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# taz.de -- Beschränkungen wegen Coronakrise: Die Suche nach dem Ausgang
> Treffen in Gruppen verboten, Kitas, Schulen und Geschäfte dicht: Viele
> sind genervt von Corona-Restriktionen. Die wichtigsten Fragen zum Exit.
Bild: Wie es weiter geht, weiß niemand so genau. Zumindest kann man diese Auss…
Wer fordert Exitstrategien?
Zum Beispiel die Opposition im Bundestag. Die FDP sorgt sich um die
Wirtschaft, die durch den Shutdown in eine Rezession rutscht. Der
Gesundheitsschutz habe Priorität, sagte Fraktionsvize Michael Theurer am
Dienstag der taz. Man dürfe aber nicht vergessen, dass Armut und
Arbeitslosigkeit ebenfalls ungesund seien. „Wir müssen uns als Gesellschaft
Gedanken machen, unter welchen Umständen wir wie den Shutdown schrittweise
beenden können.“
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte der taz: „Wir brauchen eine
offene Debatte über die Phase nach dem Lockdown.“ Daraus dürfe aber kein
Überbietungswettbewerb werden, wer am schnellsten eine Lockerung vornehme
oder sie am schärfsten fordere.
Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat die Politik bereits
aufgefordert, sich eine Exitstrategie zu überlegen. Hauptgeschäftsführer
Gerd Landsberg sagte: „Langfristig können wir nicht das gesamte Land
lahmlegen.“
Wovon hängt es ab, ob es zu Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen kommt?
Die Regierung dämpft die Hoffnung auf schnelle Lockerungen. [1][Merkel bat
die Menschen vergangene Woche um Geduld]. Ihr Sprecher Steffen Seibert
betonte am Montag erneut, dass man alle Maßnahmen „unvermindert“ brauche.
Die Kanzlerin hat einen Hinweis gegeben: Ein Kriterium ist, wie schnell
sich die Zahl der bestätigten Fälle von Coronaerkrankten verdoppelt.
Anfangs verdoppelten sich die Fälle alle 3 Tage, inzwischen nur noch alle 5
bis 6 Tage. Ein erster Erfolg im Kampf gegen das Virus. Wenn die
Infektionsgeschwindigkeit so verlangsamt werden könne, dass eine
Verdopplung alle 10, 12 oder mehr Tage stattfinde, „dann wissen wir, dass
wir auf dem richtigen Weg sind“, sagte Kanzleramtschef Helge Braun kürzlich
dem Tagesspiegel.
Warum ist die Verdopplungsrate so wichtig?
Das hochansteckende Virus verbreitet sich rasant. Wenn es keine Maßnahmen
gäbe, stiege die Zahl der Infizierten exponentiell an. Die deutschen
Krankenhäuser wären schon bald [2][überlastet wie die in Italien] oder
[3][Spanien]. Ärzte müssten entscheiden, wer noch beatmet wird – und wer
stirbt.
Dieses fürchterliche Szenario will die Regierung um jeden Preis vermeiden.
Wenn sich die Ausbreitung deutlich verlangsamt, gewinnt das System Zeit, um
sich vorzubereiten. Irgendwann wäre auch ein Punkt erreicht, bei dem so
viele Menschen wieder gesunden, wie sich neu anstecken.
Gibt es weitere Entscheidungskriterien für die Regierung?
Ja, die Krise ist vielschichtig. Ein Faktor ist die Kapazität der Kliniken.
Sie arbeiten nach einem Aufruf der Regierung in ganz Deutschland fieberhaft
daran, die Zahl ihrer Intensivbetten zu erhöhen. Außerdem verschieben sie
weniger wichtige Operationen, um Platz zu schaffen für Coronakranke. Nach
diesem Aufruf sei jetzt fast die Hälfte der Intensivbetten frei, berichtete
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im ZDF. Wichtig ist auch, wie schnell
große Mengen an Schutzausrüstung und Coronatests beschafft werden können.
Wann könnten die Weichen neu gestellt werden?
Merkel wird sich am Mittwoch in einer Telefonschalte mit den
Ministerpräsidenten besprechen, um die aktuelle Lage zu bewerten. Die am
22. März beschlossenen Kontaktbeschränkungen sollten laut Verfügung
„mindestens“ für zwei Wochen gelten. Für die Umsetzung sind die
Bundesländer zuständig. Viele von ihnen haben die Regelungen bis zum 20.
April terminiert – dann sind die Osterferien für die allermeisten
SchülerInnen vorbei.
Bis dahin rede man nicht über „irgendwelche Erleichterungen“, betonte
Kanzleramtschef Braun. Aber rechtzeitig vor dem 20. April werde die
Regierung vorstellen, wie es weitergehe. Der Virologe Christian Drosten
hält diese vorsichtige Kommunikation für angemessen. „Wir sind zum Teil
immer noch in der Einübungsphase“, sagte er in seinem aktuellen Podcast
beim NDR. Es sei „genau richtig“, sich gemeinschaftlich zu einem Datum zu
bekennen, bis zu dem beobachtet werde – um dann gegebenenfalls Maßnahmen zu
korrigieren.
Das heißt, die Regierung weiß noch gar nicht, wie es weitergeht?
Die Bundesregierung fährt gerade auf Sicht. Sie beobachtet die Lage, lernt
und zieht dann ihre Schlüsse. Und sie möchte keine Hoffnungen wecken, die
sie vielleicht später enttäuschen müsste. Diese Kommunikation ist seriös,
auch VirologInnen können im Moment nicht genau sagen, wie die Krise
weitergeht.
