bundesweiten Notrufnummer 0800/45 60 78 9 gestartet. Dort können sich | |
Frauen melden, die allein, aus welchem Grund auch immer, ihr Kind gebären, | |
und nicht wissen, wo sie mit dem Baby hinsollen. Im Januar meldete sich die | |
erste Mutter. Unsere Kolleginnen haben sich mit ihr auf einem Parkplatz | |
südlich von Hamburg getroffen und von Autofenster zu Autofenster das Baby | |
übernommen. | |
Die erste Babyklappe wurde am 8. April 2000 in der Goethestraße geöffnet. | |
Wie reagierten die Hamburger Behörden? | |
Wir hatten mit den Behörden vorab Kontakt aufgenommen und geklärt, wie wir | |
verfahren, wenn ein Kind bei uns abgegeben wird. Zum rechtlichen Rahmen | |
sagte beispielsweise die damalige Justizsenatorin Lore Maria | |
Peschel-Gutzeit, dass der Straftatbestand der Kindesaussetzung nicht | |
gegeben sei, da bei der Babyklappe das Kind nicht in einer hilflosen | |
Situation ist, denn es stehen Menschen hinter dem Projekt, die sich | |
unmittelbar kümmern. Also mache sich die Frau nicht strafbar. | |
Nach vielen Diskussionen um die Babyklappe wurde erst 2014 die vertrauliche | |
Geburt gesetzlich verankert. Änderte das etwas am Angebot der Babyklappe? | |
In der Begründung zu diesem Gesetz steht, dass die vertrauliche Geburt eine | |
Ergänzung zu Babyklappe und anonymer Geburt darstellen soll. Damit ist | |
erstmals erwähnt, dass anonyme Geburten und Babyklappen rechtens sind. | |
Bei der vertraulichen Geburt hinterlegt die Mutter ihre Daten bei einer | |
staatlichen Stelle, die der Schweigepflicht unterliegt. Nach 16 Jahren kann | |
das Kind diese Daten einsehen. Wie beurteilen Sie das? | |
Die vertrauliche Geburt ist an Bedingungen geknüpft. Für viele Frauen ist | |
diese Hürde zu hoch. Es ist ihnen ja gelungen, die Schwangerschaft bis zur | |
Geburt vor ihrem gesamten Umfeld zu verheimlichen. Wenn eine Frau so etwas | |
auf sich nimmt, ist sie in einer Not, in einer absoluten Ausnahmesituation. | |
Dann sind wir darauf angewiesen, dass sie sich meldet. Sie muss den Schritt | |
tun. In dem Fall ist die bedingungslose Hilfe wie die anonyme Geburt oder | |
die Babyklappe die sichere Zutrittskarte. | |
Der deutsche Ethikrat kritisiert, dass dadurch das Recht des Kindes auf | |
Kenntnis seiner Herkunft verletzt wird. | |
Die Kinderrechtskonvention, die dann immer hinzugezogen wird, geht aber | |
noch einen Schritt weiter. Darin heißt es auch, dass das Kind ein Recht | |
darauf hat, von seinen leiblichen Eltern betreut zu werden. Und wenn man | |
dieses Ziel erreichen will, dass sich die Mutter doch noch für das Kind | |
entscheidet, dann ist es notwendig, ihr zunächst niedrigschwellige Hilfe | |
anzubieten, und ihr die Zeit zu geben, zu entscheiden, was sie möchte. | |
Wie viele Mütter entscheiden sich doch noch für ihr Kind? | |
Bei 800 anonymen Geburten, die wir bisher betreut haben, haben sich über 60 | |
Prozent der Mütter doch noch für ein Leben mit dem Kind entschieden. Nur in | |
27 Fällen sind die Mütter dauerhaft anonym geblieben, alle anderen haben | |
die Personendaten angegeben. | |
Wenden Kinder sich an Sie? | |
Wir haben zu einigen Kindern Kontakt, nicht zu allen. Überwiegend sind die | |
mit sich im Reinen. Aber für einzelne Kinder ist es schwer zu akzeptieren, | |
nicht zu wissen wer ihre leibliche Mutter ist. Sie projizieren das auf | |
sich: Was habe ich falsch gemacht, dass meine Mutter mich nicht haben | |
wollte? Den Kindern versuchen wir dann zu vermitteln, dass ihre Mütter ja | |
einen Weg auf sich genommen haben, sie wollten, dass es dem Kind gut geht. | |
Sie sind heute selbst Mutter von vier Kindern. Hat sich dadurch Ihr | |
Verständnis für die Frauen verändert, die ihre Kinder anonym abgeben? | |
Ich habe dieses besondere Gefühl der Mutterliebe kennengelernt. Dieser | |
Gedanke, dass sich Mütter diese Liebe verbieten, stimmt mich traurig. Da | |
muss jemand schon in einer ganz großen Not sein. | |
8 Apr 2020 | |
## AUTOREN | |
Juliane Preiß | |
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Schwerpunkt Coronavirus | |
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