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# taz.de -- Corona und die neue Angst voreinander: In der Falle
> Ich war mit Rad und Anhänger unterwegs in einer schmalen Gasse. Auf
> einmal stand mir diese Frau gegenüber und ich merkte: Sie hat Angst.
Bild: Per Schild angemahnt: Der Sicherheitsabstand befördert auch die Angst vo…
Wir sind in eine Falle geraten. Die Frau und ich. Sie hat ein kleines
Gesicht. Einen großen Mundschutz. Unruhige Augen. Sie trägt
Gummihandschuhe. Die Frau hat Angst.
Wir stehen einander gegenüber in einer Gasse. Zwei Spielfiguren, die nicht
mehr vor und zurück können. Die Gasse ist ein Schleichweg, nur einen Meter
breit, durch den man schneller zum Supermarkt kommt. Die Frau ist von oben
bis in die Mitte gelaufen. Ich bin von unten in die Gasse gefahren, hinter
mir am Rad ein großer Anhänger mit einer Kiste voller Flaschen. Ich habe
erst aufgeblickt, als ich schon vor ihr in der Mitte stand. Zu spät. Zu
nah. Uns trennt nur ein knapper Meter. Wenn wir aneinander vorbei wollen,
müssen wir näher aneinander ran. Es ist das Ende. Ich spüre es. Sie sieht
in mir das Ende.
Wir können nicht den 1,5-Meter-Sicherheitsabstand einhalten. Es ist, als
wäre ich ein Fluss. Sie kommt nicht hinüber, ohne nass zu werden. Für einen
kurzen Moment müssen wir den Raum teilen, gleiche Luft atmen. Es ist nun so
natürlich, einem Mensch auszuweichen wie einem fahrenden Auto. Als würde
die Existenz der anderen nicht eine Möglichkeit von Ansteckung, sondern die
Gewissheit von Krankheit, Gefahr bedeuten.
Ich habe mich noch nicht daran gewöhnt, dass Menschen vor mir ausweichen.
Es sticht kurz, wenn sie den Abstand vergrößern bei Begegnungen auf dem
Bürgersteig. Ich grüße dann freundlich, wie um zu zeigen: Wir sind uns doch
nah, wir gehören doch alle auf eine bestimmte Art und Weise zusammen.
Ich spüre, wie die Frau überlegt, was sie tun kann: Ob sie umkehrt, die
ganze Gasse zurückgehen muss zur Straße, um nicht an mir vorbei zu müssen.
Oder ob ich zurückfahre, ihr die Gasse freigebe, sodass sie weitergehen
kann. Durch etwas Unausgesprochenes, Stummes wird klar, dass ich diejenige
bin, die handeln soll. Dass unsere Bewegung nun von mir abhängt.
Ich werde plötzlich traurig. Für einen kurzen Moment habe ich Lust zu
weinen. Hier in der Gasse verdichtet sich eine sonst unbewusste Trauer.
Über die verinnerlichte Angst voreinander, die nun in der Zeit mit dem
Virus zu spüren ist. Dass es nicht miteinander, sondern besser ohne
einander geht.
Die Frau wartet, sie steht einfach da. Ich hätte das Recht auf die gleiche
Angst wie sie. Ich weiß so wenig etwas über ihre Gesundheit oder Krankheit
wie sie über mich. Aber ich fürchte mich nur vor ihrem angstvollen Blick,
vor mir als Mensch, in dem ich als Person verschwinde.
Etwas muss geschehen. Mit dem Anhänger kann ich das Rad jedoch nicht
wenden. Ich könnte nur langsam das Rad rückwärts schieben, die Frau so
weiter nach vorn kommen lassen. Aber das Rad ist unhandlich. Es ist schwer,
es so weit zurückzuschieben, ohne dass sich der Anhänger verkeilt. Ich
spüre auch, dass ich mich so nicht entfernen will. Ist unsere letzte Chance
wirklich der Rückzug? Das Verlassen des Spielfeldes? Die Gasse zu räumen,
fühlt sich wie ein „Game over“ an. Eine Bekräftigung, dass wir als Mensch…
in unseren Eigenschaften nur noch auf unsere mögliche Ansteckung reduziert
sind. Der Rest ist fort.
Ich schaue die Frau an. Plötzlich für einen kurzen Moment kommt mir alles
wie ein Traum vor. Ich schaue aus einer anderen Zeit auf die Szene. Was hat
sie da im Gesicht und was an den Händen? Was passiert hier? Warum stecken
wir fest? Zwei Menschen, wie eingefroren, in sich gefangen. Ich spüre jetzt
schon, dass ich mich an diese Szene erinnern werde. Die Frau wird ein Bild
sein in dem Mosaik, mit dem ich mich selbst zusammenfüge.
Und dann halte ich die Luft an, als würde ich Anlauf nehmen. „Es geht
schnell“, will ich rufen. Aber ich bin still, öffne nicht den Mund, um die
Frau nicht zu ängstigen, schon ein Tröpfchen aus meinem Mund könnte sie ja
aus ihrer Sicht vielleicht gefährden. Ich lächle sie an, trete in die
Pedale. Ich fahre schnell an ihr vorbei. „Geht doch“, ruft die Frau. Es
klingt hell und freundlich. „Geht doch.“ Als hätte sie gar keine Angst
gehabt. Zwei Worte wie ein Appell.
4 Apr 2020
## AUTOREN
Christa Pfafferott
## TAGS
Kolumne Zwischen Menschen
Schwerpunkt Coronavirus
Kontaktverbot
Ansteckung
Angst
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Schwerpunkt Coronavirus
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