# taz.de -- Corona macht soziale Unterschiede größer: Solidarisch unter uns | |
> Gestresste Eltern helfen sich gerne gegenseitig in der Coronakrise. Die | |
> neue Solidarität zeigt aber auch, wer die Ressourcen dazu hat und wer | |
> nicht. | |
Bild: Voll anstrengend, das zu-Hause-bleiben, wenn die Eltern auch noch Youtube… | |
Am letzten Schultag vor den Coronaferien kam mein großer Sohn mit einem | |
DIN-A4-Zettel nach Hause. Darauf standen ein paar Aufgaben für zu Hause | |
notiert, es folgte eine Mail der Schulleiterin: Die KlassenlehrerInnen | |
würden sich vor Ostern nochmal melden, ob man eventuell Lösungsaufgaben | |
brauche oder vielleicht noch ein paar Aufgaben mehr. Schöne Grüße, und | |
bleiben Sie gesund. | |
Ich muss zugeben, ich war leicht panisch. Ich sah nicht unbedingt, dass der | |
Zettel das Kind drei Wochen, also bis zum Fernziel Osterferien, ausreichend | |
beschäftigen würde. Und dass ich [1][keine Lust zum Homeschooling] haben | |
würde, wusste ich auch schon vor Corona. | |
Es soll ja Eltern geben, die jetzt regelrecht den Pädagogen in sich | |
entdecken (kein Aprilscherz). Ich gehöre definitiv nicht dazu. Ich habe mit | |
Mathe-Textaufgaben in dem Moment abgeschlossen, als ich meine letzte | |
Abi-Klausur feierlich in die Hände meines Mathelehrers legte, und ich | |
verspüre keinerlei Lust, mir jetzt plötzlich wieder welche auszudenken. | |
Zudem war unser Familienkalender von einem auf den anderen Tag voller | |
Kugelschreiber-Kreuze: Die Orte, wo man die Kinder für gewöhnlich hin | |
organisiert, die Musikschule am Donnerstag, der Sportverein am Freitag, | |
waren ja ebenfalls in der Corona-Zwangspause. Was zu tun übrig blieb, | |
passte jetzt also offenbar auf einen DIN-A4-Zettel. Und für den kleinen | |
Bruder war der Kalender quasi komplett blanko, weshalb ich ihn schon ein | |
wenig renitent (in Ermangelung seiner Sparringspartner in der Kita) durch | |
den Vormittag dümpeln sah. | |
Allerdings hatte ich, wie schon so oft, meine Mit-Eltern unterschätzt. Eine | |
Kita-Mutter schickt jetzt mehrmals pro Woche PDFs von eingescannten | |
Buchseiten zum Vorlesen „gegen die Langeweile“. Ein Vater schickte eine | |
Liste über den Klassenverteiler, darauf gleich „70 kreative Ideen gegen die | |
Langeweile“. Die Kita schickt pädagogische Arbeitsblätter zum Thema „Kör… | |
und Gesundheit“. | |
Im Kiez bei uns haben AnwohnerInnen Zettel an die Straßenbäume gehängt, mit | |
Aufgaben drauf: Unterscheide drei verschiedene Singvögel. Hüpf von hier bis | |
zum nächsten Baum auf einem Bein. So was. | |
## Die vergrößerte soziale Ungleichheit | |
Ich habe mich gefragt, warum ich beim Anblick der Zettel zum ersten Mal ein | |
wenig genervt war von diesem eigentlich sympathischen | |
Wir-kümmern-uns-umeinander-Ding. Diese Gefühlsregung, die doch auch ein | |
wenig überraschend kommt, weil man sonst hier im täglichen Nahkampf, ob im | |
Straßenverkehr („Ey, du Idiot!“), oder an der Kita-Garderobe („Wenn dein | |
Kind mein Kind noch einmal beißt, werden wir uns zu wehren wissen!“), nicht | |
unbedingt auf die Idee kommen könnte, dass die BerlinerIn von Natur aus ein | |
Menschenfreund wäre. | |
Ich glaube, was mich stört, ist, dass unter dem Deckmantel der Solidarität | |
die Ungleichheiten eigentlich krasser werden. Hier die Eltern wie in meinem | |
Kiez, die grundsätzlich ambitioniert an das Unternehmen Familie herangehen. | |
Natürlich wissen sie sich zu helfen, [2][wenn elementare Strukturen wie | |
Schule und Sportverein wegbrechen]. Natürlich heulen sie rum über die | |
Unbilden des Homeschoolings (siehe oben), aber das heißt ja auch nur, dass | |
sie fleißig den Lehrer geben. Bei den meisten stand am Ende der ersten | |
Woche eine sinnvolle Tagesstruktur. Die Spielzeit am Tablet beginnt um 14 | |
Uhr, davor gibt’s nur die guten Sachen auf YouTube, Sportstunden und | |
Mathe-Tutorials (zum Leidwesen meines Sohnes, übrigens). | |
Unser Familienleben ist im Moment gleichzeitiger, die Englisch-Vokabeln, | |
die fertige Waschmaschine und die nächste Videokonferenz nehmen weniger | |
Rücksicht aufeinander. Das ist nicht unanstrengend, aber es ist auch schön | |
– weil es ein zeitlich begrenztes Familienexperiment ist und weil wir die | |
Ressourcen haben, damit umzugehen. Meine Kinder freuen sich, dass wir sie | |
mehr in Ruhe lassen als sonst und sie endlich viel länger auf der Wiese | |
hinterm Haus und im Hof spielen dürfen, statt zur Musikschule zu müssen. | |
Das ist schön und leider auch unfair, fürchte ich. | |
6 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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