| # taz.de -- Corona im Globalen Süden: Wehe, die globale Pandemie kommt | |
| > Viele ärmere Länder sind nicht gut auf Coronapandemie vorbereitet. Nun | |
| > könnten ihnen die Schulden erlassen werden. | |
| Bild: Leichen vor dem Haus. In der ecuadorianischen Stadt Guayaquil sind die Le… | |
| Berlin taz | In Guayaquil, der größten Stadt Ecuadors, spielten sich in der | |
| vergangenen Woche grässliche Szenen ab. In der tropischen | |
| 3-Millionen-Einwohner-Stadt wurden einzelne Leichen auf den Straßen | |
| gefunden – vermutlich Covid-19-Tote. | |
| Zeitungen berichteten von verzweifelten Angehörigen, deren Väter und Onkel | |
| trotz Corona-Symptome vom Krankenhaus abgewiesen wurden. Tagelang warteten | |
| sie, dass die Leichname aus ihren Wohnungen abgeholt werden. Allein bis | |
| Dienstag gab es in Guayaquil 400 Leichen, die nicht abtransportiert wurden. | |
| Obwohl es in der Provinz Guyas offiziell erst 2.300 bestätigte Coronafälle | |
| und 82 Coronatote gibt, kollabierte das System. Die Gründe: mangelhafte | |
| Aufklärung, ein desolates Gesundheitssystem, überforderte Behörden, ein | |
| Staat am Rande des Bankrotts. | |
| Nach offiziellen Zahlen ist der globale Süden von der Pandemie bislang noch | |
| [1][nicht ganz so stark betroffen]. Das Virus ist – noch – eine Krankheit | |
| der Reichen, des Nordens. Es gibt die Vermutung, dass die jüngeren | |
| Bevölkerungen im globalen Süden gegen das Virus besser gewappnet seien. | |
| Doch das kann auch täuschen. Was in Guayaquil geschieht, droht vielen | |
| Städten des globalen Südens. | |
| Die frühere liberische Präsidentin [2][Ellen Sirleaf] sagt, die | |
| afrikanischen Nationen seien „bisher zwar vom Schlimmsten verschont | |
| geblieben“. Es sei aber wohl eine Frage der Zeit ist, bis das Virus „den | |
| Kontinent, der am wenigsten bereit ist, es zu bekämpfen, angreifen wird“. | |
| Wenn die Pandemie Slums und Favelas erreicht, so die Befürchtung, kann es | |
| zu spät sein. Was tun? | |
| ## 160 Milliarden Dollar, am besten sofort | |
| Oxfam beispielsweise fordert 160 Milliarden Dollar Hilfe für die 85 ärmsten | |
| Länder der Welt. Die Zahl orientiert sich an Berechnungen der | |
| Weltgesundheitsorganisation WHO. Eine Basisgesundheitsversorgung rund um | |
| den Globus, von Wuhan über São Paulo bis Lagos, würde der WHO zufolge 200 | |
| Milliarden Dollar im Jahr kosten. Aber [3][Hilfsgelder] in dreistelliger | |
| Milliardenhöhe lockerzumachen dauert. Ministerialbürokratien müssen | |
| rechnen, Mittel bewilligt werden, MinisterInnen müssen Zahlungen | |
| durchsetzen, Parlamente zustimmen. Es muss aber rasch gehen. | |
| Die sicherste und schnellste Art zu helfen, scheint ein Schuldenmoratorium | |
| zu sein. Staaten wie Sambia, die 30 Prozent ihres Haushalts für | |
| Schuldentilgung aufbringen, sind [4][kaum handlungsfähig]. Und auch ohne | |
| Ausbruch der Pandemie ist die Lage in manchen Ländern schon dramatisch. | |
| Wegen der globalen Wirtschaftskrise ziehen Investoren Kapital ab, zudem | |
| sinken die Rohstoffpreise. Der Export bricht ein. Ein Teufelskreis, der | |
| durch die Zinszahlungen aus dem armen Süden nach Norden noch beschleunigt | |
