# taz.de -- Corona und der deutsche Föderalismus: Einheitlichkeit als Fetisch | |
> Dass nicht alle Bundesländer alles gleichzeitig beschließen, ist nicht so | |
> schlimm. Denn das gestaffelte Vorgehen bringt mentale Vorteile. | |
Bild: Testlauf: Wenn sich Ausgangssperren in Bayern durchsetzen lassen, können… | |
Deutschland ringt um den Gleichschritt bei der Eindämmung der | |
Coronavirus-Epidemie. Am Sonntag ab 14 Uhr verhandelt die Kanzlerin mit 16 | |
MinisterpräsidentInnen, ob man bundesweite Ausgangsbeschränkungen braucht. | |
[1][Bayer]n und das Saarland sind mit strengen Regelungen bereits | |
vorgeprescht. Andere Bundesländer wie Baden-Württemberg haben zumindest | |
verboten, in Gruppen herumzustehen und zu sitzen. Dabei hatte | |
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) doch eindringlich vor | |
Alleingängen gewarnt. Die Telefonkonferenz gilt deshalb als Bewährungsprobe | |
für den deutschen Föderalismus. Denn der Bund kann nichts anweisen. Für die | |
Anwendung des Infektionsschutzgesetzes sind die Länder zuständig. Sie | |
müssten sich freiwillig auf gemeinsames Vorgehen einigen. | |
Vorweg: Der [2][deutsche Föderalismu]s ist historisch überholt. Er ist | |
überflüssig und macht das Leben nur unnötig kompliziert. Die meisten | |
Bundesländer sind selbst Patchwork-Gebilde ohne ausreichende eigene | |
Identität. Die Zukunft gehört dem europäischen Föderalismus, aufgebaut aus | |
den europäischen Nationalstaaten, die echte Diskursräume mit eigenen | |
Regulierungstraditionen bieten. Föderalismus ist gut, aber ein europäischer | |
Förderalismus genügt. | |
Dennoch ist die aktuelle Föderalismus-Kritik oberflächlich und überzogen. | |
Es wird festgestellt, dass es bei der Corona-Bekämpfung einen | |
Flickenteppich gibt, weil die Länder nicht simultan agieren. | |
Schulschließungen, Veranstaltungsverbote, [3][Ausgangsbeschränkungen] – | |
nichts wurde am gleichen Tag umgesetzt. Immer preschten einzelne Länder vor | |
und andere zogen erst ein paar Tage später nach. Aber ist diese | |
Ungleichzeitigkeit wirklich ein großes Problem? | |
Viele Kommentatoren in den Medien glauben, dass die Politik so Vertrauen | |
verspielt. Von den Bürgern werden harte Opfer erbracht, aber die Politik | |
sei unfähig, mit den Bürgern geordnet zu kommunizieren. Vielleicht ist es | |
aber eine etwas zu schematische Vorstellung, dass Vertrauen nur entstehen | |
kann, wenn alle exakt dasselbe sagen. Es sind doch eher die | |
Politik-Kommentatoren, die Vertrauen gefährden, indem sie die | |
Einheitlichkeit wie einen Fetisch behandeln und Scheinprobleme zum großen | |
Politiktest hochschreiben. | |
Die Leute sind ja nicht blöd. Wenn ein völlig neues, gefährliches Virus | |
auftaucht, ist doch klar, dass niemand ein Patentrezept in der Tasche hat, | |
das man jetzt einfach Punkt um Punkt umsetzen muss. Natürlich suchen alle | |
nach dem richtigen Weg, wie man möglichst wenig Todesfälle zulässt und | |
gleichzeitig Wirtschaft und Gesellschaft vor dem Crash bewahrt. | |
Dabei ziehen in Deutschland sogar alle an einem Strang und verfolgen eine | |
gemeinsame Grundlinie. Die Ausbreitung des Virus soll möglichst verlangsamt | |
werden, damit sich nicht zu viele Menschen gleichzeitig infizieren und das | |
Gesundheitssystem überfordern. Dass es in Deutschland diesen Grundkonsens | |
gibt, ist beruhigend und schafft wirklich Vertrauen. Man denke nur an | |
Staaten wie Großbritannien und die Niederlande, die zunächst einen ganz | |
anderen Weg verfolgten und möglichst schnell eine möglichst hohe | |
Ansteckungsrate mit darauf folgender, erhoffter, Immunität erreichen | |
wollten. Ganz zu schweigen von der zeitweisen Verharmlosung der Pandemie in | |
Staaten wie Iran [4][oder den USA]. | |
Gäbe es bei uns Bundesländer, die so verführen, dann müsste man sich | |
wirklich Sorgen machen. Doch die deutschen Bundesländer nehmen das Problem | |
gleichermaßen ernst, sie beschließen die gleichen Maßnahmen – nur nicht am | |
gleichen Tag. | |
Das ist zwar kein Wettbewerbsföderalismus, bei dem sich am Ende das beste | |
Modell durchsetzt. Denn es wartet ja niemand auf Ergebnisse, um diese zu | |
vergleichen. Die nächste Verschärfung kommt meist schon, bevor sich die | |
Wirkung der vorherigen auch nur abschätzen lässt. | |
Das gestaffelten Vorgehen der Länder bringt aber mentale Vorteile. Wenn | |
Bundesländer vorpreschen, bei denen es eine hohe Akzeptanz für harte | |
Maßnahmen gibt, etwa in Bayern, können sich die Einwohner der anderen | |
Bundesländer gedanklich und praktisch schon einmal auf das vorbereiten, was | |
bald auch bei ihnen kommt. So erhöht die Ungleichzeitigkeit der Länder | |
unter dem Strich eher die Akzeptanz der Maßnahmen, als dass es sie | |
gefährdet. Bayern ist sozusagen das Preview-Programm für Deutschland. | |
22 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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