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# taz.de -- Online aus dem Salzburger Kunstverein: Zwölfmal Angst
> Eine „verdammte Notlösung“: Drei neue Filme und eine Fotoserie des
> österreichischen Künstlers Gernot Wieland können online gesehen werden.
Bild: Still aus „Thievery and Songs“ von Gernot Wieland
Weltweit schlossen Museen und Galerien ihre Ausstellungen im Zuge der
Coronaviruspandemie. [1][Gernot Wielands Soloshow im Salzburger
Kunstverein], seine erste bedeutende Einzelausstellung in Österreich,
gehörte mit dazu. Der in Berlin lebende österreichische Künstler reagierte
auf die Schließung mit Müdigkeit. „Anfangs dachte ich, es wäre eine
Coronadepression, aber ich war einfach müde. Diese Müdigkeit ist angenehm,
sie lädt ein, sie deckt den Tisch, gleichzeitig ist sie bedrohlich, weil
die eigene Existenz, kapitalistisch gesprochen, in Frage steht.“
Wie derzeit üblich geht die Ausstellung virtuell weiter und bleibt dabei
angenehm auf dem Teppich. Es gibt keine 3-D-Tour, sondern ein Video, in dem
der Künstler vor Ort über seine Werke spricht. Dazu zählen drei Filme, die
jetzt online laufen, und eine zwölfteilige Fotoserie.
Ein wenig schade ist, dass die Fotos nur teilweise in Ausstellungsansichten
zu sehen sind, ohne Nennung der Titel, die zentral sind. Sie drehen sich
alle um seltsame Angstzustände. Wieland meint: „Zwölfmal Angst schien mir
ein humoristischer, aber gleichzeitig wahrhaftiger Zugang zu der
Ausstellung zu sein.“
## Das geerbte Schweigen
Für den Künstler herrscht in Österreich permanent Angst vor der eigenen
Meinung und vor der der anderen. „Was die österreichische Herkunft
besonders macht, ist das Schweigen und die Verdrängung und die Repression
und der dadurch bedingte Widerstand zu dieser Herkunft, wenn man nicht den
Weg des Schweigens gehen will.“ Wielands Arbeiten drehen sich immer auch um
die eigene Herkunft. „Mir geht es aber nicht, wie bei vielen, um ein
‚Abarbeiten an Österreich‘, als vielmehr um ein Aufzeigen der Strukturen,
die ererbt sind, die soziale, psychologische und politische Komponenten
haben.“
Die Angstzustände werden in den Fotos durch kristalline Modelle aus
angekohlten Holzstäben dargestellt. Sie stammen aus dem Kurzfilm „Ink in
Milk“ (2018). Als Close-ups gehören die Fotos zu den diversen
künstlerischen Mitteln, die Wieland in der Filmcollage benutzt. Sie
begleiten neben Zeichnungen, Knetanimationen, Kartoffeldrucken, skizzierten
Diagrammen, Super-8-Film-Sequenzen die vielschichtige Narration, die sich
um die Kindheitserfahrungen des Künstlers webt.
Gernot Wieland schöpft zwar aus der Vergangenheit, er kokettiert aber auch
mit dem Persönlichen als einem Stilmittel, das durch Ironie, Nüchternheit,
Humor und verschachtelte Erzählungen, neben aller Empathie, gleichzeitig
Distanz schafft. Dieses ausgeklügelte Verfahren ist für Wielands
bemerkenswerte Filme stilprägend.
## Ein Dorf tanzt die Kristalle
In „Ink in Milk“ spricht der Ich-Erzähler von einem Onkel, der Kristalle
als psychische Zustände versteht. Er riet Wieland als Kind, zur Heilung
seiner Traurigkeit ein Kristall zu imitieren. Nicht nur der Junge und sein
Onkel stellten mit akrobatischen Verrenkungen Kristalle dar, das ganze Dorf
wurde angesteckt. Keiner arbeitete mehr, die Kühe verschwanden, die Natur
nahm Überhand. Für Wieland heißt das: „Die Strukturen der Unterdrückung
brechen zusammen, weil es durch die Imitation der Kristalle zu einer Form
des Erkennens kommt.“
Mit seinen poetischen Interventionen [2][kommentiert der Künstler
gesellschaftliche Machtverhältnisse.] Die Tinte in der Milch, von der der
Filmtitel zeugt, ist ein anderes großartiges Bild dafür. Die Kinder kippten
Tinte in ihre Schulmilch. Zur Strafe mussten sie sie trinken, aber im
Erbrochenen blieben zu Wielands Freude die „tanzenden Tiere“ aus der
Tintenmilchmischung am Leben.
„Thievery and Songs“ (2016) stellt die Dominanz des Menschen über den Rest
der Welt in Frage. Der Ich-Erzähler erklärt, dass er eine Schnecke sei, die
nur so täte, als wäre sie ein Mensch. Gerahmt wird der komplexe, zuweilen
melancholische Film durch die Geschichte der jüdisch-österreichischen
Tänzerin Hilde Holger, die 1938 fliehen musste. Dabei kommen repressive
Strukturen und Geister des Nazi-Regimes in Österreich zum Vorschein. Der
Künstler und sein Bruder versuchten in den 80er Jahren eine Hitler-Eiche
mit Mendelssohn-Musik zu bekehren. Der Baum stand vor einem Bauernhof,
dessen Besitzer eine Tante von ihnen als Leibeigene ausgebeutet hatte.
Jahre später verdrängte ein Shoppingcenter die unliebsame Nazi-Ehrung.
## Das Knistern fehlt, die Selbstvergessenheit
„Thievery and Songs“ war ursprünglich eine [3][Lecture Performance], ein
Medium, das Wielands Filmen oft vorausgeht. In Salzburg war auch ein
Live-Auftritt geplant. Die unmittelbare Sprache und Interaktion mit dem
Publikum sei großartig, sagt er. Eine Videokonferenz komme nicht infrage.
„Lecture Performances auf einem Bildschirm zu sehen ist wie eine Oper im
Fernsehen zu schauen, der Live-Moment geht vollkommen verloren, das
Knistern.“
Eine virtuelle Ausstellung ist für Wieland eine verdammte Notlösung, in
Coronazeiten könne er sich deswegen nicht echauffieren und sei zufrieden,
dass sie es so machen. „Wenn man einen Film ansieht, in einer Ausstellung
oder im Kino, ist das ein gemeinsamer Moment der Stille, des
Selbstvergessens.“ In der digitalen Welt, jenseits von E-Mails, Recherchen
und Filmen, erlebe er eine Art Nichtzugehörigkeit. „Ich empfinde eine
unglaubliche Müdigkeit beim Betreten dieser Welten.“
14 Apr 2020
## LINKS
[1] https://www.salzburger-kunstverein.at/at/ausstellungen/2020/2020-02-08/gern…
[2] /Ausstellung-Shame-in-Bremen/!5517795
[3] /Daten-in-Musik-uebersetzt/!5640077
## AUTOREN
Julia Gwendolyn Schneider
## TAGS
zeitgenössische Kunst
Video
Österreich
Online
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Ausstellung
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