# taz.de -- George-Arthur Goldschmidts neues Buch: Die Sprache des Todes | |
> Goldschmidt schreibt ein Deutsch von großer Schönheit. Sein neues Werk | |
> „Vom Nachexil“ kreist um Vertreibung und Heimweh. | |
Bild: Der Hauptbahnhof in Hamburg, 1930er Jahre | |
Er habe „das völlig überwunden“, betonte [1][Georges-Arthur Goldschmidt] | |
2014 in einem Gespräch im Hamburger KörberForum, das man sich auf YouTube | |
anschauen kann, kündigte im selben Atemzug aber an, „ein kleines Buch“ zu | |
schreiben, „ganz anders, ohne Trauma“, doch „wieder über dieselbe Frage�… | |
Darin schwingt eine Ambivalenz mit, die nahelegt, dass die „Frage“ | |
vielleicht doch nicht beantwortet ist, dass sie zumindest immer wieder neu | |
und anders gestellt werden muss. Wie sollte man auch überwinden, was | |
Goldschmidt erlebt hat und was Gegenstand fast aller seiner Bücher ist. | |
1928 in Reinbek bei Hamburg geboren, aufgewachsen in einem großbürgerlichen | |
Haushalt (der Vater war Oberlandesgerichtsrat) und erzogen als Protestant, | |
erfährt Goldschmidt als Zehnjähriger den existenziellen Bruch: Weil die | |
Familie den Nazis als jüdisch gilt und die Eltern begriffen haben, welche | |
Konsequenzen das haben kann, schicken sie die Söhne ins Exil, zuerst nach | |
Florenz, dann in ein Internat in den savoyischen Alpen. | |
Als Deutscher in Frankreich, Protestant in einem katholischen Internat und | |
als Jude, der versteckt werden muss, ist Goldschmidt einer Konstellation | |
ausgesetzt, die zu schizoiden Störungen prädestiniert. | |
## Verzwickte Lebenslage | |
In der Tat ist die Seelenlage des Zöglings unendlich verzwickt. Da er nicht | |
weiß, warum er einer so grausamen Situation ausgesetzt ist, konstruiert er | |
ein Selbstbild als „geburtsschuldig“, das sich verstärkt, als er begreift, | |
dass er anderen sein Überleben verdankt, Fremden, die ihr Leben für seines | |
aufs Spiel setzen, zum Beispiel Bauern, bei denen er versteckt wird. | |
In seiner 2001 erschienenen Autobiografie „Über die Flüsse“, dazu in sein… | |
teils von Peter Handke und Eugen Helmlé aus dem Französischen übersetzten, | |
teils auf Deutsch geschriebenen Erzählungen, von „Ein Garten in | |
Deutschland“ (1988) über „Die Absonderung“ (1991) bis zu „Der Ausweg“ | |
(2014), wiederholt Goldschmidt das Mantra dieser Biografie: das | |
Masochistische und Renitente seines Wesens, die drakonischen Strafexzesse | |
der Internatsleiterin, das fortwährende Erzählen als Mittel der | |
Selbstvergewisserung. | |
Die körperlichen Schmerzen dienen dazu, Selbstmitleid und Heimweh in den | |
Griff zu bekommen. Warum das nicht gelingen kann, warum immer wieder die | |
Notwendigkeit besteht, sich durch das Erzählen in Sicherheit zu bringen, | |
begründet das neue, kleine Buch. „Wer einmal ins Exil getrieben wurde, | |
kommt lebenslang nicht mehr davon ab“, lautet dessen erster Satz: Man ist | |
zu lebenslangem „Nachexil“ verurteilt. | |
Goldschmidt stellt einen Aspekt seiner Biografie in den Mittelpunkt, der | |
von größer Aktualität ist. Für Goldschmidt konzentriert sich das Trauma des | |
Exilanten auf den einen Moment, der das Leben in ein Vorher und ein Nachher | |
scheidet. In seinem Fall ist es der bewusst als endgültig wahrgenommene | |
Abschied von den Eltern auf dem Hamburger Hauptbahnhof am 18. Mai 1938: | |
„Man macht zum Beispiel eine Tür zu, steigt in einen Wagen; es ist von | |
außen gesehen eine unscheinbare, winzige Begebenheit, nach der aber alles | |
unwiederbringlich vorbei ist.“ | |
## Die Bilder der Heimat wachhalten | |
In diesem Augenblick lernt man „ein anderes Sehen, man zielt mit dem Blick | |
genau auf das, was man anschaut, man lernt es sich an“, geht es doch darum, | |
„die Bilder der Heimat in sich blickbereit wachzuhalten“. | |
Das mag eine ausgezeichnete Schule für einen angehenden Schriftsteller | |
sein, kann aber freilich keine Immunität gegen die chronische Krankheit des | |
Heimwehs schaffen, dieser „unheilbare Kummer“ ist das Schlimmste, was einem | |
Menschen widerfahren kann. | |
Ihm kommt fast nur noch die Scham nahe, davongekommen und privilegiert zu | |
sein, ein so glückliches Leben führen zu können, wie es Goldschmidt sich | |
aufbaute: Nach der Befreiung blieb er in Frankreich, studierte, wurde | |
Deutschlehrer, gründete eine Familie und etablierte sich zunächst als | |
Übersetzer, dann als auf Deutsch und Französisch schreibender Autor und | |
Essayist. | |
Wie fast jedes seiner Bücher ist auch „Vom Nachexil“ Dank und Hymne an das | |
zur „Leib- und Seelensprache“ gewordene Französisch, das ihm als Gegenpart | |
der „zur Todessprache gewordenen Muttersprache“ schnell zu einer neuen | |
Heimat wurde: „Er lernte die Sprache nicht, auf einmal war sie da, als wäre | |
sie schon immer seine Muttersprache gewesen.“ | |
## Ein Deutsch von unverwechselbarer Schönheit | |
Diese Bilingualität hat Goldschmidts Sensorium für Sprache geschärft, die | |
Spannung aus Nähe und Distanz zur deutschen Sprache dürfte ein Grund dafür | |
sein, dass Goldschmidt ein Deutsch schreibt, das in seiner Präzision und | |
Reflektiertheit einmalig, von unverwechselbarer Schönheit und | |
Begrifflichkeit ist, in der das Exil etwa zur „Selbstumstülpung“, zum | |
Leben in einer „Empfindungshülse“ zwingt. | |
So dicht, so konzentriert wie in seinem neuen Buch hat der mittlerweile | |
91-Jährige sein Leben noch nie erzählt, so frisch, so musikalisch | |
durchkomponiert. Auch mit dieser Ambivalenz ist schwer fertigzuwerden: dass | |
einer, der brutal aus der Heimat seiner Muttersprache vertrieben wurde, | |
diese „Frühaufsteher- oder Wanderersprache“ mit so viel Glanz beschenkt. | |
8 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.koerber-stiftung.de/mediathek/georges-arthur-goldschmidt-791 | |
## AUTOREN | |
Thomas Schaefer | |
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Literatur | |
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