Ein wichtiger Punkt: Bevor die Politik beurteilen kann, ob eine Maßnahme
greift, vergeht viel Zeit. Bis sich nach einer Ansteckung Symptome zeigen,
vergehen mehrere Tage. Weitere Tage vergehen, bis die Person getestet
wurde, das Testergebnis vorliegt und schließlich in die Statistik
einfließt.
Das System funktioniert wie ein riesiger Tanker. Wenn der Kapitän, also die
Regierung, das Ruder einschlägt, dauert es geraume Zeit, bis er schwenkt.
Genau umgekehrt verhält es sich übrigens mit Lockerungen. Beendet die
Regierung eine wirksame Maßnahme, sind schlagartig wieder hohe
Infektionsraten da. Das Virus wartet nicht.
Könnte man nicht einfach alte Menschen schützen und isolieren und den Rest
wieder normal arbeiten lassen?
Für diese Strategie plädierte zum Beispiel Tübingens Oberbürgermeister
Boris Palmer (Grüne). Er schlug vor, Ältere komplett in ihrem Heim zu
isolieren – für etwa drei Monate. Der Blick nach Italien zeige, dass fast
ausschließlich schwer Kranke und Alte durch das Virus sterben würden,
argumentierte Palmer. Wenn junge Leute in den normalen Alltag zurückkehrten
und die Infektion durchmachten, sei in drei Monaten eine ausreichende
Herdenimmunität hergestellt.
Die Koalition sieht es anders. Auch viele junge Leute bekämen durch das
Virus eine Lungenentzündung und müssten beatmet werden, sagte der Arzt und
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach der taz. Wer beatmet worden sei,
leide danach oft unter bleibenden Schäden, etwa einer Schwächung der Lunge
oder einer Behinderung. „Diese Strategie würde jüngere Leute massiv
gefährden.“ Wenn alte Menschen aus der Isolation entlassen würden, würden
zudem plötzlich sehr viele von ihnen krank – „eine sofortige Überlastung
des Gesundheitssystems wäre die Folge.“
Gibt es Vorbilder, an denen sich die Bundesregierung orientiert?
Ja. Nachbarstaaten von China, wo das Virus zuerst ausbrach, haben die Lage
in den Griff gekriegt. [4][Südkorea] sei ein Land, das „man sich sehr genau
betrachten muss“, sagte Braun. Der Staat setzte auf ähnliche
Kontaktbeschränkungen wie die derzeit in Deutschland praktizierten.
Außerdem wurden Infektionsketten digital, also über eine App, getrackt. Man
habe „quasi vollautomatisiert“ erfahren, Kontakt zu Infizierten gehabt zu
haben, sagte Braun. Außerdem hat Südkorea sehr viele BürgerInnen auf das
Virus getestet – und so genaue Kenntnisse bekommen.
Der SPDler Lauterbach plädierte für eine an Südkorea angelehnte
Suppressionsstrategie (übersetzt: Unterdrückungsstrategie). Man müsse jeden
Infektionsfall konsequent aufarbeiten und Infektionsherde eindämmen, sagte
er. Notwendig seien die Kontaktverfolgung über Apps, die Isolation aller
Kontakte und massenhaftes Testen um Kontakte herum.
„Zudem sollten in der Öffentlichkeit Atemschutzmasken von chirurgischer
Qualität getragen werden, besonders im öffentlichen Nahverkehr oder in
Supermärkten“, sagte Lauterbach. „Wenn man all diese Maßnahmen auf die Sp…
bringt, ist auch eine Lockerung der Kontaktsperren in Teilbereichen
denkbar.“ Diese Suppressionsstrategie müsse so lange durchhalten werden,
bis ein Impfstoff zur Verfügung stehe.
Gibt es gegen den Einsatz von Apps datenschutzrechtliche Bedenken?
Als Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kürzlich eine gesetzliche
Grundlage dafür schaffen wollte, die Standortdaten aller Mobiltelefone
erfassen zu können, war die Empörung groß. Doch es gibt
[5][datenschutzsensible Lösungen, die etwa die Bluetooth-Funktion von
Handys nutzen] – und ohne die Erhebung personenbezogener Daten auskommen.
Die Opposition wäre dafür offen. „Ich habe große Sympathie dafür, den
technologischen Fortschritt im Kampf gegen Corona zu nutzen“, sagte
Grünen-Fraktionschef Hofreiter. Wenn bei Apps das Prinzip der
Freiwilligkeit und der Datenschutz gewahrt bleibe, „sollten wir das
ermöglichen.“ Die freiwillige Verwendung von Daten bereits infizierter
Personen, wie sie in Südkorea praktiziert werde, könnte ein Ansatz sein,
sagte FDP-Fraktionsvize Theurer.
Wie geht es nach dem 20. April weiter?
Das ist offen. Dass die Regierung auf digitale Technik, also eine App,
setzt, ist wahrscheinlich. Das bisherige Recherchieren von Kontaktketten,
bei dem Menschen angerufen werden und sich dann an Kontakte erinnern
müssen, ist ineffektiv. Denkbar ist auch, dass das Tragen von
[6][Atemschutzmasken in der Öffentlichkeit Pflicht] wird. Ob die Regierung
die Kontaktsperren lockert, ist im Moment nicht vorherzusagen.
31 Mar 2020
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## AUTOREN
Ulrich Schulte
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