| wird. Rund 50 Milliarden Dollar fließen jährlich an Schuldzahlungen aus den | |
| ärmsten Staaten in die westlichen Metropolen. | |
| Aber hilft Zinszahlungen zu stoppen wirklich? Der Schuldenerlass um die | |
| Jahrtausendwende hat gezeigt, dass sich die Lage in vielen, wenn auch nicht | |
| allen entschuldeten Länder aufhellte. Es gab mehr Geld für Gesundheit und | |
| Armutsbekämpfung. Klaus Schilder, Entschuldungs-Experte von Misereor, hält | |
| ein Schulden-Moratorium für „einen eleganten Mechanismus“. Denn: „Es geht | |
| schnell. Das Geld ist, wo es benötigt wird, und muss nicht langwierig in | |
| Gläubigerstaaten bewilligt werden.“ | |
| ## Selbst IWF und Weltbank für Schuldenmoratorium | |
| Wie dramatisch die Lage ist, zeigt sich auch daran, dass Weltbank und | |
| Internationaler Währungsfonds – sonst eher keine Vorkämpfer an der | |
| Entschuldungsfront – ein Moratorium für die ärmsten Staaten fordern. | |
| Allerdings ist auch das nicht ganz einfach. Die Ärmsten zahlen die 50 | |
| Milliarden Dollar im Jahr an verschiedene Gläubiger: 18 Milliarden Dollar | |
| an Staaten, 12 Milliarden an Weltbank und IWF, 10 Milliarden an private | |
| Gläubiger. Ein umfassendes Schuldenmoratorium muss zwischen ihnen | |
| koordiniert werden. | |
| Klaus Schilder sieht zudem drei Bedingungen, damit das Moratorium wirkt: Es | |
| muss zinsfrei sein – und der Einstieg in ein geordnetes | |
| Umschuldungsverfahren sein. Zudem soll es auch Länder mit drängenden | |
| Schulden, die nicht zu den allerärmsten zählen – wie Kenia oder Kamerun – | |
| angeboten werden. | |
| Faktisch passiert bislang wenig, damit das Geld bleibt, wo es benötigt | |
| wird. Ecuador, wo die Gesundheitsministerin zurückgetreten ist und im | |
| Gesundheitssystem das Geld für die Basisversorgung fehlt, hat im März | |
| [5][pünktlich den fälligen IWF-Kredit] bedient: 320 Million Dollar. Alberto | |
| Acosta, Ex-Minister und Ökonom, fordert, ähnlich wie zivilgesellschaftliche | |
| Akteure, dass „Ecuador während der Coronavirus-Krise den Schuldendienst | |
| einstellt“. | |
| Und es gibt noch ein Problem: Die Resonanz auf den Vorschlag von Weltbank | |
| und IWF ist bislang bescheiden. NGOs, UNO und Entwicklungsministerien | |
| sympathisieren mit der Idee. Ellen Sirleaf, Ex-Präsidentin von Liberia, | |
| erinnert an den Kampf gegen Ebola, gegen den die Welt unter der Führung von | |
| UNO, WHO und der USA viele Ressourcen mobilisierten. „Wir besiegten Ebola | |
| gemeinsam.“ Das erwarte sie auch jetzt. | |
| ## Wenn nicht jetzt, wann dann? | |
| Doch die politisch zentralen Player – USA, Europa, China – sind damit | |
| beschäftigt, die Pandemie im eigenen Land und die wirtschaftlichen Folgen | |
| mit Billionen zu bekämpfen. Was im globalen Süden passiert, ist derzeit | |
| kaum auf dem Radar. | |
| Ein Lichtblick können die G20 werden. Die haben Ende März zumindest | |
| angekündigt, hilfsbedürftige Länder zu unterstützen. Klaus Schilder glaubt: | |
| „Dass IWF und Weltbank offen für Entschuldungen sind, ist positiv. Es gibt | |
| ein politisches Fenster, und zwar jetzt.“ | |
| 5 Apr 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
| Christian Jakob | |
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